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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Die Magyaristrung der Ortsnamen

kann ferner kaum noch gesungen werden. Denn in magyarischer Verballhor-
nnng geht das doch nicht an; und der Gefahr wird man sich nicht aussetzen
wollen, daß ein Herr Obergespan oder ein andrer Beamter, und diese Herren
sind oft recht unberechenbar, das Absingen verbiete oder von seiner Gunst ab¬
hängig mache! In vielen Fällen wird man lieber verzichten.

Eines der schönsten Lieder der Sachsen:


Bei Marienburg, bei Marienburg
Im leichenvollen Feld

besingt die Niederlage und den Untergang der Kronstädter -- vierzig Gym¬
nasiasten kämpften und starben mit -- im Kampf gegen den Wüterich Gabriel
Bathori. Wird man in Zukunft singen: Bei Földwir, bei Földv-ir?

Ja, Namen sind eben nicht etwas gleichgiltiges, und erst wenn die Gefahr
droht, sie zu verlieren, erhält ein Volk das volle Bewußtsein davon, wie sehr
seine Seele mit dem Namen verbunden und verflochten ist.

Die siebenbürger Sachsen haben in den letzten Jahren eine Politik ver¬
folgt, die von vielen ihrer Freunde, auch in Deutschland, arg getadelt worden
ist. Sie wurde als eine Politik der Unterwerfung, der Charakterlosigkeit und
Feigheit dargestellt. Auch unter den Sachsen selbst entstand Zwiespalt, indem
die Partei der "Grünen" der Politik der leitenden Kreise, gleichsam der offi¬
ziellen Politik entgegenarbeitete; die Grünen erhoben dieselben Vorwürfe gegen
die "Gemäßigten." Es ist Thatsache, daß das sächsische Volk vor etwa sieben
Jahren nach zwanzigjährigen Widerstande gegen magyarische Vergewaltigung
klein, arm, zerstreut zwischen andern Nationen wohnend, kampfesmüde und
friedensbedürftig erschien. Damals kamen die einsichtigsten Männer, bis dahin
die Führer im Kampfe, zu der Überzeugung, daß eine Fortsetzung des Kampfes
in derselben Art die Kräfte des Volkes übersteige, und daß man einer Krise
entgegentreibe; Ruhe, Sammlung, Kräftigung sei unumgängliches Bedürfnis.
Und als damals beim Rücktritt Tiszas sich auch bei der Negierung billiges
Entgegenkommen fand, hoffte man, ohne sachlich und rechtlich etwas wesent¬
liches zu opfern, ein erträgliches Verhältnis anzubahnen. Und dieses Ver¬
hältnis hat wirklich eine Reihe von Jahren gedauert. Die Magyaren werden
es natürlich nie zugeben, daß dieses Verhältnis auch ihnen Vorteil gebracht
hat, und doch ist es so.

Die Sachsen sind gering an Zahl. Aber ihre historische Vergangenheit
und ihre historischen Rechte, die in Ungarn nie vergessen und übersehen werden
können, ihre Intelligenz, ihre Arbeitskraft, ihr fester Zusammenhalt, ihr Wohl¬
stand, der zwar vielfach überschützt worden ist, der schwere Einbußen erlitten hat,
der sich aber in einer armen Umgebung immerhin fast stattlich ausnimmt --
das alles sind Dinge, die den Sachsen eine weit über ihre Zahl hinausgehende
Bedeutung sichern. Nun sind die Sachsen anch die einzigen, die aus Über-


Die Magyaristrung der Ortsnamen

kann ferner kaum noch gesungen werden. Denn in magyarischer Verballhor-
nnng geht das doch nicht an; und der Gefahr wird man sich nicht aussetzen
wollen, daß ein Herr Obergespan oder ein andrer Beamter, und diese Herren
sind oft recht unberechenbar, das Absingen verbiete oder von seiner Gunst ab¬
hängig mache! In vielen Fällen wird man lieber verzichten.

Eines der schönsten Lieder der Sachsen:


Bei Marienburg, bei Marienburg
Im leichenvollen Feld

besingt die Niederlage und den Untergang der Kronstädter — vierzig Gym¬
nasiasten kämpften und starben mit — im Kampf gegen den Wüterich Gabriel
Bathori. Wird man in Zukunft singen: Bei Földwir, bei Földv-ir?

Ja, Namen sind eben nicht etwas gleichgiltiges, und erst wenn die Gefahr
droht, sie zu verlieren, erhält ein Volk das volle Bewußtsein davon, wie sehr
seine Seele mit dem Namen verbunden und verflochten ist.

Die siebenbürger Sachsen haben in den letzten Jahren eine Politik ver¬
folgt, die von vielen ihrer Freunde, auch in Deutschland, arg getadelt worden
ist. Sie wurde als eine Politik der Unterwerfung, der Charakterlosigkeit und
Feigheit dargestellt. Auch unter den Sachsen selbst entstand Zwiespalt, indem
die Partei der „Grünen" der Politik der leitenden Kreise, gleichsam der offi¬
ziellen Politik entgegenarbeitete; die Grünen erhoben dieselben Vorwürfe gegen
die „Gemäßigten." Es ist Thatsache, daß das sächsische Volk vor etwa sieben
Jahren nach zwanzigjährigen Widerstande gegen magyarische Vergewaltigung
klein, arm, zerstreut zwischen andern Nationen wohnend, kampfesmüde und
friedensbedürftig erschien. Damals kamen die einsichtigsten Männer, bis dahin
die Führer im Kampfe, zu der Überzeugung, daß eine Fortsetzung des Kampfes
in derselben Art die Kräfte des Volkes übersteige, und daß man einer Krise
entgegentreibe; Ruhe, Sammlung, Kräftigung sei unumgängliches Bedürfnis.
Und als damals beim Rücktritt Tiszas sich auch bei der Negierung billiges
Entgegenkommen fand, hoffte man, ohne sachlich und rechtlich etwas wesent¬
liches zu opfern, ein erträgliches Verhältnis anzubahnen. Und dieses Ver¬
hältnis hat wirklich eine Reihe von Jahren gedauert. Die Magyaren werden
es natürlich nie zugeben, daß dieses Verhältnis auch ihnen Vorteil gebracht
hat, und doch ist es so.

Die Sachsen sind gering an Zahl. Aber ihre historische Vergangenheit
und ihre historischen Rechte, die in Ungarn nie vergessen und übersehen werden
können, ihre Intelligenz, ihre Arbeitskraft, ihr fester Zusammenhalt, ihr Wohl¬
stand, der zwar vielfach überschützt worden ist, der schwere Einbußen erlitten hat,
der sich aber in einer armen Umgebung immerhin fast stattlich ausnimmt —
das alles sind Dinge, die den Sachsen eine weit über ihre Zahl hinausgehende
Bedeutung sichern. Nun sind die Sachsen anch die einzigen, die aus Über-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/330>, abgerufen am 27.12.2024.