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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Landgruppen der vierten Einbruchsstelle. Behielt Österreich noch 1866 Süd-
tirol, wo sich die Jtalianissimi dank der Fürsorge der österreichischen Regierung
selbst gewaltig regten, so war kein triftiger Grund vorhanden, die altdeutschen
Gemeindegebiete und Friaul dem Welschtum vollends zu überliefern. Napo¬
leon III. war jetzt sogar der heimliche Verbündete des in Italien siegreichen
Österreichs, und der Schutz der unterdrückten Nationalitäten war auch seitens
des neuen Königreichs der Vorwand zum Kriege.

Joseph II. hat freilich die deutsche Sprache in den Habsburgischen Erbländer
zur Staatssprache gemacht; aber seines Nachfolgers erste Maßnahme war, daß
er diese die Staatseinheit bedingende Negierungshandlung aufhob. So folgte
er nur der altüberlieferten nationalen Empfindungslosigkeit des Kaiserhauses,
dessen Hauspolitik das alte Reich zur gänzlichen Auflösung gebracht hatte.
Dieser Schaden wäre zu bessern gewesen, wenn nicht zugleich wesentliche
Glieder des Reichs vielleicht auf immer entfremdet worden wären. Belgien
und das noch jetzt französische Lothringen waren sogar eigne Erdtaube
der herrschenden Dynastie. Diese italienischen deutschen Überbleibsel wollen
dagegen territorial wenig bedeuten, aber immerhin stellen sie eine Bevölkerung
von ungefähr 600000 Seelen dar, die Österreich verständnislos verraten hat.
Italien hat es Österreich nicht gedankt, und die Chauvinisten verlangen mit
gleichem Recht Welschtirvl, mag auch Bogen (Arco) und Ruffried (Noveredo)
kaum recht italienisch klingen. Der von der Regierung unterstützte Priester
hat zum Lohne Südtirol mit Erfolg verwelscht, und äußerlich erscheint die
Anmaßung der Italiener kaum übertrieben. Die Regierung läßt ja selbst in
diesem Landesteil die Verwelschung unter ihrem Schutz in Kirche, Schule und
Verwaltung unaufhaltsam vordringen. Bozen ist schon halb überflutet von
dem armen italienischen Gesindel, das mit seiner Genügsamkeit jeden deutschen
Wettbewerb aus dem Felde schlüge. Den Tschechen in Böhmen folgen die
Italiener in Tirol und im Küstenland, das thatsächlich italienisch regiert wird.
Aber trotzdem scheint uns das geschilderte Gebiet des verlassenen Deutschtums
auf italienischem Boden, mag auch der Grenzstein es von dem Mutterlande
trennen, uoch nicht für immer verloren. Die Schwerter sitzen trotz aller Friedens¬
beteuerungen allzu lose in der Scheide, und der Dreibund soll doch Italien
Nizza wiederbringen. Eine Liebe ist der andern wert. Die Karte Europas
ist noch nicht endgiltig festgestellt. Man frage nur in Paris und Petersburg.
Unsre schwere Kriegsrüstuug tragen wir ja nicht, um uns lediglich Lorbeeren
Zu holen, es giebt vielmehr noch für unser Volkstum manche alte Schuld zu
sü Kurt von Strantz hnen.




Landgruppen der vierten Einbruchsstelle. Behielt Österreich noch 1866 Süd-
tirol, wo sich die Jtalianissimi dank der Fürsorge der österreichischen Regierung
selbst gewaltig regten, so war kein triftiger Grund vorhanden, die altdeutschen
Gemeindegebiete und Friaul dem Welschtum vollends zu überliefern. Napo¬
leon III. war jetzt sogar der heimliche Verbündete des in Italien siegreichen
Österreichs, und der Schutz der unterdrückten Nationalitäten war auch seitens
des neuen Königreichs der Vorwand zum Kriege.

Joseph II. hat freilich die deutsche Sprache in den Habsburgischen Erbländer
zur Staatssprache gemacht; aber seines Nachfolgers erste Maßnahme war, daß
er diese die Staatseinheit bedingende Negierungshandlung aufhob. So folgte
er nur der altüberlieferten nationalen Empfindungslosigkeit des Kaiserhauses,
dessen Hauspolitik das alte Reich zur gänzlichen Auflösung gebracht hatte.
Dieser Schaden wäre zu bessern gewesen, wenn nicht zugleich wesentliche
Glieder des Reichs vielleicht auf immer entfremdet worden wären. Belgien
und das noch jetzt französische Lothringen waren sogar eigne Erdtaube
der herrschenden Dynastie. Diese italienischen deutschen Überbleibsel wollen
dagegen territorial wenig bedeuten, aber immerhin stellen sie eine Bevölkerung
von ungefähr 600000 Seelen dar, die Österreich verständnislos verraten hat.
Italien hat es Österreich nicht gedankt, und die Chauvinisten verlangen mit
gleichem Recht Welschtirvl, mag auch Bogen (Arco) und Ruffried (Noveredo)
kaum recht italienisch klingen. Der von der Regierung unterstützte Priester
hat zum Lohne Südtirol mit Erfolg verwelscht, und äußerlich erscheint die
Anmaßung der Italiener kaum übertrieben. Die Regierung läßt ja selbst in
diesem Landesteil die Verwelschung unter ihrem Schutz in Kirche, Schule und
Verwaltung unaufhaltsam vordringen. Bozen ist schon halb überflutet von
dem armen italienischen Gesindel, das mit seiner Genügsamkeit jeden deutschen
Wettbewerb aus dem Felde schlüge. Den Tschechen in Böhmen folgen die
Italiener in Tirol und im Küstenland, das thatsächlich italienisch regiert wird.
Aber trotzdem scheint uns das geschilderte Gebiet des verlassenen Deutschtums
auf italienischem Boden, mag auch der Grenzstein es von dem Mutterlande
trennen, uoch nicht für immer verloren. Die Schwerter sitzen trotz aller Friedens¬
beteuerungen allzu lose in der Scheide, und der Dreibund soll doch Italien
Nizza wiederbringen. Eine Liebe ist der andern wert. Die Karte Europas
ist noch nicht endgiltig festgestellt. Man frage nur in Paris und Petersburg.
Unsre schwere Kriegsrüstuug tragen wir ja nicht, um uns lediglich Lorbeeren
Zu holen, es giebt vielmehr noch für unser Volkstum manche alte Schuld zu
sü Kurt von Strantz hnen.




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[0021] Landgruppen der vierten Einbruchsstelle. Behielt Österreich noch 1866 Süd- tirol, wo sich die Jtalianissimi dank der Fürsorge der österreichischen Regierung selbst gewaltig regten, so war kein triftiger Grund vorhanden, die altdeutschen Gemeindegebiete und Friaul dem Welschtum vollends zu überliefern. Napo¬ leon III. war jetzt sogar der heimliche Verbündete des in Italien siegreichen Österreichs, und der Schutz der unterdrückten Nationalitäten war auch seitens des neuen Königreichs der Vorwand zum Kriege. Joseph II. hat freilich die deutsche Sprache in den Habsburgischen Erbländer zur Staatssprache gemacht; aber seines Nachfolgers erste Maßnahme war, daß er diese die Staatseinheit bedingende Negierungshandlung aufhob. So folgte er nur der altüberlieferten nationalen Empfindungslosigkeit des Kaiserhauses, dessen Hauspolitik das alte Reich zur gänzlichen Auflösung gebracht hatte. Dieser Schaden wäre zu bessern gewesen, wenn nicht zugleich wesentliche Glieder des Reichs vielleicht auf immer entfremdet worden wären. Belgien und das noch jetzt französische Lothringen waren sogar eigne Erdtaube der herrschenden Dynastie. Diese italienischen deutschen Überbleibsel wollen dagegen territorial wenig bedeuten, aber immerhin stellen sie eine Bevölkerung von ungefähr 600000 Seelen dar, die Österreich verständnislos verraten hat. Italien hat es Österreich nicht gedankt, und die Chauvinisten verlangen mit gleichem Recht Welschtirvl, mag auch Bogen (Arco) und Ruffried (Noveredo) kaum recht italienisch klingen. Der von der Regierung unterstützte Priester hat zum Lohne Südtirol mit Erfolg verwelscht, und äußerlich erscheint die Anmaßung der Italiener kaum übertrieben. Die Regierung läßt ja selbst in diesem Landesteil die Verwelschung unter ihrem Schutz in Kirche, Schule und Verwaltung unaufhaltsam vordringen. Bozen ist schon halb überflutet von dem armen italienischen Gesindel, das mit seiner Genügsamkeit jeden deutschen Wettbewerb aus dem Felde schlüge. Den Tschechen in Böhmen folgen die Italiener in Tirol und im Küstenland, das thatsächlich italienisch regiert wird. Aber trotzdem scheint uns das geschilderte Gebiet des verlassenen Deutschtums auf italienischem Boden, mag auch der Grenzstein es von dem Mutterlande trennen, uoch nicht für immer verloren. Die Schwerter sitzen trotz aller Friedens¬ beteuerungen allzu lose in der Scheide, und der Dreibund soll doch Italien Nizza wiederbringen. Eine Liebe ist der andern wert. Die Karte Europas ist noch nicht endgiltig festgestellt. Man frage nur in Paris und Petersburg. Unsre schwere Kriegsrüstuug tragen wir ja nicht, um uns lediglich Lorbeeren Zu holen, es giebt vielmehr noch für unser Volkstum manche alte Schuld zu sü Kurt von Strantz hnen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/21>, abgerufen am 23.07.2024.