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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Braunschweigisches

ii der letzten Zeit ist in den Tagesblättern wieder öfter über die
braunschweigische Thronfolgefrage geschrieben worden. Seit dem
Antritt der jetzigen Regentschaft ist diese Frage nicht mehr zur
Ruhe gekommen, und es hat den Anschein, daß sie noch öfter
die Öffentlichkeit beschäftigen werde. Die gegenwärtige Lage und
ihre Vorgeschichte dürfen als bekannt vorausgesetzt werden: Mit dem Herzog
Wilhelm, der uuvermühlt blieb, erlosch die ältere Linie Braunschweig. Nach
dem bestehenden Familieuvertrage sollte das Land an die jüngere Linie in Han¬
nover fallen. Da vorauszusehen war, daß infolge der Einverleibung Hannovers
die Thronbesteigung des ältesten Agnaten auf Schwierigkeiten stoßen würde,
wurde am 16. Februar 1879 ein Negentschaftsgesetz zwischen Regierung und
Landtag vereinbart; dieses bestimmte, es solle, falls der berechtigte Thronerbe
nach dem Tode des Herzogs am Regierungsantritt verhindert sei, ein Regent¬
schaftsrat aus den drei Stimmführenden Mitgliedern des Staatsministeriums
und den Präsidenten des Landtags und des Oberlandesgerichts gebildet werden.
Am 18. Oktober 1884, am Todestage des Herzogs, trat der Negentschaftsrat
die Negierung an. An demselben Tage nahm der Herzog von Cumberland,
das Haupt der hannöverschen Linie, durch Patent von dem Herzogtum Besitz,
wobei er zugleich in einem Rundschreiben an die deutschen Fürsten mitteilte,
daß er gesonnen sei, die Reichsverfassung ganz anzuerkennen. Das braun¬
schweigische Ministerium ließ sowohl das Patent, als auch die Aufforderung
des Herzogs, sich mit ihm in Beziehung zu setzen, unbeachtet. Am 2. Juli
1885 erklärte der Bundesrat auf Antrag Preußens, daß die Regierung des
Herzogs von Cumberland in Vraunschweig mit dem innern Frieden und der
Sicherheit des Reiches nicht verträglich sei. Der braunschweigische Landtag
gab hierzu seine Zustimmung nud erwählte auf Vorschlag des Regentschafts¬
rats am 21. Oktober 1885 den Prinzen Albrecht von Preußen zum Regenten.

Bei seinem Einzug in Braunschweig wurde der Regent mit großem Jubel
begrüßt. War doch die fernere Selbständigkeit des Landes gewährleistet, an
deren Fortbestand viele gezweifelt hatten. Aber bald wurde die Stimmung
kühler. Die häufige Abwesenheit des Regenten und seine wohl prinzipiell
geübte Zurückhaltung wurden bedauert, obwohl der verstorbne Herzog noch
viel seltener in den Mauern seiner Residenz zu weilen pflegte. Seit ungefähr




Braunschweigisches

ii der letzten Zeit ist in den Tagesblättern wieder öfter über die
braunschweigische Thronfolgefrage geschrieben worden. Seit dem
Antritt der jetzigen Regentschaft ist diese Frage nicht mehr zur
Ruhe gekommen, und es hat den Anschein, daß sie noch öfter
die Öffentlichkeit beschäftigen werde. Die gegenwärtige Lage und
ihre Vorgeschichte dürfen als bekannt vorausgesetzt werden: Mit dem Herzog
Wilhelm, der uuvermühlt blieb, erlosch die ältere Linie Braunschweig. Nach
dem bestehenden Familieuvertrage sollte das Land an die jüngere Linie in Han¬
nover fallen. Da vorauszusehen war, daß infolge der Einverleibung Hannovers
die Thronbesteigung des ältesten Agnaten auf Schwierigkeiten stoßen würde,
wurde am 16. Februar 1879 ein Negentschaftsgesetz zwischen Regierung und
Landtag vereinbart; dieses bestimmte, es solle, falls der berechtigte Thronerbe
nach dem Tode des Herzogs am Regierungsantritt verhindert sei, ein Regent¬
schaftsrat aus den drei Stimmführenden Mitgliedern des Staatsministeriums
und den Präsidenten des Landtags und des Oberlandesgerichts gebildet werden.
Am 18. Oktober 1884, am Todestage des Herzogs, trat der Negentschaftsrat
die Negierung an. An demselben Tage nahm der Herzog von Cumberland,
das Haupt der hannöverschen Linie, durch Patent von dem Herzogtum Besitz,
wobei er zugleich in einem Rundschreiben an die deutschen Fürsten mitteilte,
daß er gesonnen sei, die Reichsverfassung ganz anzuerkennen. Das braun¬
schweigische Ministerium ließ sowohl das Patent, als auch die Aufforderung
des Herzogs, sich mit ihm in Beziehung zu setzen, unbeachtet. Am 2. Juli
1885 erklärte der Bundesrat auf Antrag Preußens, daß die Regierung des
Herzogs von Cumberland in Vraunschweig mit dem innern Frieden und der
Sicherheit des Reiches nicht verträglich sei. Der braunschweigische Landtag
gab hierzu seine Zustimmung nud erwählte auf Vorschlag des Regentschafts¬
rats am 21. Oktober 1885 den Prinzen Albrecht von Preußen zum Regenten.

Bei seinem Einzug in Braunschweig wurde der Regent mit großem Jubel
begrüßt. War doch die fernere Selbständigkeit des Landes gewährleistet, an
deren Fortbestand viele gezweifelt hatten. Aber bald wurde die Stimmung
kühler. Die häufige Abwesenheit des Regenten und seine wohl prinzipiell
geübte Zurückhaltung wurden bedauert, obwohl der verstorbne Herzog noch
viel seltener in den Mauern seiner Residenz zu weilen pflegte. Seit ungefähr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/22>, abgerufen am 23.07.2024.