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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Die Magyarisirung der Grtsnamen

Zeugung und Erwägung treu nur ungarischen Staate Hunger. Rückkehr früherer
Zustände, absolutistische Regierung -- das sind Unmöglichkeiten, an die nie¬
mand denkt. Und wenn nach dem Kriegsjahr 1870/71 ein phantastischer
Großdeutschtümler gelegentlich einmal den Mund vollnahm und von einem
Eingreifen Deutschlands zu unsern Gunsten fabelte, rinn so waren das un¬
praktische Träumer, die niemand ernst genommen hat, und die heute längst
vergessen sind. Also, wir sind aus ehrlicher Überzeugung, wir sind aus poli¬
tischer Erwägung gute Ungarn und erkennen der magyarischen Nation gern
die Führung zu. Wir bezweifeln, daß Slowaken und Rutheuen, daß Serben
und Rumänen, die von Nord und Süd aus fremden Staatsgebieten in breiten
Massen nach Ungarn hineingreifen, in gleich rückhaltloser Weise dieses magya¬
rische Staatswesen und dessen magyarische Leitung anerkennen.

Und die Magyaren bezweifeln das selbst. Und gelegentlich zeigt sich eine
ganz gewöhnliche blasse Angst vor diesen Nationalitäten, am meisten vor den
Rumänen, die in unheimlicher Zunahme begriffen sind, die man ja doch nicht
durch ein pharcwnisches Gesetz hemmen kann. Und einsichtsvolle Magyaren
müßten es wissen, daß die Sachsen in Siebenbürgen ihnen unentbehrliche
Bundesgenossen seien, die ihnen nie gefährlich werden können, deren Schwächung
ein großer Fehler sei. Und nun rüttelt eine Afterstaatskunst, die die Zu¬
stimmung der Massen berauscht, und die die Schaffung neuer Gesetze als den
höchsten Erfolg sieht, an den festesten Stützen. Und diese Staatskünstler sehen
nicht ein, daß die Entfremdung der Sachsen eine Schwächung der Magyaren ist.

Glauben denn diese im Ernst, daß die anderthalb Millionen Rumänen
Siebenbürgens ewig passiv bleiben und sich und ihrer Erbitterung höchstens
in ein paar Demonstrationen und Zeitungsartikeln Luft machen werden?
Glauben die Magyaren wirklich, daß es auf die Dauer möglich sein werde,
acht Millionen Nichtmagyaren ohne Vertretung im ungarischen Reichsparlament
zu lassen? Und daß sie dort ewig so friedlich unter einander vierhundert
Magyaren gegen dreizehn Sachsen sein werden? Wenn die Sachsen mit den
Rumänen zusammengingen und sie organisirten, so könnte man in Sieben¬
bürgen schon bei den nächsten Reichstagswahlen erstaunliches erleben, und es
wäre den Magyaren nicht lieb.

Vorläufig ist das Gesetz im Abgeordnetenhause angenommen worden, mit
dem oben erwähnten Szentivanyischen Zusatz. Und es wird seinen weitern
Gang gehen. Vorläufig hat es das Gute gehabt, die Sachsen zu einigen, die
nicht in ihrer Gesinnung gespalten waren, sondern nur in ihrer Ansicht über
Mittel und Wege. Die verschiednen Kreisausschüsse und die von ihnen be¬
rufnen Wählerversammlungen haben eine seltne Einmütigkeit bewiesen. Kron¬
stäbe und Hermannstadt haben ihre Deputaten schon zum Austritt aus der
Regierungspartei aufgefordert, und die Kronstädter Abgeordneten Hintz und
Schmidt sind der Aufforderung schon nachgekommen.


Die Magyarisirung der Grtsnamen

Zeugung und Erwägung treu nur ungarischen Staate Hunger. Rückkehr früherer
Zustände, absolutistische Regierung — das sind Unmöglichkeiten, an die nie¬
mand denkt. Und wenn nach dem Kriegsjahr 1870/71 ein phantastischer
Großdeutschtümler gelegentlich einmal den Mund vollnahm und von einem
Eingreifen Deutschlands zu unsern Gunsten fabelte, rinn so waren das un¬
praktische Träumer, die niemand ernst genommen hat, und die heute längst
vergessen sind. Also, wir sind aus ehrlicher Überzeugung, wir sind aus poli¬
tischer Erwägung gute Ungarn und erkennen der magyarischen Nation gern
die Führung zu. Wir bezweifeln, daß Slowaken und Rutheuen, daß Serben
und Rumänen, die von Nord und Süd aus fremden Staatsgebieten in breiten
Massen nach Ungarn hineingreifen, in gleich rückhaltloser Weise dieses magya¬
rische Staatswesen und dessen magyarische Leitung anerkennen.

Und die Magyaren bezweifeln das selbst. Und gelegentlich zeigt sich eine
ganz gewöhnliche blasse Angst vor diesen Nationalitäten, am meisten vor den
Rumänen, die in unheimlicher Zunahme begriffen sind, die man ja doch nicht
durch ein pharcwnisches Gesetz hemmen kann. Und einsichtsvolle Magyaren
müßten es wissen, daß die Sachsen in Siebenbürgen ihnen unentbehrliche
Bundesgenossen seien, die ihnen nie gefährlich werden können, deren Schwächung
ein großer Fehler sei. Und nun rüttelt eine Afterstaatskunst, die die Zu¬
stimmung der Massen berauscht, und die die Schaffung neuer Gesetze als den
höchsten Erfolg sieht, an den festesten Stützen. Und diese Staatskünstler sehen
nicht ein, daß die Entfremdung der Sachsen eine Schwächung der Magyaren ist.

Glauben denn diese im Ernst, daß die anderthalb Millionen Rumänen
Siebenbürgens ewig passiv bleiben und sich und ihrer Erbitterung höchstens
in ein paar Demonstrationen und Zeitungsartikeln Luft machen werden?
Glauben die Magyaren wirklich, daß es auf die Dauer möglich sein werde,
acht Millionen Nichtmagyaren ohne Vertretung im ungarischen Reichsparlament
zu lassen? Und daß sie dort ewig so friedlich unter einander vierhundert
Magyaren gegen dreizehn Sachsen sein werden? Wenn die Sachsen mit den
Rumänen zusammengingen und sie organisirten, so könnte man in Sieben¬
bürgen schon bei den nächsten Reichstagswahlen erstaunliches erleben, und es
wäre den Magyaren nicht lieb.

Vorläufig ist das Gesetz im Abgeordnetenhause angenommen worden, mit
dem oben erwähnten Szentivanyischen Zusatz. Und es wird seinen weitern
Gang gehen. Vorläufig hat es das Gute gehabt, die Sachsen zu einigen, die
nicht in ihrer Gesinnung gespalten waren, sondern nur in ihrer Ansicht über
Mittel und Wege. Die verschiednen Kreisausschüsse und die von ihnen be¬
rufnen Wählerversammlungen haben eine seltne Einmütigkeit bewiesen. Kron¬
stäbe und Hermannstadt haben ihre Deputaten schon zum Austritt aus der
Regierungspartei aufgefordert, und die Kronstädter Abgeordneten Hintz und
Schmidt sind der Aufforderung schon nachgekommen.


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[0331] Die Magyarisirung der Grtsnamen Zeugung und Erwägung treu nur ungarischen Staate Hunger. Rückkehr früherer Zustände, absolutistische Regierung — das sind Unmöglichkeiten, an die nie¬ mand denkt. Und wenn nach dem Kriegsjahr 1870/71 ein phantastischer Großdeutschtümler gelegentlich einmal den Mund vollnahm und von einem Eingreifen Deutschlands zu unsern Gunsten fabelte, rinn so waren das un¬ praktische Träumer, die niemand ernst genommen hat, und die heute längst vergessen sind. Also, wir sind aus ehrlicher Überzeugung, wir sind aus poli¬ tischer Erwägung gute Ungarn und erkennen der magyarischen Nation gern die Führung zu. Wir bezweifeln, daß Slowaken und Rutheuen, daß Serben und Rumänen, die von Nord und Süd aus fremden Staatsgebieten in breiten Massen nach Ungarn hineingreifen, in gleich rückhaltloser Weise dieses magya¬ rische Staatswesen und dessen magyarische Leitung anerkennen. Und die Magyaren bezweifeln das selbst. Und gelegentlich zeigt sich eine ganz gewöhnliche blasse Angst vor diesen Nationalitäten, am meisten vor den Rumänen, die in unheimlicher Zunahme begriffen sind, die man ja doch nicht durch ein pharcwnisches Gesetz hemmen kann. Und einsichtsvolle Magyaren müßten es wissen, daß die Sachsen in Siebenbürgen ihnen unentbehrliche Bundesgenossen seien, die ihnen nie gefährlich werden können, deren Schwächung ein großer Fehler sei. Und nun rüttelt eine Afterstaatskunst, die die Zu¬ stimmung der Massen berauscht, und die die Schaffung neuer Gesetze als den höchsten Erfolg sieht, an den festesten Stützen. Und diese Staatskünstler sehen nicht ein, daß die Entfremdung der Sachsen eine Schwächung der Magyaren ist. Glauben denn diese im Ernst, daß die anderthalb Millionen Rumänen Siebenbürgens ewig passiv bleiben und sich und ihrer Erbitterung höchstens in ein paar Demonstrationen und Zeitungsartikeln Luft machen werden? Glauben die Magyaren wirklich, daß es auf die Dauer möglich sein werde, acht Millionen Nichtmagyaren ohne Vertretung im ungarischen Reichsparlament zu lassen? Und daß sie dort ewig so friedlich unter einander vierhundert Magyaren gegen dreizehn Sachsen sein werden? Wenn die Sachsen mit den Rumänen zusammengingen und sie organisirten, so könnte man in Sieben¬ bürgen schon bei den nächsten Reichstagswahlen erstaunliches erleben, und es wäre den Magyaren nicht lieb. Vorläufig ist das Gesetz im Abgeordnetenhause angenommen worden, mit dem oben erwähnten Szentivanyischen Zusatz. Und es wird seinen weitern Gang gehen. Vorläufig hat es das Gute gehabt, die Sachsen zu einigen, die nicht in ihrer Gesinnung gespalten waren, sondern nur in ihrer Ansicht über Mittel und Wege. Die verschiednen Kreisausschüsse und die von ihnen be¬ rufnen Wählerversammlungen haben eine seltne Einmütigkeit bewiesen. Kron¬ stäbe und Hermannstadt haben ihre Deputaten schon zum Austritt aus der Regierungspartei aufgefordert, und die Kronstädter Abgeordneten Hintz und Schmidt sind der Aufforderung schon nachgekommen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/331>, abgerufen am 23.07.2024.