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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Joseph Lhamberlain

kams Mitwisserschaft. Doch Rhodes ist ein recht ehrenwerter Mann, und alle,
alle sind sie ehrenwert. Es ist nicht nötig, auf die Entwicklung der Trcms-
vaalfrage einzugehen. Das diplomatische Verfahren Chamberlains war neu,
aber weder diplomatisch, noch von Erfolg gekrönt. Ein herrisches Gebahren
mag am Platze sein und seinen Zweck erfüllen gegenüber einem Beamten des
Kolonialamts, und Chamberlain hätte gut gethan, seinen Untergebnen Sir
Graham Vower besser in Zucht zu halten und ihn zu verhindern, sich in
Rhodes Machenschaften einzulassen; gegen das Haupt eines unabhängigen, be¬
leidigten Staates war der hochfahrende Vefehlston und die Verletzung inter¬
nationaler Höflichkeit unangebracht. Es hat das Mißtrauen der Buren gegen
England nur noch verstärkt und eine Lösung des Zwiespalts in Südafrika
weiter hinausgeschoben. Die Jingos mögen Chamberlain als einen Helden
feiern, sie haben eben eigne Anschauungen von Heldentum.

So ist Chamberlain aus einem erbitterten Feinde zu einem warmen
Freunde, zu einem Führer und Heros der Konservativen geworden. Eine
Trennung von den Konservativen ist nicht wahrscheinlich. Sie wäre nur
möglich nach der Ausführung der sozialen Reformen und unter der Voraus¬
setzung, daß sich die liberale Partei aus ihrem gegenwärtigen Zerfalle mit
neuer Kraft erhöbe. Die neue Partei würde sich jedoch sehr gegen seine Herr¬
schaft sträuben, und er würde den Kampf um die Macht zum drittenmale be¬
ginnen müssen.

Fürs erste ist eine liberale Wiedergeburt nicht in Sicht, und Chamberlain
ist mit zweiundsechzig Jahren gerade kein Jüngling mehr, der seine Laufbahn
noch vor sich hat. Das soziale Programm bietet Arbeit genug für den Rest
seines Lebens. Von seinen radikalen Brüdern aufgegeben, ist Joseph zum all¬
mächtigen Minister bei den Ägyptern geworden, und aller menschlichen Be¬
rechnung nach wird er auch bei den Ägyptern sterben. Über seinen Charakter
sind die Meinungen geteilt, je nach der Parteistellung des Urteilers. Seine
gegenwärtigen Freunde erheben ihn in den Himmel, seine frühern erkennen in
allen seinen Fußstapfen den Abdruck des Pferdehufes. Keine Feindschaft ist so
bitter wie die alter Freunde. Die Wahrheit liegt wie immer in der Mitte.
Der Vorwurf, er sei ein Renegat und habe seine Grundsätze gewechselt, trifft
ihn, wie uns scheinen will, nicht mit Recht. Seine Anschauungen hat er ge¬
ändert, wie jeder sie ändert, der seine Augen nicht neuen Umständen verschließt,
und wir sind weit entfernt zu leugnen, daß sein Radikalismus im konservativen
Sonnenschein etwas abgeblaßt ist. Doch in der Hauptsache ist er sich treu
geblieben. Die radikalen Grundanschauungen sind noch dieselben. Er ist noch
immer ein Gegner der Staatskirche und würde auch dem Oberhause keine
Thräne nachweinen. Er hat nur die Verfolgung radikaler Veränderungen in
der Konstitution, für die die Zeit noch nicht gekommen ist, zu Gunsten praktischer
sozialer Thätigkeit vertagt. Das Zusammenwirken mit den Konservativen ge-


Joseph Lhamberlain

kams Mitwisserschaft. Doch Rhodes ist ein recht ehrenwerter Mann, und alle,
alle sind sie ehrenwert. Es ist nicht nötig, auf die Entwicklung der Trcms-
vaalfrage einzugehen. Das diplomatische Verfahren Chamberlains war neu,
aber weder diplomatisch, noch von Erfolg gekrönt. Ein herrisches Gebahren
mag am Platze sein und seinen Zweck erfüllen gegenüber einem Beamten des
Kolonialamts, und Chamberlain hätte gut gethan, seinen Untergebnen Sir
Graham Vower besser in Zucht zu halten und ihn zu verhindern, sich in
Rhodes Machenschaften einzulassen; gegen das Haupt eines unabhängigen, be¬
leidigten Staates war der hochfahrende Vefehlston und die Verletzung inter¬
nationaler Höflichkeit unangebracht. Es hat das Mißtrauen der Buren gegen
England nur noch verstärkt und eine Lösung des Zwiespalts in Südafrika
weiter hinausgeschoben. Die Jingos mögen Chamberlain als einen Helden
feiern, sie haben eben eigne Anschauungen von Heldentum.

So ist Chamberlain aus einem erbitterten Feinde zu einem warmen
Freunde, zu einem Führer und Heros der Konservativen geworden. Eine
Trennung von den Konservativen ist nicht wahrscheinlich. Sie wäre nur
möglich nach der Ausführung der sozialen Reformen und unter der Voraus¬
setzung, daß sich die liberale Partei aus ihrem gegenwärtigen Zerfalle mit
neuer Kraft erhöbe. Die neue Partei würde sich jedoch sehr gegen seine Herr¬
schaft sträuben, und er würde den Kampf um die Macht zum drittenmale be¬
ginnen müssen.

Fürs erste ist eine liberale Wiedergeburt nicht in Sicht, und Chamberlain
ist mit zweiundsechzig Jahren gerade kein Jüngling mehr, der seine Laufbahn
noch vor sich hat. Das soziale Programm bietet Arbeit genug für den Rest
seines Lebens. Von seinen radikalen Brüdern aufgegeben, ist Joseph zum all¬
mächtigen Minister bei den Ägyptern geworden, und aller menschlichen Be¬
rechnung nach wird er auch bei den Ägyptern sterben. Über seinen Charakter
sind die Meinungen geteilt, je nach der Parteistellung des Urteilers. Seine
gegenwärtigen Freunde erheben ihn in den Himmel, seine frühern erkennen in
allen seinen Fußstapfen den Abdruck des Pferdehufes. Keine Feindschaft ist so
bitter wie die alter Freunde. Die Wahrheit liegt wie immer in der Mitte.
Der Vorwurf, er sei ein Renegat und habe seine Grundsätze gewechselt, trifft
ihn, wie uns scheinen will, nicht mit Recht. Seine Anschauungen hat er ge¬
ändert, wie jeder sie ändert, der seine Augen nicht neuen Umständen verschließt,
und wir sind weit entfernt zu leugnen, daß sein Radikalismus im konservativen
Sonnenschein etwas abgeblaßt ist. Doch in der Hauptsache ist er sich treu
geblieben. Die radikalen Grundanschauungen sind noch dieselben. Er ist noch
immer ein Gegner der Staatskirche und würde auch dem Oberhause keine
Thräne nachweinen. Er hat nur die Verfolgung radikaler Veränderungen in
der Konstitution, für die die Zeit noch nicht gekommen ist, zu Gunsten praktischer
sozialer Thätigkeit vertagt. Das Zusammenwirken mit den Konservativen ge-


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[0242] Joseph Lhamberlain kams Mitwisserschaft. Doch Rhodes ist ein recht ehrenwerter Mann, und alle, alle sind sie ehrenwert. Es ist nicht nötig, auf die Entwicklung der Trcms- vaalfrage einzugehen. Das diplomatische Verfahren Chamberlains war neu, aber weder diplomatisch, noch von Erfolg gekrönt. Ein herrisches Gebahren mag am Platze sein und seinen Zweck erfüllen gegenüber einem Beamten des Kolonialamts, und Chamberlain hätte gut gethan, seinen Untergebnen Sir Graham Vower besser in Zucht zu halten und ihn zu verhindern, sich in Rhodes Machenschaften einzulassen; gegen das Haupt eines unabhängigen, be¬ leidigten Staates war der hochfahrende Vefehlston und die Verletzung inter¬ nationaler Höflichkeit unangebracht. Es hat das Mißtrauen der Buren gegen England nur noch verstärkt und eine Lösung des Zwiespalts in Südafrika weiter hinausgeschoben. Die Jingos mögen Chamberlain als einen Helden feiern, sie haben eben eigne Anschauungen von Heldentum. So ist Chamberlain aus einem erbitterten Feinde zu einem warmen Freunde, zu einem Führer und Heros der Konservativen geworden. Eine Trennung von den Konservativen ist nicht wahrscheinlich. Sie wäre nur möglich nach der Ausführung der sozialen Reformen und unter der Voraus¬ setzung, daß sich die liberale Partei aus ihrem gegenwärtigen Zerfalle mit neuer Kraft erhöbe. Die neue Partei würde sich jedoch sehr gegen seine Herr¬ schaft sträuben, und er würde den Kampf um die Macht zum drittenmale be¬ ginnen müssen. Fürs erste ist eine liberale Wiedergeburt nicht in Sicht, und Chamberlain ist mit zweiundsechzig Jahren gerade kein Jüngling mehr, der seine Laufbahn noch vor sich hat. Das soziale Programm bietet Arbeit genug für den Rest seines Lebens. Von seinen radikalen Brüdern aufgegeben, ist Joseph zum all¬ mächtigen Minister bei den Ägyptern geworden, und aller menschlichen Be¬ rechnung nach wird er auch bei den Ägyptern sterben. Über seinen Charakter sind die Meinungen geteilt, je nach der Parteistellung des Urteilers. Seine gegenwärtigen Freunde erheben ihn in den Himmel, seine frühern erkennen in allen seinen Fußstapfen den Abdruck des Pferdehufes. Keine Feindschaft ist so bitter wie die alter Freunde. Die Wahrheit liegt wie immer in der Mitte. Der Vorwurf, er sei ein Renegat und habe seine Grundsätze gewechselt, trifft ihn, wie uns scheinen will, nicht mit Recht. Seine Anschauungen hat er ge¬ ändert, wie jeder sie ändert, der seine Augen nicht neuen Umständen verschließt, und wir sind weit entfernt zu leugnen, daß sein Radikalismus im konservativen Sonnenschein etwas abgeblaßt ist. Doch in der Hauptsache ist er sich treu geblieben. Die radikalen Grundanschauungen sind noch dieselben. Er ist noch immer ein Gegner der Staatskirche und würde auch dem Oberhause keine Thräne nachweinen. Er hat nur die Verfolgung radikaler Veränderungen in der Konstitution, für die die Zeit noch nicht gekommen ist, zu Gunsten praktischer sozialer Thätigkeit vertagt. Das Zusammenwirken mit den Konservativen ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/242>, abgerufen am 23.07.2024.