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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Goethe als Kriegsminister

gewiß ist, daß Goethe hierbei Talente und Einsichten entfaltete, die Freunde
und Widersacher zugleich in Erstaunen setzten und die kleine Gruppe derer, die
mit Karl Augusts Minister, dem Geheimrat von Fritsch, den jungen Frank¬
furter für eine "an und vor sich habile und gute Hoffnung gebende, keines¬
wegs bei Geschäften hergekommne," folglich zu seinem Posten untaugliche
Persönlichkeit angesehen hatten, tief beschämen mußte. Mit wieviel Mut sich
der Dichter in den Strom werfen, mit wie energischer Hingebung er den
wusend Ansprüchen seines neuen Geschäftslebens gerecht werden, welches scharfe
Auge und welche glückliche Hand er dabei bewähren mochte, es blieb ihm doch
gewiß, daß ihn die Natur recht eigentlich zu einem Privatmenschen bestimmt,
und daß ihn nur das Schicksal in eine fürstliche Familie hineingeführt habe.
Und wenn Goethe vor der Entscheidung dieses Schicksals an Johanna
Fahlmer zuversichtlich geschrieben hatte: "Hier hab ich doch ein paar Herzog¬
tümer vor mir," und Merck beteuert hatte: "Die Herzogtümer Weimar und
Eisenach sind immer ein Schauplatz, um zu versuchen, wie einem die Weltrolle
zu Gesichte stünde," so hatten schon die ersten Jahre dieser Weltrolle genügt,
ihn zu belehren, wie viel der Schauplatz selbst zu wünschen übrig lasse.

Gewiß gehörten die beiden Herzogtümer seit der Regentschaft Anna
Amalias zu den bestregierten Kleinstaaten Mitteldeutschlands, es war zur Zeit
von Karl Augusts Regierungsantritt schon viel geschehen. Gute Überliefe¬
rungen, die aus den Tagen des frommen und ernstgesinnten Herzogs Wilhelm
Ernst (1683 bis 1728) stammten, waren auch unter dem launisch-willkürlichen
Regiment seiner Nachfolger Ernst August und Ernst August Konstantin nicht
völlig beseitigt worden, und durch die Mutter Karl Augusts hatte das kleine
Land in der That viele Segnungen der aufgeklärten fürstlichen Selbstherrschaft
des achtzehnten Jahrhunderts empfangen. Die kluge Brauuschweigcrin hatte
in sechzehnjähriger Negierung, von dem Geheimrat Greiner und dem etwas
pedantischen aber einsichtigen und umsichtigen Minister Jakob von Fritsch unter¬
stützt, eine Reihe von Einrichtungen und Vorkehrungen für gute Verwaltung,
Justiz und Forderung der Landeswohlfahrt getroffen, die zu der Zeit, als Goethe
in das "Geheime Korsen," die höchste Behörde der Herzogtümer, eintrat, in
der Hauptsache noch die Grundlagen der Negierung waren. Noch hat niemand
ein ganz klares, deutliches und treues Bild der Zustände im Weimarischen
Hof-, Staats- und Stadtleben gegeben, die Goethe vorfand, mit denen er ver¬
flochten wurde, und in die er hineinwuchs. Daran aber läßt sich nicht zweifeln,
daß diese Zustände, so leidlich, ja vortrefflich sie im Vergleich mit den Zu¬
ständen andrer Kleinstaaten sein mochten, aller Orten und Enden verbesserungs¬
bedürftig waren. Noch in der Sprache des Sturms und Dranges drückte
Goethe die Gefühle, die ihn inmitten der neuen Pflichten überkamen, in einer
Reihe von Brief- und Tagebuchstellen aus, und wenn er an Merck am
5. Januar 1777 schrieb: "Ich lebe immer in der tollen Welt und bin sehr


Goethe als Kriegsminister

gewiß ist, daß Goethe hierbei Talente und Einsichten entfaltete, die Freunde
und Widersacher zugleich in Erstaunen setzten und die kleine Gruppe derer, die
mit Karl Augusts Minister, dem Geheimrat von Fritsch, den jungen Frank¬
furter für eine „an und vor sich habile und gute Hoffnung gebende, keines¬
wegs bei Geschäften hergekommne," folglich zu seinem Posten untaugliche
Persönlichkeit angesehen hatten, tief beschämen mußte. Mit wieviel Mut sich
der Dichter in den Strom werfen, mit wie energischer Hingebung er den
wusend Ansprüchen seines neuen Geschäftslebens gerecht werden, welches scharfe
Auge und welche glückliche Hand er dabei bewähren mochte, es blieb ihm doch
gewiß, daß ihn die Natur recht eigentlich zu einem Privatmenschen bestimmt,
und daß ihn nur das Schicksal in eine fürstliche Familie hineingeführt habe.
Und wenn Goethe vor der Entscheidung dieses Schicksals an Johanna
Fahlmer zuversichtlich geschrieben hatte: „Hier hab ich doch ein paar Herzog¬
tümer vor mir," und Merck beteuert hatte: „Die Herzogtümer Weimar und
Eisenach sind immer ein Schauplatz, um zu versuchen, wie einem die Weltrolle
zu Gesichte stünde," so hatten schon die ersten Jahre dieser Weltrolle genügt,
ihn zu belehren, wie viel der Schauplatz selbst zu wünschen übrig lasse.

Gewiß gehörten die beiden Herzogtümer seit der Regentschaft Anna
Amalias zu den bestregierten Kleinstaaten Mitteldeutschlands, es war zur Zeit
von Karl Augusts Regierungsantritt schon viel geschehen. Gute Überliefe¬
rungen, die aus den Tagen des frommen und ernstgesinnten Herzogs Wilhelm
Ernst (1683 bis 1728) stammten, waren auch unter dem launisch-willkürlichen
Regiment seiner Nachfolger Ernst August und Ernst August Konstantin nicht
völlig beseitigt worden, und durch die Mutter Karl Augusts hatte das kleine
Land in der That viele Segnungen der aufgeklärten fürstlichen Selbstherrschaft
des achtzehnten Jahrhunderts empfangen. Die kluge Brauuschweigcrin hatte
in sechzehnjähriger Negierung, von dem Geheimrat Greiner und dem etwas
pedantischen aber einsichtigen und umsichtigen Minister Jakob von Fritsch unter¬
stützt, eine Reihe von Einrichtungen und Vorkehrungen für gute Verwaltung,
Justiz und Forderung der Landeswohlfahrt getroffen, die zu der Zeit, als Goethe
in das „Geheime Korsen," die höchste Behörde der Herzogtümer, eintrat, in
der Hauptsache noch die Grundlagen der Negierung waren. Noch hat niemand
ein ganz klares, deutliches und treues Bild der Zustände im Weimarischen
Hof-, Staats- und Stadtleben gegeben, die Goethe vorfand, mit denen er ver¬
flochten wurde, und in die er hineinwuchs. Daran aber läßt sich nicht zweifeln,
daß diese Zustände, so leidlich, ja vortrefflich sie im Vergleich mit den Zu¬
ständen andrer Kleinstaaten sein mochten, aller Orten und Enden verbesserungs¬
bedürftig waren. Noch in der Sprache des Sturms und Dranges drückte
Goethe die Gefühle, die ihn inmitten der neuen Pflichten überkamen, in einer
Reihe von Brief- und Tagebuchstellen aus, und wenn er an Merck am
5. Januar 1777 schrieb: „Ich lebe immer in der tollen Welt und bin sehr


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[0343] Goethe als Kriegsminister gewiß ist, daß Goethe hierbei Talente und Einsichten entfaltete, die Freunde und Widersacher zugleich in Erstaunen setzten und die kleine Gruppe derer, die mit Karl Augusts Minister, dem Geheimrat von Fritsch, den jungen Frank¬ furter für eine „an und vor sich habile und gute Hoffnung gebende, keines¬ wegs bei Geschäften hergekommne," folglich zu seinem Posten untaugliche Persönlichkeit angesehen hatten, tief beschämen mußte. Mit wieviel Mut sich der Dichter in den Strom werfen, mit wie energischer Hingebung er den wusend Ansprüchen seines neuen Geschäftslebens gerecht werden, welches scharfe Auge und welche glückliche Hand er dabei bewähren mochte, es blieb ihm doch gewiß, daß ihn die Natur recht eigentlich zu einem Privatmenschen bestimmt, und daß ihn nur das Schicksal in eine fürstliche Familie hineingeführt habe. Und wenn Goethe vor der Entscheidung dieses Schicksals an Johanna Fahlmer zuversichtlich geschrieben hatte: „Hier hab ich doch ein paar Herzog¬ tümer vor mir," und Merck beteuert hatte: „Die Herzogtümer Weimar und Eisenach sind immer ein Schauplatz, um zu versuchen, wie einem die Weltrolle zu Gesichte stünde," so hatten schon die ersten Jahre dieser Weltrolle genügt, ihn zu belehren, wie viel der Schauplatz selbst zu wünschen übrig lasse. Gewiß gehörten die beiden Herzogtümer seit der Regentschaft Anna Amalias zu den bestregierten Kleinstaaten Mitteldeutschlands, es war zur Zeit von Karl Augusts Regierungsantritt schon viel geschehen. Gute Überliefe¬ rungen, die aus den Tagen des frommen und ernstgesinnten Herzogs Wilhelm Ernst (1683 bis 1728) stammten, waren auch unter dem launisch-willkürlichen Regiment seiner Nachfolger Ernst August und Ernst August Konstantin nicht völlig beseitigt worden, und durch die Mutter Karl Augusts hatte das kleine Land in der That viele Segnungen der aufgeklärten fürstlichen Selbstherrschaft des achtzehnten Jahrhunderts empfangen. Die kluge Brauuschweigcrin hatte in sechzehnjähriger Negierung, von dem Geheimrat Greiner und dem etwas pedantischen aber einsichtigen und umsichtigen Minister Jakob von Fritsch unter¬ stützt, eine Reihe von Einrichtungen und Vorkehrungen für gute Verwaltung, Justiz und Forderung der Landeswohlfahrt getroffen, die zu der Zeit, als Goethe in das „Geheime Korsen," die höchste Behörde der Herzogtümer, eintrat, in der Hauptsache noch die Grundlagen der Negierung waren. Noch hat niemand ein ganz klares, deutliches und treues Bild der Zustände im Weimarischen Hof-, Staats- und Stadtleben gegeben, die Goethe vorfand, mit denen er ver¬ flochten wurde, und in die er hineinwuchs. Daran aber läßt sich nicht zweifeln, daß diese Zustände, so leidlich, ja vortrefflich sie im Vergleich mit den Zu¬ ständen andrer Kleinstaaten sein mochten, aller Orten und Enden verbesserungs¬ bedürftig waren. Noch in der Sprache des Sturms und Dranges drückte Goethe die Gefühle, die ihn inmitten der neuen Pflichten überkamen, in einer Reihe von Brief- und Tagebuchstellen aus, und wenn er an Merck am 5. Januar 1777 schrieb: „Ich lebe immer in der tollen Welt und bin sehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/343>, abgerufen am 23.07.2024.