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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Bramischweigisches

vier Jahren hat die welfische Bewegung an Starke bedeutend zugenommen.
Es bildeten sich zwei Gruppen, die braunschweigische Landcsrechtspartei, die
die schärfere Tonart, und die Brunonici, die die mildere vertritt. Die Rechts¬
partei stellt sich auch den Bestrebungen der hannöverschen Welsen gegenüber
freundlich, während die Brunonia mit Abweisung aller ans die Wiederherstellung
des Königreichs Hannover gerichteten Bestrebungen lediglich die Thronbesteigung
des Herzogs von Cumberland betreibt. Beide Gruppen haben ihre eignen
wöchentlich erscheinenden Organe und verfügen über eine stetig wachsende Zahl
von Mitgliedern. Was speziell die Mitglieder der Brunonia betrifft, so betonen
sie stets ihre volle Anerkennung der Reichsverfassung -- was bei der
Rechtspartei nicht der Fall ist, da sie die Rechtmäßigkeit der Einverleibung
Hannovers bestreitet --, neben ihrer tiefgehenden Ehrerbietung vor der
Person des Regenten, dessen Zurückhaltung sie gerade als einen Beweis auf¬
fassen, daß er seine Regierung als ein Provisorium betrachtet und auch den
leisesten Schein vermeiden wolle, als ob eine endgiltige Einrichtung bestehe.
Leute, die sich als Eingeweihte geberden, behaupten sogar, daß Prinz Albrecht
selbst nichts sehnlicher wünsche, als von der ihm vom Kaiser Wilhelm I. über¬
tragnen Pflicht befreit zu werden, ein Wunsch, der durch mancherlei Anzeichen
als glaubwürdig bestätigt wird.

Die Herausgabe des Welfenfonds und die Begrüßung, die bei der
Beerdigung des österreichischen Thronfolgers zwischen dem Kaiser und dem
Herzog von Cumberland stattfand, hatte alle die in ihrer Hoffnung auf eine
baldige endgiltige Lösung der Thronfvlgefrage bestärkt, die in dem gegenwärtigen
Zustande nur einen Notbehelf sahen, dessen baldige Änderung ihnen notwendig
erschien. Die Agitation der welsischen Vereine wurde umfassender, die Zahl
ihrer Mitglieder vermehrte sich zusehends, und die Redner forderten in den
Versammlungen nachdrücklich, daß "ihr Herzog" bald sein Erbteil übernähme.

Da kamen die Fälle von Hampe und von Damm. Der Assessor von Hampe
war als Reserveoffizier zu einer Übung einberufen wordeu und hatte gebeten,
sie Familienereignisse halber, die seine Anwesenheit in Braunschweig wünschens¬
wert machten, in Braunschweig abzudienen. Dieses Ersuchen wurde abgelehnt,
und von Hampe. zu einer zweiwöchigem Festungshaft verurteilt, weil er in
einem von ihm allerdings als Privatbrief bezeichneten Schreiben an seinen ihm
befreundeten militärischen Vorgesetzten erklärt hatte, daß er sich als Anhänger
des Herzogs von Cumberland in seinem Gewissen bedrängt fühle, dem Staate
als Offizier zu dienen, der den Herzog an der Besitzergreifung seines Erbteils
verhindrc. Wenn Herr von Hampe diese Überzeugung hegte, so hätte man
allerdings erwarten dürfen, daß er sie nicht erst dann zum Ausdruck brachte,
als er durch die Nichterfüllung eines an sich berechtigten Wunsches in eine
gewisse Erregung versetzt worden war. Anders lagen die Dinge bei dem Falle
von Damm. Herr von Damm war bis vor kurzem Stadtdirektor in Wolfen-
büttel und hat sich ins Privatleben zurückgezogen. Auch er ist Reserveoffizier


Bramischweigisches

vier Jahren hat die welfische Bewegung an Starke bedeutend zugenommen.
Es bildeten sich zwei Gruppen, die braunschweigische Landcsrechtspartei, die
die schärfere Tonart, und die Brunonici, die die mildere vertritt. Die Rechts¬
partei stellt sich auch den Bestrebungen der hannöverschen Welsen gegenüber
freundlich, während die Brunonia mit Abweisung aller ans die Wiederherstellung
des Königreichs Hannover gerichteten Bestrebungen lediglich die Thronbesteigung
des Herzogs von Cumberland betreibt. Beide Gruppen haben ihre eignen
wöchentlich erscheinenden Organe und verfügen über eine stetig wachsende Zahl
von Mitgliedern. Was speziell die Mitglieder der Brunonia betrifft, so betonen
sie stets ihre volle Anerkennung der Reichsverfassung — was bei der
Rechtspartei nicht der Fall ist, da sie die Rechtmäßigkeit der Einverleibung
Hannovers bestreitet —, neben ihrer tiefgehenden Ehrerbietung vor der
Person des Regenten, dessen Zurückhaltung sie gerade als einen Beweis auf¬
fassen, daß er seine Regierung als ein Provisorium betrachtet und auch den
leisesten Schein vermeiden wolle, als ob eine endgiltige Einrichtung bestehe.
Leute, die sich als Eingeweihte geberden, behaupten sogar, daß Prinz Albrecht
selbst nichts sehnlicher wünsche, als von der ihm vom Kaiser Wilhelm I. über¬
tragnen Pflicht befreit zu werden, ein Wunsch, der durch mancherlei Anzeichen
als glaubwürdig bestätigt wird.

Die Herausgabe des Welfenfonds und die Begrüßung, die bei der
Beerdigung des österreichischen Thronfolgers zwischen dem Kaiser und dem
Herzog von Cumberland stattfand, hatte alle die in ihrer Hoffnung auf eine
baldige endgiltige Lösung der Thronfvlgefrage bestärkt, die in dem gegenwärtigen
Zustande nur einen Notbehelf sahen, dessen baldige Änderung ihnen notwendig
erschien. Die Agitation der welsischen Vereine wurde umfassender, die Zahl
ihrer Mitglieder vermehrte sich zusehends, und die Redner forderten in den
Versammlungen nachdrücklich, daß „ihr Herzog" bald sein Erbteil übernähme.

Da kamen die Fälle von Hampe und von Damm. Der Assessor von Hampe
war als Reserveoffizier zu einer Übung einberufen wordeu und hatte gebeten,
sie Familienereignisse halber, die seine Anwesenheit in Braunschweig wünschens¬
wert machten, in Braunschweig abzudienen. Dieses Ersuchen wurde abgelehnt,
und von Hampe. zu einer zweiwöchigem Festungshaft verurteilt, weil er in
einem von ihm allerdings als Privatbrief bezeichneten Schreiben an seinen ihm
befreundeten militärischen Vorgesetzten erklärt hatte, daß er sich als Anhänger
des Herzogs von Cumberland in seinem Gewissen bedrängt fühle, dem Staate
als Offizier zu dienen, der den Herzog an der Besitzergreifung seines Erbteils
verhindrc. Wenn Herr von Hampe diese Überzeugung hegte, so hätte man
allerdings erwarten dürfen, daß er sie nicht erst dann zum Ausdruck brachte,
als er durch die Nichterfüllung eines an sich berechtigten Wunsches in eine
gewisse Erregung versetzt worden war. Anders lagen die Dinge bei dem Falle
von Damm. Herr von Damm war bis vor kurzem Stadtdirektor in Wolfen-
büttel und hat sich ins Privatleben zurückgezogen. Auch er ist Reserveoffizier


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[0023] Bramischweigisches vier Jahren hat die welfische Bewegung an Starke bedeutend zugenommen. Es bildeten sich zwei Gruppen, die braunschweigische Landcsrechtspartei, die die schärfere Tonart, und die Brunonici, die die mildere vertritt. Die Rechts¬ partei stellt sich auch den Bestrebungen der hannöverschen Welsen gegenüber freundlich, während die Brunonia mit Abweisung aller ans die Wiederherstellung des Königreichs Hannover gerichteten Bestrebungen lediglich die Thronbesteigung des Herzogs von Cumberland betreibt. Beide Gruppen haben ihre eignen wöchentlich erscheinenden Organe und verfügen über eine stetig wachsende Zahl von Mitgliedern. Was speziell die Mitglieder der Brunonia betrifft, so betonen sie stets ihre volle Anerkennung der Reichsverfassung — was bei der Rechtspartei nicht der Fall ist, da sie die Rechtmäßigkeit der Einverleibung Hannovers bestreitet —, neben ihrer tiefgehenden Ehrerbietung vor der Person des Regenten, dessen Zurückhaltung sie gerade als einen Beweis auf¬ fassen, daß er seine Regierung als ein Provisorium betrachtet und auch den leisesten Schein vermeiden wolle, als ob eine endgiltige Einrichtung bestehe. Leute, die sich als Eingeweihte geberden, behaupten sogar, daß Prinz Albrecht selbst nichts sehnlicher wünsche, als von der ihm vom Kaiser Wilhelm I. über¬ tragnen Pflicht befreit zu werden, ein Wunsch, der durch mancherlei Anzeichen als glaubwürdig bestätigt wird. Die Herausgabe des Welfenfonds und die Begrüßung, die bei der Beerdigung des österreichischen Thronfolgers zwischen dem Kaiser und dem Herzog von Cumberland stattfand, hatte alle die in ihrer Hoffnung auf eine baldige endgiltige Lösung der Thronfvlgefrage bestärkt, die in dem gegenwärtigen Zustande nur einen Notbehelf sahen, dessen baldige Änderung ihnen notwendig erschien. Die Agitation der welsischen Vereine wurde umfassender, die Zahl ihrer Mitglieder vermehrte sich zusehends, und die Redner forderten in den Versammlungen nachdrücklich, daß „ihr Herzog" bald sein Erbteil übernähme. Da kamen die Fälle von Hampe und von Damm. Der Assessor von Hampe war als Reserveoffizier zu einer Übung einberufen wordeu und hatte gebeten, sie Familienereignisse halber, die seine Anwesenheit in Braunschweig wünschens¬ wert machten, in Braunschweig abzudienen. Dieses Ersuchen wurde abgelehnt, und von Hampe. zu einer zweiwöchigem Festungshaft verurteilt, weil er in einem von ihm allerdings als Privatbrief bezeichneten Schreiben an seinen ihm befreundeten militärischen Vorgesetzten erklärt hatte, daß er sich als Anhänger des Herzogs von Cumberland in seinem Gewissen bedrängt fühle, dem Staate als Offizier zu dienen, der den Herzog an der Besitzergreifung seines Erbteils verhindrc. Wenn Herr von Hampe diese Überzeugung hegte, so hätte man allerdings erwarten dürfen, daß er sie nicht erst dann zum Ausdruck brachte, als er durch die Nichterfüllung eines an sich berechtigten Wunsches in eine gewisse Erregung versetzt worden war. Anders lagen die Dinge bei dem Falle von Damm. Herr von Damm war bis vor kurzem Stadtdirektor in Wolfen- büttel und hat sich ins Privatleben zurückgezogen. Auch er ist Reserveoffizier

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/23>, abgerufen am 27.12.2024.