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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Goethe als Kriegsminister

Die vorstehenden spöttischen Zeilen erhielt ich zur Antwort auf einige
Anfragen, die ich über Goethes Thätigkeit in der "fürstlich sächsischen Kriegs¬
kommission" während der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, an einen
in Weimarischer Vergangenheit wohlbewanderter Freund gerichtet hatte. Wäre
es ernstlich meine Aufgabe und Absicht gewesen, die kriegsministerielle Rolle
unsers Dichters zu einer Weltrolle aufzubauschen und die kleine Episode in dein
vielbewegten Leben des Dichters mit Wichtigkeit zu behandeln, so hätte die
erste Aufnahme meines Vorhabens wohl niederschlagend wirken können. Wer
hier eine allzu ernsthafte Miene aufsetzt, nach Goethes Wort ein wenig dänisch
dreinschaut und der Thatsache, daß der Dichter wirklich acht Jahre lang der
"Kriegsminister" der Herzogtümer Weimar und Eisenach gewesen ist, tiefere
Bedeutung für Goethes Universalität zumißt, als ihr zukommt, der fordert
die Ironie aller, die nach ihrer Meinung schon lange genng und zuviel vom
Dichter wissen, unnötig heraus. Weit zweckmäßiger würde vielen eine leichte,
humoristische Behandlung des Gegenstandes scheinen. Und wahrlich erweckt
es zunächst ein Lächeln, daß unser Dichter, der unbeschadet aller persönlichen
Mannhaftigkeit und eines Geistes, den die Gefahr zur Verwegenheit, ja Toll¬
kühnheit steigerte, doch durchaus ein Mann des Friedens war, die Leitung
der Militärverhültnisfe eines deutschen Kleinstaats bis auf das Geschäft der
Rekrutirung in die eigne Hand nehmen mußte. Sehen wir ihn freilich auch
auf diesem fremdartigen Gebiete die besten Eigenschaften seines Wesens ent¬
falten, erkennen wir, daß sich der unwiderstehliche Drang seiner Natur nach
klarer Ordnung, nach Einklang von Form und Wesen, nach der Wahrheit der
Dinge auch in seiner Leitung der hochfürstlich sächsischen Kriegskommission
bethätigt hat, so gewinnt die Erinnerung an Goethes Kriegsministerschaft
neben ihrer heitern eine durchaus ernsthafte Seite und ist nichts weniger als
gleichgiltig.

Man darf bei der Beurteilung der so vielseitigen und im Vergleich mit
seiner Innerlichkeit teilweise so wunderlichen Lebensaufgaben und Leistungen
Goethes im ersten Weimarischen Jahrzehnt nie vergessen, daß der junge
Frankfurter Advokat und neue Günstling des acht Jahre jüngern Herzogs im
November 1775 überlieferte Zustände vorfand, die stark verbesserungsbedürftig
sein mochten, aber die er erst kennen und beurteilen zu lernen hatte. Seit
ihn der fürstliche Freund in sein geheimes Korsen gesetzt und in hundert
Dingen zu seinem andern Ich gemacht hatte, lag Goethe die Doppelpflicht
auf, dem neuen Herrn auf Grund der seither üblichen Verhältnisse zu dienen
und doch, weil er wahre Anhänglichkeit an den Herzog gewonnen hatte, zur
Klärung und Verbesserung eben dieser Verhältnisse das Seinige beizutragen.
Es ist hundertfach nachgewiesen und gepriesen worden, wie der Dichter, zum
Teil mit entschiedner Selbstverleugnung und mit dem Opfer seiner eignen
Neigungen, dieser Doppelpflicht lange Jahre genügte. Und nicht minder


Goethe als Kriegsminister

Die vorstehenden spöttischen Zeilen erhielt ich zur Antwort auf einige
Anfragen, die ich über Goethes Thätigkeit in der „fürstlich sächsischen Kriegs¬
kommission" während der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, an einen
in Weimarischer Vergangenheit wohlbewanderter Freund gerichtet hatte. Wäre
es ernstlich meine Aufgabe und Absicht gewesen, die kriegsministerielle Rolle
unsers Dichters zu einer Weltrolle aufzubauschen und die kleine Episode in dein
vielbewegten Leben des Dichters mit Wichtigkeit zu behandeln, so hätte die
erste Aufnahme meines Vorhabens wohl niederschlagend wirken können. Wer
hier eine allzu ernsthafte Miene aufsetzt, nach Goethes Wort ein wenig dänisch
dreinschaut und der Thatsache, daß der Dichter wirklich acht Jahre lang der
„Kriegsminister" der Herzogtümer Weimar und Eisenach gewesen ist, tiefere
Bedeutung für Goethes Universalität zumißt, als ihr zukommt, der fordert
die Ironie aller, die nach ihrer Meinung schon lange genng und zuviel vom
Dichter wissen, unnötig heraus. Weit zweckmäßiger würde vielen eine leichte,
humoristische Behandlung des Gegenstandes scheinen. Und wahrlich erweckt
es zunächst ein Lächeln, daß unser Dichter, der unbeschadet aller persönlichen
Mannhaftigkeit und eines Geistes, den die Gefahr zur Verwegenheit, ja Toll¬
kühnheit steigerte, doch durchaus ein Mann des Friedens war, die Leitung
der Militärverhültnisfe eines deutschen Kleinstaats bis auf das Geschäft der
Rekrutirung in die eigne Hand nehmen mußte. Sehen wir ihn freilich auch
auf diesem fremdartigen Gebiete die besten Eigenschaften seines Wesens ent¬
falten, erkennen wir, daß sich der unwiderstehliche Drang seiner Natur nach
klarer Ordnung, nach Einklang von Form und Wesen, nach der Wahrheit der
Dinge auch in seiner Leitung der hochfürstlich sächsischen Kriegskommission
bethätigt hat, so gewinnt die Erinnerung an Goethes Kriegsministerschaft
neben ihrer heitern eine durchaus ernsthafte Seite und ist nichts weniger als
gleichgiltig.

Man darf bei der Beurteilung der so vielseitigen und im Vergleich mit
seiner Innerlichkeit teilweise so wunderlichen Lebensaufgaben und Leistungen
Goethes im ersten Weimarischen Jahrzehnt nie vergessen, daß der junge
Frankfurter Advokat und neue Günstling des acht Jahre jüngern Herzogs im
November 1775 überlieferte Zustände vorfand, die stark verbesserungsbedürftig
sein mochten, aber die er erst kennen und beurteilen zu lernen hatte. Seit
ihn der fürstliche Freund in sein geheimes Korsen gesetzt und in hundert
Dingen zu seinem andern Ich gemacht hatte, lag Goethe die Doppelpflicht
auf, dem neuen Herrn auf Grund der seither üblichen Verhältnisse zu dienen
und doch, weil er wahre Anhänglichkeit an den Herzog gewonnen hatte, zur
Klärung und Verbesserung eben dieser Verhältnisse das Seinige beizutragen.
Es ist hundertfach nachgewiesen und gepriesen worden, wie der Dichter, zum
Teil mit entschiedner Selbstverleugnung und mit dem Opfer seiner eignen
Neigungen, dieser Doppelpflicht lange Jahre genügte. Und nicht minder


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[0342] Goethe als Kriegsminister Die vorstehenden spöttischen Zeilen erhielt ich zur Antwort auf einige Anfragen, die ich über Goethes Thätigkeit in der „fürstlich sächsischen Kriegs¬ kommission" während der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, an einen in Weimarischer Vergangenheit wohlbewanderter Freund gerichtet hatte. Wäre es ernstlich meine Aufgabe und Absicht gewesen, die kriegsministerielle Rolle unsers Dichters zu einer Weltrolle aufzubauschen und die kleine Episode in dein vielbewegten Leben des Dichters mit Wichtigkeit zu behandeln, so hätte die erste Aufnahme meines Vorhabens wohl niederschlagend wirken können. Wer hier eine allzu ernsthafte Miene aufsetzt, nach Goethes Wort ein wenig dänisch dreinschaut und der Thatsache, daß der Dichter wirklich acht Jahre lang der „Kriegsminister" der Herzogtümer Weimar und Eisenach gewesen ist, tiefere Bedeutung für Goethes Universalität zumißt, als ihr zukommt, der fordert die Ironie aller, die nach ihrer Meinung schon lange genng und zuviel vom Dichter wissen, unnötig heraus. Weit zweckmäßiger würde vielen eine leichte, humoristische Behandlung des Gegenstandes scheinen. Und wahrlich erweckt es zunächst ein Lächeln, daß unser Dichter, der unbeschadet aller persönlichen Mannhaftigkeit und eines Geistes, den die Gefahr zur Verwegenheit, ja Toll¬ kühnheit steigerte, doch durchaus ein Mann des Friedens war, die Leitung der Militärverhültnisfe eines deutschen Kleinstaats bis auf das Geschäft der Rekrutirung in die eigne Hand nehmen mußte. Sehen wir ihn freilich auch auf diesem fremdartigen Gebiete die besten Eigenschaften seines Wesens ent¬ falten, erkennen wir, daß sich der unwiderstehliche Drang seiner Natur nach klarer Ordnung, nach Einklang von Form und Wesen, nach der Wahrheit der Dinge auch in seiner Leitung der hochfürstlich sächsischen Kriegskommission bethätigt hat, so gewinnt die Erinnerung an Goethes Kriegsministerschaft neben ihrer heitern eine durchaus ernsthafte Seite und ist nichts weniger als gleichgiltig. Man darf bei der Beurteilung der so vielseitigen und im Vergleich mit seiner Innerlichkeit teilweise so wunderlichen Lebensaufgaben und Leistungen Goethes im ersten Weimarischen Jahrzehnt nie vergessen, daß der junge Frankfurter Advokat und neue Günstling des acht Jahre jüngern Herzogs im November 1775 überlieferte Zustände vorfand, die stark verbesserungsbedürftig sein mochten, aber die er erst kennen und beurteilen zu lernen hatte. Seit ihn der fürstliche Freund in sein geheimes Korsen gesetzt und in hundert Dingen zu seinem andern Ich gemacht hatte, lag Goethe die Doppelpflicht auf, dem neuen Herrn auf Grund der seither üblichen Verhältnisse zu dienen und doch, weil er wahre Anhänglichkeit an den Herzog gewonnen hatte, zur Klärung und Verbesserung eben dieser Verhältnisse das Seinige beizutragen. Es ist hundertfach nachgewiesen und gepriesen worden, wie der Dichter, zum Teil mit entschiedner Selbstverleugnung und mit dem Opfer seiner eignen Neigungen, dieser Doppelpflicht lange Jahre genügte. Und nicht minder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/342>, abgerufen am 27.12.2024.