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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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General Friedrich von Gagern

legte Gagern sein Hauptquartier nach Freiburg, um den am Oberrhein cms-
gebrochnen Aufstand niederzuwerfen. Diesen hatten Hecker und Struve am
12. April im Namen einer "provisorischen Negierung" erklärt, aber der erhoffte
allgemeine Zuzug blieb aus, ein Unternehmen auf Donaueschingen wurde durch
das rechtzeitige Eintreffen der Württemberger vereitelt, und Hecker wandte sich
mit seiner Schar durch das Wiesenthal gegen Kandern, um das Rheinthal zu
erreichen. Hier trat ihm General von Gagern entgegen; er befehligte zwei
badische und ein großherzoglich hessisches Bataillon, drei Schwadronen badische
Dragoner und sechs Geschütze, im ganzen gegen 2400 Mann. Die Heckersche
Schar belief sich auf etwa 1000 Maun, der Mehrzahl nach Sensenmänner,
ihre "Artillerie" bestand aus zwei auf Pflugrädern mitgeführten Böllern. Das
badische Hauptquartier wurde am 19. nach Schliengen verlegt, und Gagern
beschloß, den Aufständischen andern Tags entgegenzugehen, um die Bewegung
in ihren Anfängen zu ersticken. Hecker war abends in Kandern eingetroffen.
Der Beschluß der Führer, nach Steinen zurückzugehen, wurde erst spät am
Morgen ausgeführt, als die Truppen bereits vor Kandern standen und das
Durcheinander in dem Städtchen wahrnehmen konnten. General von Gagern
hatte noch keine badische Uniform und befand sich im bürgerlichen Kleid an
der Spitze seiner Kolonne, bloß mit einem Säbel bewaffnet.

Der badische Regierungsrat Stephani begab sich mit einem Trompeter in
den Flecken, traf Hecker nicht mehr an, fand noch Pulverkarren, Wagen und
"Artillerie" unbespannt vor, konnte ungehindert die Aufrnhmkte verlesen, aller¬
dings ohne Erfolg, und kehrte zum General zurück, der sofort deu Weitermarsch
befahl. Ihm war klar, daß sich der Gegner gar nicht in der Verfassung be¬
fand, Widerstand zu leisten, einige Kanonenschüsse von der Höhe vor Kandern
hätten ausgereicht, die Schar zu zersprengen. General von Gagern sah davon
ab, er hielt die Gegenüberstehenden in der Mehrzahl nur für Verführte, wollte
unnützes Blutvergießen vermeiden und war überzeugt, seinen Zweck einfach
durch Drängen mit seinen Truppen zu erreichen. Diese erhielten Befehl, in
keinem Falle zuerst zu schießen. Die edle Menschenfreundlichkeit kostete dem
General das Leben.

Während noch die letzten Aufständischen den Flecken räumten, rückten die
Truppen ein und durch den Ort hindurch. Gagern entwickelte seine gesamte
Macht jenseits der Stadt, nur vier Geschütze blieben auf der Höhe vor Kandern,
von wo sie die Abmarschlinie des Gegners vollständig beherrschten. Kaum
achtzig Schritte von der Infanterie stand die Nachhut Henkers "in Schlacht¬
ordnung," d. h. Schützen hatten hinter Felsen und Bäumen im lichten Hoch¬
wald zu beiden Seiten der Straße Aufstellung genommen, der Haupttrupp
war schon längst im vollen Rückzug den Hohlweg hinauf. Auch von jener
Seite fiel kein Schuß. Gagern ließ die Freischärler durch einen Offizier noch¬
mals zur Niederlegung der Waffen auffordern, und als der Erfolg ausblieb,


General Friedrich von Gagern

legte Gagern sein Hauptquartier nach Freiburg, um den am Oberrhein cms-
gebrochnen Aufstand niederzuwerfen. Diesen hatten Hecker und Struve am
12. April im Namen einer „provisorischen Negierung" erklärt, aber der erhoffte
allgemeine Zuzug blieb aus, ein Unternehmen auf Donaueschingen wurde durch
das rechtzeitige Eintreffen der Württemberger vereitelt, und Hecker wandte sich
mit seiner Schar durch das Wiesenthal gegen Kandern, um das Rheinthal zu
erreichen. Hier trat ihm General von Gagern entgegen; er befehligte zwei
badische und ein großherzoglich hessisches Bataillon, drei Schwadronen badische
Dragoner und sechs Geschütze, im ganzen gegen 2400 Mann. Die Heckersche
Schar belief sich auf etwa 1000 Maun, der Mehrzahl nach Sensenmänner,
ihre „Artillerie" bestand aus zwei auf Pflugrädern mitgeführten Böllern. Das
badische Hauptquartier wurde am 19. nach Schliengen verlegt, und Gagern
beschloß, den Aufständischen andern Tags entgegenzugehen, um die Bewegung
in ihren Anfängen zu ersticken. Hecker war abends in Kandern eingetroffen.
Der Beschluß der Führer, nach Steinen zurückzugehen, wurde erst spät am
Morgen ausgeführt, als die Truppen bereits vor Kandern standen und das
Durcheinander in dem Städtchen wahrnehmen konnten. General von Gagern
hatte noch keine badische Uniform und befand sich im bürgerlichen Kleid an
der Spitze seiner Kolonne, bloß mit einem Säbel bewaffnet.

Der badische Regierungsrat Stephani begab sich mit einem Trompeter in
den Flecken, traf Hecker nicht mehr an, fand noch Pulverkarren, Wagen und
„Artillerie" unbespannt vor, konnte ungehindert die Aufrnhmkte verlesen, aller¬
dings ohne Erfolg, und kehrte zum General zurück, der sofort deu Weitermarsch
befahl. Ihm war klar, daß sich der Gegner gar nicht in der Verfassung be¬
fand, Widerstand zu leisten, einige Kanonenschüsse von der Höhe vor Kandern
hätten ausgereicht, die Schar zu zersprengen. General von Gagern sah davon
ab, er hielt die Gegenüberstehenden in der Mehrzahl nur für Verführte, wollte
unnützes Blutvergießen vermeiden und war überzeugt, seinen Zweck einfach
durch Drängen mit seinen Truppen zu erreichen. Diese erhielten Befehl, in
keinem Falle zuerst zu schießen. Die edle Menschenfreundlichkeit kostete dem
General das Leben.

Während noch die letzten Aufständischen den Flecken räumten, rückten die
Truppen ein und durch den Ort hindurch. Gagern entwickelte seine gesamte
Macht jenseits der Stadt, nur vier Geschütze blieben auf der Höhe vor Kandern,
von wo sie die Abmarschlinie des Gegners vollständig beherrschten. Kaum
achtzig Schritte von der Infanterie stand die Nachhut Henkers „in Schlacht¬
ordnung," d. h. Schützen hatten hinter Felsen und Bäumen im lichten Hoch¬
wald zu beiden Seiten der Straße Aufstellung genommen, der Haupttrupp
war schon längst im vollen Rückzug den Hohlweg hinauf. Auch von jener
Seite fiel kein Schuß. Gagern ließ die Freischärler durch einen Offizier noch¬
mals zur Niederlegung der Waffen auffordern, und als der Erfolg ausblieb,


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[0336] General Friedrich von Gagern legte Gagern sein Hauptquartier nach Freiburg, um den am Oberrhein cms- gebrochnen Aufstand niederzuwerfen. Diesen hatten Hecker und Struve am 12. April im Namen einer „provisorischen Negierung" erklärt, aber der erhoffte allgemeine Zuzug blieb aus, ein Unternehmen auf Donaueschingen wurde durch das rechtzeitige Eintreffen der Württemberger vereitelt, und Hecker wandte sich mit seiner Schar durch das Wiesenthal gegen Kandern, um das Rheinthal zu erreichen. Hier trat ihm General von Gagern entgegen; er befehligte zwei badische und ein großherzoglich hessisches Bataillon, drei Schwadronen badische Dragoner und sechs Geschütze, im ganzen gegen 2400 Mann. Die Heckersche Schar belief sich auf etwa 1000 Maun, der Mehrzahl nach Sensenmänner, ihre „Artillerie" bestand aus zwei auf Pflugrädern mitgeführten Böllern. Das badische Hauptquartier wurde am 19. nach Schliengen verlegt, und Gagern beschloß, den Aufständischen andern Tags entgegenzugehen, um die Bewegung in ihren Anfängen zu ersticken. Hecker war abends in Kandern eingetroffen. Der Beschluß der Führer, nach Steinen zurückzugehen, wurde erst spät am Morgen ausgeführt, als die Truppen bereits vor Kandern standen und das Durcheinander in dem Städtchen wahrnehmen konnten. General von Gagern hatte noch keine badische Uniform und befand sich im bürgerlichen Kleid an der Spitze seiner Kolonne, bloß mit einem Säbel bewaffnet. Der badische Regierungsrat Stephani begab sich mit einem Trompeter in den Flecken, traf Hecker nicht mehr an, fand noch Pulverkarren, Wagen und „Artillerie" unbespannt vor, konnte ungehindert die Aufrnhmkte verlesen, aller¬ dings ohne Erfolg, und kehrte zum General zurück, der sofort deu Weitermarsch befahl. Ihm war klar, daß sich der Gegner gar nicht in der Verfassung be¬ fand, Widerstand zu leisten, einige Kanonenschüsse von der Höhe vor Kandern hätten ausgereicht, die Schar zu zersprengen. General von Gagern sah davon ab, er hielt die Gegenüberstehenden in der Mehrzahl nur für Verführte, wollte unnützes Blutvergießen vermeiden und war überzeugt, seinen Zweck einfach durch Drängen mit seinen Truppen zu erreichen. Diese erhielten Befehl, in keinem Falle zuerst zu schießen. Die edle Menschenfreundlichkeit kostete dem General das Leben. Während noch die letzten Aufständischen den Flecken räumten, rückten die Truppen ein und durch den Ort hindurch. Gagern entwickelte seine gesamte Macht jenseits der Stadt, nur vier Geschütze blieben auf der Höhe vor Kandern, von wo sie die Abmarschlinie des Gegners vollständig beherrschten. Kaum achtzig Schritte von der Infanterie stand die Nachhut Henkers „in Schlacht¬ ordnung," d. h. Schützen hatten hinter Felsen und Bäumen im lichten Hoch¬ wald zu beiden Seiten der Straße Aufstellung genommen, der Haupttrupp war schon längst im vollen Rückzug den Hohlweg hinauf. Auch von jener Seite fiel kein Schuß. Gagern ließ die Freischärler durch einen Offizier noch¬ mals zur Niederlegung der Waffen auffordern, und als der Erfolg ausblieb,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/336>, abgerufen am 23.07.2024.