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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Joseph iLhcimberlain

schieht auf einem Felde, auf dem sich beide Teile vereinige" können, ohne von
ihren Grundsätzen etwas aufzugeben, und im übrigen sind die Konservativen
ihm mehr entgegengekommen als er den Konservativen.

Was seinen Feinden als Renegatentum erscheint, ist wohl mehr ein Aus¬
fluß seiner übergroßen Energie. Wir haben gesehen, wie schwer ihm die
Schwenkung zu den Konservativen geworden ist; aber als sie vollzogen war,
warf er sich mit seinem ganzen Eifer in die neuen Aufgaben und gewann da¬
durch ein solches Ansehen bei den Konservativen, daß es wohl scheinen mag,
als sei er ganz in ihnen aufgegangen. Diesem Eifer verdankt er seine Erfolge,
aber zum Übermaße gesteigert, hat der Eifer auch seine Mißerfolge verschuldet.
Im parlamentarischen Nedekampfe hat Chamberlain manches mal durch seinen
Übereifer, der einen gewonnenen Vorteil bis zum letzten ausnutzt und die
Spitzen der Beweisführung wie Dolche in den Gegner hineinsenkt, der eignen
Sache geschadet und schwankende Geister, die für eine Vorlage schon fast ge¬
wonnen waren, erbittert und abwendig gemacht. Als Mitglied der Gladstonischen
Regierung blendete ihn sein Eifer, die irische Frage zu losen, gegen die Er¬
kenntnis der wirklichen Sachlage und führte dadurch nicht nur seinen eiguen
Fall, sondern auch den der liberalen Partei herbei. Als Kolvnialsekretür
endlich brachte ihn der Landhunger durch die Verbindung mit Rhodes in eine
ähnliche verzweifelte Lage, die ihn vor die Wahl stellte, entweder in das
Dunkel des Privatlebens zurückzutreten, da ein der Mitwisserschaft am Kom¬
plott überführter Kolonialminister unmöglich war, oder sich, selbst in Wasser
von zweifelhafter Reinheit, weiß waschen zu lassen. Er hat das letztere ge¬
wählt, doch der Fehler des Übereifers wird dadurch nicht getilgt; der bleibt
ihm wie das Pigment der Negerhaut. Wir müssen zugeben, daß ein Politiker
oft Mittel anwendet, die der Privatmann verwerfen muß; aber nnr wo ein
offnes ehrliches Vorgehen nicht zum Ziele führt, siud sie entschuldbar, und
der Erfolg allein kann sie rechtfertigen. Bei Chamberlain war weder das eine
noch das andre der Fall, und der Sache, die er fördern wollte, hat er un¬
ermeßlichen Schaden zugefügt. Der Parteipolitiker hat feinen Posten im
Kolonialamt behauptet, der Staatsmann hat sich in der Transvaalangelegenheit
unfähig gezeigt.

Sich im Strudel der Parteien nicht nur über Wasser zu halten, sondern
nach einander bei allen Parteien eine führende Rolle zu spielen, erfordert un¬
gewöhnliche Gaben. Daß diese Gaben auch ihre Schranken haben, glauben
wir genugsam gezeigt zu haben. Logisches Denken, Schlagfertigkeit, Fleiß und
organisatorisches Talent stehen Chamberlain in hohem Maße zu Gebote. Durch
sie hat er sich seine Stellung als eine der hervorragendsten Gestalten des eng¬
lischen Parteilebens erworben. Für die höhern Aufgaben des Staatsmannes
aber reichen sie nicht aus; der weite, das Ganze übersehende Blick und die
Ruhe des Staatsmannes fehlen ihm. Es ist nicht der große Plan, was den


Joseph iLhcimberlain

schieht auf einem Felde, auf dem sich beide Teile vereinige» können, ohne von
ihren Grundsätzen etwas aufzugeben, und im übrigen sind die Konservativen
ihm mehr entgegengekommen als er den Konservativen.

Was seinen Feinden als Renegatentum erscheint, ist wohl mehr ein Aus¬
fluß seiner übergroßen Energie. Wir haben gesehen, wie schwer ihm die
Schwenkung zu den Konservativen geworden ist; aber als sie vollzogen war,
warf er sich mit seinem ganzen Eifer in die neuen Aufgaben und gewann da¬
durch ein solches Ansehen bei den Konservativen, daß es wohl scheinen mag,
als sei er ganz in ihnen aufgegangen. Diesem Eifer verdankt er seine Erfolge,
aber zum Übermaße gesteigert, hat der Eifer auch seine Mißerfolge verschuldet.
Im parlamentarischen Nedekampfe hat Chamberlain manches mal durch seinen
Übereifer, der einen gewonnenen Vorteil bis zum letzten ausnutzt und die
Spitzen der Beweisführung wie Dolche in den Gegner hineinsenkt, der eignen
Sache geschadet und schwankende Geister, die für eine Vorlage schon fast ge¬
wonnen waren, erbittert und abwendig gemacht. Als Mitglied der Gladstonischen
Regierung blendete ihn sein Eifer, die irische Frage zu losen, gegen die Er¬
kenntnis der wirklichen Sachlage und führte dadurch nicht nur seinen eiguen
Fall, sondern auch den der liberalen Partei herbei. Als Kolvnialsekretür
endlich brachte ihn der Landhunger durch die Verbindung mit Rhodes in eine
ähnliche verzweifelte Lage, die ihn vor die Wahl stellte, entweder in das
Dunkel des Privatlebens zurückzutreten, da ein der Mitwisserschaft am Kom¬
plott überführter Kolonialminister unmöglich war, oder sich, selbst in Wasser
von zweifelhafter Reinheit, weiß waschen zu lassen. Er hat das letztere ge¬
wählt, doch der Fehler des Übereifers wird dadurch nicht getilgt; der bleibt
ihm wie das Pigment der Negerhaut. Wir müssen zugeben, daß ein Politiker
oft Mittel anwendet, die der Privatmann verwerfen muß; aber nnr wo ein
offnes ehrliches Vorgehen nicht zum Ziele führt, siud sie entschuldbar, und
der Erfolg allein kann sie rechtfertigen. Bei Chamberlain war weder das eine
noch das andre der Fall, und der Sache, die er fördern wollte, hat er un¬
ermeßlichen Schaden zugefügt. Der Parteipolitiker hat feinen Posten im
Kolonialamt behauptet, der Staatsmann hat sich in der Transvaalangelegenheit
unfähig gezeigt.

Sich im Strudel der Parteien nicht nur über Wasser zu halten, sondern
nach einander bei allen Parteien eine führende Rolle zu spielen, erfordert un¬
gewöhnliche Gaben. Daß diese Gaben auch ihre Schranken haben, glauben
wir genugsam gezeigt zu haben. Logisches Denken, Schlagfertigkeit, Fleiß und
organisatorisches Talent stehen Chamberlain in hohem Maße zu Gebote. Durch
sie hat er sich seine Stellung als eine der hervorragendsten Gestalten des eng¬
lischen Parteilebens erworben. Für die höhern Aufgaben des Staatsmannes
aber reichen sie nicht aus; der weite, das Ganze übersehende Blick und die
Ruhe des Staatsmannes fehlen ihm. Es ist nicht der große Plan, was den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/243>, abgerufen am 23.07.2024.