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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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General Friedrich von Gagern

schon am 11. in Karlsruhe zu Verhandlungen eingetroffen, verließ aber, nach¬
dem er einige Schwankungen bemerkt hatte, die Stadt am andern Morgen
wieder, um nicht als Ämtersuchender zu erscheinen. Das Angebot der badischen
Negierung, das Kommando und die Einrichtung der Vürgerwehr, sowie die
Stellvertretung des Prinzen Max in der Führung der badischen Division zu
übernehmen, folgte ihm unmittelbar nach Frankfurt nach. Die Vürgerwehr lehnte
er entschieden ab und erbot sich nur aus "Pflichtgefühl, mich im Augenblick der
Not einem ehrenvollen Auftrag nicht zu entziehen," und in der "Hoffnung,
meinem Vaterlande einen Dienst zu leisten," zur zeitweiligen Führung der
badischen Truppen. Die Ernennung hierzu mit dem Range eines General¬
leutnants erfolgte umgehend unter dem 14. April, und der General begab sich
nach Karlsruhe, nachdem er dem König von Holland seinen Entschluß angezeigt
und ihm anheimgestellt hatte, deswegen Rückberufung, Urlaub, Abschied oder
Entlassung zu verfügen. Er war also bereit, selbst ans seinen berechtigten
Pensionsanspruch zu verzichten. Die Übernahme eines fremden Kommandos
vor der Regelung der dienstlichen Beziehungen zu den Niederlanden ist nicht
einwandfrei, auch nicht bei der Berücksichtigung des Verzichts auf alle Rechte,
und es läßt sich als Entschuldigung dafür nur die überaus dringliche Lage
anführen, die eine schnelle Entscheidung verlangte.

Es empfiehlt sich, hier gleich die endgiltige Erledigung dieser Angelegenheit
vorauszuschicken. Der König ließ Gagern durch den Kriegsminister in einem
Schreiben vom 16. April zurückrufen, ohne indessen die Erlaubnis zur Übernahme
des badischen Kommandos zu verweigern, sondern bloß zur persönlichen Aus¬
kunft darüber, wie weit die Verpflichtungen etwa bei Feindseligkeiten von fran¬
zösischer Seite gingen, weil sich daraus diplomatische Schwierigkeiten ergeben
könnten. Der Brief erreichte den General erst spät am Abend des 19. in
Schliengen, als bereits der Befehl für den folgenden Tag ausgegeben war;
zwölf Stunden darnach war Friedrich von Gagern tot. Man ersieht aus
allem, daß der König geneigt war, möglichst weit entgegenzukommen, um den
General dem holländischen Dienst zu erhalten. Die Todesnachricht erschütterte
den König zu Thränen, und er ließ dem Vater, ohne irgendwie einen Vorwurf
anzudeuten, sein tiefstes Mitgefühl aussprechen- Auch von berufner nieder¬
ländischer Seite ist niemals ein Tadel gegen Friedrich von Gagern lant ge¬
worden; die ganze Armee wußte, daß er im Herzen immer ein Deutscher ge¬
wesen war.

Der General traf schon am 14. April in Karlsruhe ein, wo er gut em¬
pfangen wurde, und ihm der Großherzog eigne Pferde zur Verfügung stellte.
Er begab sich am folgenden Tage nach Willstedt bei Kehl und übernahm die
Führung der dort Straßburg gegenüber aufgestellten Truppen. Die sür den
Palmsonntag (16. April) gehegten Befürchtungen wegen eines Einfalls be¬
waffneter Scharen ans Frankreich fanden keine Bestätigung, und am 18. ver-


General Friedrich von Gagern

schon am 11. in Karlsruhe zu Verhandlungen eingetroffen, verließ aber, nach¬
dem er einige Schwankungen bemerkt hatte, die Stadt am andern Morgen
wieder, um nicht als Ämtersuchender zu erscheinen. Das Angebot der badischen
Negierung, das Kommando und die Einrichtung der Vürgerwehr, sowie die
Stellvertretung des Prinzen Max in der Führung der badischen Division zu
übernehmen, folgte ihm unmittelbar nach Frankfurt nach. Die Vürgerwehr lehnte
er entschieden ab und erbot sich nur aus „Pflichtgefühl, mich im Augenblick der
Not einem ehrenvollen Auftrag nicht zu entziehen," und in der „Hoffnung,
meinem Vaterlande einen Dienst zu leisten," zur zeitweiligen Führung der
badischen Truppen. Die Ernennung hierzu mit dem Range eines General¬
leutnants erfolgte umgehend unter dem 14. April, und der General begab sich
nach Karlsruhe, nachdem er dem König von Holland seinen Entschluß angezeigt
und ihm anheimgestellt hatte, deswegen Rückberufung, Urlaub, Abschied oder
Entlassung zu verfügen. Er war also bereit, selbst ans seinen berechtigten
Pensionsanspruch zu verzichten. Die Übernahme eines fremden Kommandos
vor der Regelung der dienstlichen Beziehungen zu den Niederlanden ist nicht
einwandfrei, auch nicht bei der Berücksichtigung des Verzichts auf alle Rechte,
und es läßt sich als Entschuldigung dafür nur die überaus dringliche Lage
anführen, die eine schnelle Entscheidung verlangte.

Es empfiehlt sich, hier gleich die endgiltige Erledigung dieser Angelegenheit
vorauszuschicken. Der König ließ Gagern durch den Kriegsminister in einem
Schreiben vom 16. April zurückrufen, ohne indessen die Erlaubnis zur Übernahme
des badischen Kommandos zu verweigern, sondern bloß zur persönlichen Aus¬
kunft darüber, wie weit die Verpflichtungen etwa bei Feindseligkeiten von fran¬
zösischer Seite gingen, weil sich daraus diplomatische Schwierigkeiten ergeben
könnten. Der Brief erreichte den General erst spät am Abend des 19. in
Schliengen, als bereits der Befehl für den folgenden Tag ausgegeben war;
zwölf Stunden darnach war Friedrich von Gagern tot. Man ersieht aus
allem, daß der König geneigt war, möglichst weit entgegenzukommen, um den
General dem holländischen Dienst zu erhalten. Die Todesnachricht erschütterte
den König zu Thränen, und er ließ dem Vater, ohne irgendwie einen Vorwurf
anzudeuten, sein tiefstes Mitgefühl aussprechen- Auch von berufner nieder¬
ländischer Seite ist niemals ein Tadel gegen Friedrich von Gagern lant ge¬
worden; die ganze Armee wußte, daß er im Herzen immer ein Deutscher ge¬
wesen war.

Der General traf schon am 14. April in Karlsruhe ein, wo er gut em¬
pfangen wurde, und ihm der Großherzog eigne Pferde zur Verfügung stellte.
Er begab sich am folgenden Tage nach Willstedt bei Kehl und übernahm die
Führung der dort Straßburg gegenüber aufgestellten Truppen. Die sür den
Palmsonntag (16. April) gehegten Befürchtungen wegen eines Einfalls be¬
waffneter Scharen ans Frankreich fanden keine Bestätigung, und am 18. ver-


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[0335] General Friedrich von Gagern schon am 11. in Karlsruhe zu Verhandlungen eingetroffen, verließ aber, nach¬ dem er einige Schwankungen bemerkt hatte, die Stadt am andern Morgen wieder, um nicht als Ämtersuchender zu erscheinen. Das Angebot der badischen Negierung, das Kommando und die Einrichtung der Vürgerwehr, sowie die Stellvertretung des Prinzen Max in der Führung der badischen Division zu übernehmen, folgte ihm unmittelbar nach Frankfurt nach. Die Vürgerwehr lehnte er entschieden ab und erbot sich nur aus „Pflichtgefühl, mich im Augenblick der Not einem ehrenvollen Auftrag nicht zu entziehen," und in der „Hoffnung, meinem Vaterlande einen Dienst zu leisten," zur zeitweiligen Führung der badischen Truppen. Die Ernennung hierzu mit dem Range eines General¬ leutnants erfolgte umgehend unter dem 14. April, und der General begab sich nach Karlsruhe, nachdem er dem König von Holland seinen Entschluß angezeigt und ihm anheimgestellt hatte, deswegen Rückberufung, Urlaub, Abschied oder Entlassung zu verfügen. Er war also bereit, selbst ans seinen berechtigten Pensionsanspruch zu verzichten. Die Übernahme eines fremden Kommandos vor der Regelung der dienstlichen Beziehungen zu den Niederlanden ist nicht einwandfrei, auch nicht bei der Berücksichtigung des Verzichts auf alle Rechte, und es läßt sich als Entschuldigung dafür nur die überaus dringliche Lage anführen, die eine schnelle Entscheidung verlangte. Es empfiehlt sich, hier gleich die endgiltige Erledigung dieser Angelegenheit vorauszuschicken. Der König ließ Gagern durch den Kriegsminister in einem Schreiben vom 16. April zurückrufen, ohne indessen die Erlaubnis zur Übernahme des badischen Kommandos zu verweigern, sondern bloß zur persönlichen Aus¬ kunft darüber, wie weit die Verpflichtungen etwa bei Feindseligkeiten von fran¬ zösischer Seite gingen, weil sich daraus diplomatische Schwierigkeiten ergeben könnten. Der Brief erreichte den General erst spät am Abend des 19. in Schliengen, als bereits der Befehl für den folgenden Tag ausgegeben war; zwölf Stunden darnach war Friedrich von Gagern tot. Man ersieht aus allem, daß der König geneigt war, möglichst weit entgegenzukommen, um den General dem holländischen Dienst zu erhalten. Die Todesnachricht erschütterte den König zu Thränen, und er ließ dem Vater, ohne irgendwie einen Vorwurf anzudeuten, sein tiefstes Mitgefühl aussprechen- Auch von berufner nieder¬ ländischer Seite ist niemals ein Tadel gegen Friedrich von Gagern lant ge¬ worden; die ganze Armee wußte, daß er im Herzen immer ein Deutscher ge¬ wesen war. Der General traf schon am 14. April in Karlsruhe ein, wo er gut em¬ pfangen wurde, und ihm der Großherzog eigne Pferde zur Verfügung stellte. Er begab sich am folgenden Tage nach Willstedt bei Kehl und übernahm die Führung der dort Straßburg gegenüber aufgestellten Truppen. Die sür den Palmsonntag (16. April) gehegten Befürchtungen wegen eines Einfalls be¬ waffneter Scharen ans Frankreich fanden keine Bestätigung, und am 18. ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/335>, abgerufen am 23.07.2024.