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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Zur Charakteristik König Alberts

liebe Einsamkeit zerstören würden, durch die Wiesen gehen sieht, in grauer
Jagdjoppe, einen leichten Filzhut auf dem Haupte, den Stock in der Hand
und von ein paar Hunden umsprungen, der kann nicht ahnen, daß er den
Sieger von Beaumont vor sich hat. Auch in der Unterhaltung tritt das
wenig hervor. Das kluge, blaue Auge blickt so freundlich, der Ton seiner
Rede ist so ungezwungen, daß der von ihm Angesprochne zuweilen gut thut,
sich im stillen zu erinnern, daß der König mit ihm spricht. Er hat gar nicht
das Bedürfnis, seine Ansichten und Empfindungen vor der Öffentlichkeit aus-
zusprechen, er ist überhaupt kein Redner, aber er weiß das Notwendige und
Passende auch öffentlich gut und klar zu sagen, mit kräftiger, weithin ver¬
ständlicher Stimme, in kurzen, schlichten Sätzen. Auch von andern liebt er
lange Reden gar nicht; Festlichkeiten derart, denen er die Ehre seiner Gegen¬
wart schenkt, müssen kurz sein. Aber König Albert ist ein trefflicher Erzähler,
denn er hat das ausgezeichnete Gedächtnis für Menschen und Dinge, das den
meisten Wettinern eigen gewesen ist, und er verfügt dazu über eine reiche Er¬
fahrung.

Sein einfacher, schlichter Sinn zeigt sich auch darin, daß er den Verufeu,
die zu den ursprünglichsten der Menschheit gehören, besonders zugethan ist.
Er ist ein passionirter Jäger und Soldat, und gerade diese Thätigkeit, die
rüstige Bewegung im Freien bei jedem Wetter, erhält ihn auch im Alter noch
frisch und spannkräftig. Je mehr Wild zur Strecke gebracht wird, desto besser
die Laune; fällt die Beute mager aus, dann hat der Oberförster des Reviers
keine Ursache, sich des Tages zu freuen. Ist aber alles nach Wunsch ge¬
gangen, und sammeln sich die Weidgesellen zur gastlichen Tafel, dann giebt sich
der königliche Jagdherr ganz offen, erzählt selbst gern und läßt sich erzählen
und lacht oft von Herzen. Für Menschen und Dinge hat er einen sehr scharfen
Blick, auch in Kleinigkeiten. Ein Dresdner Herr, der zu mancherlei Sport
neigte, hatte sich einmal von dem Oberförster in der Heide ausgebeten, bei einer
königlichen Jagd als Treiber verwandt zu werden, um sie sich ordentlich
in der Nähe anzusehen, was sonst nicht möglich war. Als nun die Jagd¬
gesellschaft frühstückte und die Treiber in ehrfurchtsvoller Entfernung ringsum
standen, fiel der Blick des Königs auf diesen Sportsmann, der natürlich
ebenso jagdmäßig gekleidet war wie die andern und nach einigen Stunden
des Marsches durch dick und dünn keineswegs elegant aussah. Er winkt
dem Oberförster, und auf den Mann zeigend sagt er: "Das ist doch kein
Treiber, wer ist denn das?" Der Oberförster bekennt natürlich sofort sein
Verbrechen und nennt den Namen, der König aber sagt gemütlich: "Nun, da
mag er doch mit zum Frühstück kommen," und unterhält sich dann freundlich
mit dem eingeschmuggelten Treiber.

Überfeinen militärischen Scharfblick zureden wäre überflüssig; er hat ihn
in zwei großen Feldzügen bewährt, er bewährt ihn aber auch bei minder


Zur Charakteristik König Alberts

liebe Einsamkeit zerstören würden, durch die Wiesen gehen sieht, in grauer
Jagdjoppe, einen leichten Filzhut auf dem Haupte, den Stock in der Hand
und von ein paar Hunden umsprungen, der kann nicht ahnen, daß er den
Sieger von Beaumont vor sich hat. Auch in der Unterhaltung tritt das
wenig hervor. Das kluge, blaue Auge blickt so freundlich, der Ton seiner
Rede ist so ungezwungen, daß der von ihm Angesprochne zuweilen gut thut,
sich im stillen zu erinnern, daß der König mit ihm spricht. Er hat gar nicht
das Bedürfnis, seine Ansichten und Empfindungen vor der Öffentlichkeit aus-
zusprechen, er ist überhaupt kein Redner, aber er weiß das Notwendige und
Passende auch öffentlich gut und klar zu sagen, mit kräftiger, weithin ver¬
ständlicher Stimme, in kurzen, schlichten Sätzen. Auch von andern liebt er
lange Reden gar nicht; Festlichkeiten derart, denen er die Ehre seiner Gegen¬
wart schenkt, müssen kurz sein. Aber König Albert ist ein trefflicher Erzähler,
denn er hat das ausgezeichnete Gedächtnis für Menschen und Dinge, das den
meisten Wettinern eigen gewesen ist, und er verfügt dazu über eine reiche Er¬
fahrung.

Sein einfacher, schlichter Sinn zeigt sich auch darin, daß er den Verufeu,
die zu den ursprünglichsten der Menschheit gehören, besonders zugethan ist.
Er ist ein passionirter Jäger und Soldat, und gerade diese Thätigkeit, die
rüstige Bewegung im Freien bei jedem Wetter, erhält ihn auch im Alter noch
frisch und spannkräftig. Je mehr Wild zur Strecke gebracht wird, desto besser
die Laune; fällt die Beute mager aus, dann hat der Oberförster des Reviers
keine Ursache, sich des Tages zu freuen. Ist aber alles nach Wunsch ge¬
gangen, und sammeln sich die Weidgesellen zur gastlichen Tafel, dann giebt sich
der königliche Jagdherr ganz offen, erzählt selbst gern und läßt sich erzählen
und lacht oft von Herzen. Für Menschen und Dinge hat er einen sehr scharfen
Blick, auch in Kleinigkeiten. Ein Dresdner Herr, der zu mancherlei Sport
neigte, hatte sich einmal von dem Oberförster in der Heide ausgebeten, bei einer
königlichen Jagd als Treiber verwandt zu werden, um sie sich ordentlich
in der Nähe anzusehen, was sonst nicht möglich war. Als nun die Jagd¬
gesellschaft frühstückte und die Treiber in ehrfurchtsvoller Entfernung ringsum
standen, fiel der Blick des Königs auf diesen Sportsmann, der natürlich
ebenso jagdmäßig gekleidet war wie die andern und nach einigen Stunden
des Marsches durch dick und dünn keineswegs elegant aussah. Er winkt
dem Oberförster, und auf den Mann zeigend sagt er: „Das ist doch kein
Treiber, wer ist denn das?" Der Oberförster bekennt natürlich sofort sein
Verbrechen und nennt den Namen, der König aber sagt gemütlich: „Nun, da
mag er doch mit zum Frühstück kommen," und unterhält sich dann freundlich
mit dem eingeschmuggelten Treiber.

Überfeinen militärischen Scharfblick zureden wäre überflüssig; er hat ihn
in zwei großen Feldzügen bewährt, er bewährt ihn aber auch bei minder


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[0245] Zur Charakteristik König Alberts liebe Einsamkeit zerstören würden, durch die Wiesen gehen sieht, in grauer Jagdjoppe, einen leichten Filzhut auf dem Haupte, den Stock in der Hand und von ein paar Hunden umsprungen, der kann nicht ahnen, daß er den Sieger von Beaumont vor sich hat. Auch in der Unterhaltung tritt das wenig hervor. Das kluge, blaue Auge blickt so freundlich, der Ton seiner Rede ist so ungezwungen, daß der von ihm Angesprochne zuweilen gut thut, sich im stillen zu erinnern, daß der König mit ihm spricht. Er hat gar nicht das Bedürfnis, seine Ansichten und Empfindungen vor der Öffentlichkeit aus- zusprechen, er ist überhaupt kein Redner, aber er weiß das Notwendige und Passende auch öffentlich gut und klar zu sagen, mit kräftiger, weithin ver¬ ständlicher Stimme, in kurzen, schlichten Sätzen. Auch von andern liebt er lange Reden gar nicht; Festlichkeiten derart, denen er die Ehre seiner Gegen¬ wart schenkt, müssen kurz sein. Aber König Albert ist ein trefflicher Erzähler, denn er hat das ausgezeichnete Gedächtnis für Menschen und Dinge, das den meisten Wettinern eigen gewesen ist, und er verfügt dazu über eine reiche Er¬ fahrung. Sein einfacher, schlichter Sinn zeigt sich auch darin, daß er den Verufeu, die zu den ursprünglichsten der Menschheit gehören, besonders zugethan ist. Er ist ein passionirter Jäger und Soldat, und gerade diese Thätigkeit, die rüstige Bewegung im Freien bei jedem Wetter, erhält ihn auch im Alter noch frisch und spannkräftig. Je mehr Wild zur Strecke gebracht wird, desto besser die Laune; fällt die Beute mager aus, dann hat der Oberförster des Reviers keine Ursache, sich des Tages zu freuen. Ist aber alles nach Wunsch ge¬ gangen, und sammeln sich die Weidgesellen zur gastlichen Tafel, dann giebt sich der königliche Jagdherr ganz offen, erzählt selbst gern und läßt sich erzählen und lacht oft von Herzen. Für Menschen und Dinge hat er einen sehr scharfen Blick, auch in Kleinigkeiten. Ein Dresdner Herr, der zu mancherlei Sport neigte, hatte sich einmal von dem Oberförster in der Heide ausgebeten, bei einer königlichen Jagd als Treiber verwandt zu werden, um sie sich ordentlich in der Nähe anzusehen, was sonst nicht möglich war. Als nun die Jagd¬ gesellschaft frühstückte und die Treiber in ehrfurchtsvoller Entfernung ringsum standen, fiel der Blick des Königs auf diesen Sportsmann, der natürlich ebenso jagdmäßig gekleidet war wie die andern und nach einigen Stunden des Marsches durch dick und dünn keineswegs elegant aussah. Er winkt dem Oberförster, und auf den Mann zeigend sagt er: „Das ist doch kein Treiber, wer ist denn das?" Der Oberförster bekennt natürlich sofort sein Verbrechen und nennt den Namen, der König aber sagt gemütlich: „Nun, da mag er doch mit zum Frühstück kommen," und unterhält sich dann freundlich mit dem eingeschmuggelten Treiber. Überfeinen militärischen Scharfblick zureden wäre überflüssig; er hat ihn in zwei großen Feldzügen bewährt, er bewährt ihn aber auch bei minder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/245>, abgerufen am 27.12.2024.