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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Zur Charakteristik Aönig Alberts

Staatsmann macht, sondern die Wahl der Mittel, die zum Ziele führen, und
ihre Anwendung zur richtigen Zeit. Als Pnrteipolitiker steht Chamberlain in
England ohne gleichen da. Als Staatsmann ward er gewogen und zu leicht
befunden, und wir glauben nicht, daß die Zeit aus dem Parteipolitiker trotz
all seiner Entwicklungsfähigkeit einen Staatsmann machen kann.




Zur (Lharakteristik König Alberts

n den eben verflossenen Festtagen ist es deutlich hervorgetreten,
daß das, was zunächst die Sachsen an ihren König bindet, nicht
nur sein Wirken ist, sondern auch seine Persönlichkeit. Freilich
wissen wir von dem, was er ist, noch viel weniger, als von dem,
was er thut, und so kann auch das Bild, das die folgenden
Zeilen zu zeichnen versuchen, nnr eine Skizze und eine unvollkommne Skizze sein.
Über die Grundzüge dieses Charakterbildes kann allerdings kein Zweifel sein:
klare Verständigkeit, tiefes Gemüt, ehrliches Wohlwollen. Sein Hof entfaltet
königliche Pracht nur, sobald es zu repräsentiren gilt. Wenn dann das Königs¬
paar etwa, wie am Wettinfeste 1889, im sechsspännigen, von herrlichen,
kastanienbraunen Rossen gezognen Galawagen, deren reiches Geschirr von ver¬
goldeten Beschlägen blitzt, gelbe Jockeys auf den Sattelpferden, Stallmeister und
Spitzenreiter vorauf, durch die Straßen seiner Hauptstadt fährt, oder wenn
die Hoftafel im Schmuck der kostbarsten Tafelaufsätze und in verschwenderischer
Blumenfülle prangt, oder wenn beim Hofball ein farbenschimmerndes Gewirr
die hohen Schloßräume erfüllt und die künstlerisch angeordneten Büffels das
Entzücken eines jeden Beschauers erregen, dann ist dies ein wirklich königlicher
Anblick; aber unwillkürlich fortgerissen werden die Tausende von Zuschauern,
wenn bei einer großen Parade der König, seinem glänzenden Gefolge allein
weit vorausreitend, von allen Musikkapellen mit den rauschenden Klängen der
Hymne "Den König segne Gott!" begrüßt wird, und wenn die langen,
glitzernden Reihen der Truppen klirrend Präsentiren. Allein in so glänzender
Umgebung erscheint König Albert nur selteu. Deun für sich selbst lebt er
schlicht, einfach und prunklos. Mau kann ihm im Großen Garten zuweilen
ganz allein begegnen, wie er im Überrock, die geliebte Virginia rauchend und
einen großen Hund vorschriftsmäßig an kurzer Leine führend, durch die schat¬
tige" Baumgänge schreitet, am liebsten unerkannt, was ihm allerdings schwer
fallen mag; und wer ihn etwa im grünen Hochthale seines einfachen Jagd¬
hauses Nehefeld, wo er absichtlich keine Villcnbauteu zuläßt, weil sie die kund-


Zur Charakteristik Aönig Alberts

Staatsmann macht, sondern die Wahl der Mittel, die zum Ziele führen, und
ihre Anwendung zur richtigen Zeit. Als Pnrteipolitiker steht Chamberlain in
England ohne gleichen da. Als Staatsmann ward er gewogen und zu leicht
befunden, und wir glauben nicht, daß die Zeit aus dem Parteipolitiker trotz
all seiner Entwicklungsfähigkeit einen Staatsmann machen kann.




Zur (Lharakteristik König Alberts

n den eben verflossenen Festtagen ist es deutlich hervorgetreten,
daß das, was zunächst die Sachsen an ihren König bindet, nicht
nur sein Wirken ist, sondern auch seine Persönlichkeit. Freilich
wissen wir von dem, was er ist, noch viel weniger, als von dem,
was er thut, und so kann auch das Bild, das die folgenden
Zeilen zu zeichnen versuchen, nnr eine Skizze und eine unvollkommne Skizze sein.
Über die Grundzüge dieses Charakterbildes kann allerdings kein Zweifel sein:
klare Verständigkeit, tiefes Gemüt, ehrliches Wohlwollen. Sein Hof entfaltet
königliche Pracht nur, sobald es zu repräsentiren gilt. Wenn dann das Königs¬
paar etwa, wie am Wettinfeste 1889, im sechsspännigen, von herrlichen,
kastanienbraunen Rossen gezognen Galawagen, deren reiches Geschirr von ver¬
goldeten Beschlägen blitzt, gelbe Jockeys auf den Sattelpferden, Stallmeister und
Spitzenreiter vorauf, durch die Straßen seiner Hauptstadt fährt, oder wenn
die Hoftafel im Schmuck der kostbarsten Tafelaufsätze und in verschwenderischer
Blumenfülle prangt, oder wenn beim Hofball ein farbenschimmerndes Gewirr
die hohen Schloßräume erfüllt und die künstlerisch angeordneten Büffels das
Entzücken eines jeden Beschauers erregen, dann ist dies ein wirklich königlicher
Anblick; aber unwillkürlich fortgerissen werden die Tausende von Zuschauern,
wenn bei einer großen Parade der König, seinem glänzenden Gefolge allein
weit vorausreitend, von allen Musikkapellen mit den rauschenden Klängen der
Hymne „Den König segne Gott!" begrüßt wird, und wenn die langen,
glitzernden Reihen der Truppen klirrend Präsentiren. Allein in so glänzender
Umgebung erscheint König Albert nur selteu. Deun für sich selbst lebt er
schlicht, einfach und prunklos. Mau kann ihm im Großen Garten zuweilen
ganz allein begegnen, wie er im Überrock, die geliebte Virginia rauchend und
einen großen Hund vorschriftsmäßig an kurzer Leine führend, durch die schat¬
tige« Baumgänge schreitet, am liebsten unerkannt, was ihm allerdings schwer
fallen mag; und wer ihn etwa im grünen Hochthale seines einfachen Jagd¬
hauses Nehefeld, wo er absichtlich keine Villcnbauteu zuläßt, weil sie die kund-


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[0244] Zur Charakteristik Aönig Alberts Staatsmann macht, sondern die Wahl der Mittel, die zum Ziele führen, und ihre Anwendung zur richtigen Zeit. Als Pnrteipolitiker steht Chamberlain in England ohne gleichen da. Als Staatsmann ward er gewogen und zu leicht befunden, und wir glauben nicht, daß die Zeit aus dem Parteipolitiker trotz all seiner Entwicklungsfähigkeit einen Staatsmann machen kann. Zur (Lharakteristik König Alberts n den eben verflossenen Festtagen ist es deutlich hervorgetreten, daß das, was zunächst die Sachsen an ihren König bindet, nicht nur sein Wirken ist, sondern auch seine Persönlichkeit. Freilich wissen wir von dem, was er ist, noch viel weniger, als von dem, was er thut, und so kann auch das Bild, das die folgenden Zeilen zu zeichnen versuchen, nnr eine Skizze und eine unvollkommne Skizze sein. Über die Grundzüge dieses Charakterbildes kann allerdings kein Zweifel sein: klare Verständigkeit, tiefes Gemüt, ehrliches Wohlwollen. Sein Hof entfaltet königliche Pracht nur, sobald es zu repräsentiren gilt. Wenn dann das Königs¬ paar etwa, wie am Wettinfeste 1889, im sechsspännigen, von herrlichen, kastanienbraunen Rossen gezognen Galawagen, deren reiches Geschirr von ver¬ goldeten Beschlägen blitzt, gelbe Jockeys auf den Sattelpferden, Stallmeister und Spitzenreiter vorauf, durch die Straßen seiner Hauptstadt fährt, oder wenn die Hoftafel im Schmuck der kostbarsten Tafelaufsätze und in verschwenderischer Blumenfülle prangt, oder wenn beim Hofball ein farbenschimmerndes Gewirr die hohen Schloßräume erfüllt und die künstlerisch angeordneten Büffels das Entzücken eines jeden Beschauers erregen, dann ist dies ein wirklich königlicher Anblick; aber unwillkürlich fortgerissen werden die Tausende von Zuschauern, wenn bei einer großen Parade der König, seinem glänzenden Gefolge allein weit vorausreitend, von allen Musikkapellen mit den rauschenden Klängen der Hymne „Den König segne Gott!" begrüßt wird, und wenn die langen, glitzernden Reihen der Truppen klirrend Präsentiren. Allein in so glänzender Umgebung erscheint König Albert nur selteu. Deun für sich selbst lebt er schlicht, einfach und prunklos. Mau kann ihm im Großen Garten zuweilen ganz allein begegnen, wie er im Überrock, die geliebte Virginia rauchend und einen großen Hund vorschriftsmäßig an kurzer Leine führend, durch die schat¬ tige« Baumgänge schreitet, am liebsten unerkannt, was ihm allerdings schwer fallen mag; und wer ihn etwa im grünen Hochthale seines einfachen Jagd¬ hauses Nehefeld, wo er absichtlich keine Villcnbauteu zuläßt, weil sie die kund-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/244>, abgerufen am 27.12.2024.