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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Das Recht der Frau nach dem bürgerlichen Gesetzbuch

die getrennteste Vermögensverwaltung nicht geeignet sein, den Druck der
drohenden Schande und das Gewicht der Bitten und Vorstellungen des be¬
drängten Ehemanns zu vermindern. "Wem sie ihren Leib traut, dem traut
sie auch ihr Gut," ist eben von jeher weniger ein Rechtssatz als ein Zeugnis
thatsächlicher Übung gewesen, die sich durch alle Rechtssätze und Schutzvorschriftcn
niemals beseitigen läßt.

Es giebt, und damit kommen wir zum zweiten Punkt, kaum ein Rechts¬
verhältnis, über das sich leichter eigne Erfahrungen sammeln ließen, als gerade
das eheliche Güterrecht; das kann jeder Ehemann und jede Ehefrau und jeder,
der in seiner Verwandtschaft oder Freundschaft die Schicksale einer Ehe verfolgen
kann. Aber an keiner Stelle ist die Berufung auf eigne Erfahrungen so wenig
angebracht wie gerade hier. Von der eignen Ehe in diesem Zusammenhange zu
reden und sie als Muster hinzustellen, würde nicht nur allen Regeln des
guten Geschmacks und des Zartgefühls widerstreiten, sondern auch jeder Beweis¬
kraft entbehren. Dies tritt auch in den Reichstagsverhandlungen scharf hervor;
es ist darin viel von zustimmenden Briefen gebildeter und verständiger Frauen
die Rede; der einzige wirklich vorgelesene Brief betont ausdrücklich, daß die
Absendern, selber in der glücklichsten Ehe gelebt und nur bei andern Frauen
Gelegenheit gehabt habe, die "Fülle von Jammer, Elend und Verzweiflung"
zu sehen, woran die Verwaltungsgemeinschaft schuld sei. Und wenn der Frei¬
herr von Stumm dem Reichstage eine Art Umfrage empfiehlt bei der "ruhigen
Frau, die heute der Bewegung fernsteht," so verfehlt er nicht, fürsorglich hinzu¬
zusetzen, man müsse ihr erst klar machen, wie die Verhältnisse liegen, und sie
bitten, wenn sie in normaler Ehe lebt, von ihrer eignen Ehe einmal abzusehen.
Auch hier behält nicht also Recht, wenn er meint, die Lehre von dem gleichen
Berufe der Geschlechter sei "berechtigter in der Poesie als im System, aber
immer noch berechtigter im System als in der That." "Es giebt gewisse
Wahrheiten, die nur wahr sind, wenn man sie gleich der Dekorationsmalerei
aus einiger Entfernung und bei künstlichem Lichte betrachtet."

Das dritte endlich und die Hauptsache ist, daß bei den Reichstagsver-
handlnngen vom 25. Juni 1896 der Kernpunkt der ganzen Frage, das wichtige
und eigentlich entscheidende so gut wie völlig unerwähnt geblieben ist. Alles,
was der Freiherr von Stumm und Bebel so ausführlich und überzeugungsvoll
vortrugen, ist schlechtweg unwiderleglich und selbstverständlich, sobald man
Mann und Frau in der Ehe als Einzelmenschen einander gegenüber oder auch
neben einander stellt; es verliert jede Bedeutung, wenn man sich bewußt wird,
daß hier nicht Mannesrecht und Frauenrecht, sondern das Recht der deutscheu
Familie auf dem Spiele steht.'


2

Als nicht in den fünfziger Jahren seine Naturgeschichte des Volkes
schrieb, widmete er den dritten und letzten Band "dem großen unser Volk


Das Recht der Frau nach dem bürgerlichen Gesetzbuch

die getrennteste Vermögensverwaltung nicht geeignet sein, den Druck der
drohenden Schande und das Gewicht der Bitten und Vorstellungen des be¬
drängten Ehemanns zu vermindern. „Wem sie ihren Leib traut, dem traut
sie auch ihr Gut," ist eben von jeher weniger ein Rechtssatz als ein Zeugnis
thatsächlicher Übung gewesen, die sich durch alle Rechtssätze und Schutzvorschriftcn
niemals beseitigen läßt.

Es giebt, und damit kommen wir zum zweiten Punkt, kaum ein Rechts¬
verhältnis, über das sich leichter eigne Erfahrungen sammeln ließen, als gerade
das eheliche Güterrecht; das kann jeder Ehemann und jede Ehefrau und jeder,
der in seiner Verwandtschaft oder Freundschaft die Schicksale einer Ehe verfolgen
kann. Aber an keiner Stelle ist die Berufung auf eigne Erfahrungen so wenig
angebracht wie gerade hier. Von der eignen Ehe in diesem Zusammenhange zu
reden und sie als Muster hinzustellen, würde nicht nur allen Regeln des
guten Geschmacks und des Zartgefühls widerstreiten, sondern auch jeder Beweis¬
kraft entbehren. Dies tritt auch in den Reichstagsverhandlungen scharf hervor;
es ist darin viel von zustimmenden Briefen gebildeter und verständiger Frauen
die Rede; der einzige wirklich vorgelesene Brief betont ausdrücklich, daß die
Absendern, selber in der glücklichsten Ehe gelebt und nur bei andern Frauen
Gelegenheit gehabt habe, die „Fülle von Jammer, Elend und Verzweiflung"
zu sehen, woran die Verwaltungsgemeinschaft schuld sei. Und wenn der Frei¬
herr von Stumm dem Reichstage eine Art Umfrage empfiehlt bei der „ruhigen
Frau, die heute der Bewegung fernsteht," so verfehlt er nicht, fürsorglich hinzu¬
zusetzen, man müsse ihr erst klar machen, wie die Verhältnisse liegen, und sie
bitten, wenn sie in normaler Ehe lebt, von ihrer eignen Ehe einmal abzusehen.
Auch hier behält nicht also Recht, wenn er meint, die Lehre von dem gleichen
Berufe der Geschlechter sei „berechtigter in der Poesie als im System, aber
immer noch berechtigter im System als in der That." „Es giebt gewisse
Wahrheiten, die nur wahr sind, wenn man sie gleich der Dekorationsmalerei
aus einiger Entfernung und bei künstlichem Lichte betrachtet."

Das dritte endlich und die Hauptsache ist, daß bei den Reichstagsver-
handlnngen vom 25. Juni 1896 der Kernpunkt der ganzen Frage, das wichtige
und eigentlich entscheidende so gut wie völlig unerwähnt geblieben ist. Alles,
was der Freiherr von Stumm und Bebel so ausführlich und überzeugungsvoll
vortrugen, ist schlechtweg unwiderleglich und selbstverständlich, sobald man
Mann und Frau in der Ehe als Einzelmenschen einander gegenüber oder auch
neben einander stellt; es verliert jede Bedeutung, wenn man sich bewußt wird,
daß hier nicht Mannesrecht und Frauenrecht, sondern das Recht der deutscheu
Familie auf dem Spiele steht.'


2

Als nicht in den fünfziger Jahren seine Naturgeschichte des Volkes
schrieb, widmete er den dritten und letzten Band „dem großen unser Volk


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[0215] Das Recht der Frau nach dem bürgerlichen Gesetzbuch die getrennteste Vermögensverwaltung nicht geeignet sein, den Druck der drohenden Schande und das Gewicht der Bitten und Vorstellungen des be¬ drängten Ehemanns zu vermindern. „Wem sie ihren Leib traut, dem traut sie auch ihr Gut," ist eben von jeher weniger ein Rechtssatz als ein Zeugnis thatsächlicher Übung gewesen, die sich durch alle Rechtssätze und Schutzvorschriftcn niemals beseitigen läßt. Es giebt, und damit kommen wir zum zweiten Punkt, kaum ein Rechts¬ verhältnis, über das sich leichter eigne Erfahrungen sammeln ließen, als gerade das eheliche Güterrecht; das kann jeder Ehemann und jede Ehefrau und jeder, der in seiner Verwandtschaft oder Freundschaft die Schicksale einer Ehe verfolgen kann. Aber an keiner Stelle ist die Berufung auf eigne Erfahrungen so wenig angebracht wie gerade hier. Von der eignen Ehe in diesem Zusammenhange zu reden und sie als Muster hinzustellen, würde nicht nur allen Regeln des guten Geschmacks und des Zartgefühls widerstreiten, sondern auch jeder Beweis¬ kraft entbehren. Dies tritt auch in den Reichstagsverhandlungen scharf hervor; es ist darin viel von zustimmenden Briefen gebildeter und verständiger Frauen die Rede; der einzige wirklich vorgelesene Brief betont ausdrücklich, daß die Absendern, selber in der glücklichsten Ehe gelebt und nur bei andern Frauen Gelegenheit gehabt habe, die „Fülle von Jammer, Elend und Verzweiflung" zu sehen, woran die Verwaltungsgemeinschaft schuld sei. Und wenn der Frei¬ herr von Stumm dem Reichstage eine Art Umfrage empfiehlt bei der „ruhigen Frau, die heute der Bewegung fernsteht," so verfehlt er nicht, fürsorglich hinzu¬ zusetzen, man müsse ihr erst klar machen, wie die Verhältnisse liegen, und sie bitten, wenn sie in normaler Ehe lebt, von ihrer eignen Ehe einmal abzusehen. Auch hier behält nicht also Recht, wenn er meint, die Lehre von dem gleichen Berufe der Geschlechter sei „berechtigter in der Poesie als im System, aber immer noch berechtigter im System als in der That." „Es giebt gewisse Wahrheiten, die nur wahr sind, wenn man sie gleich der Dekorationsmalerei aus einiger Entfernung und bei künstlichem Lichte betrachtet." Das dritte endlich und die Hauptsache ist, daß bei den Reichstagsver- handlnngen vom 25. Juni 1896 der Kernpunkt der ganzen Frage, das wichtige und eigentlich entscheidende so gut wie völlig unerwähnt geblieben ist. Alles, was der Freiherr von Stumm und Bebel so ausführlich und überzeugungsvoll vortrugen, ist schlechtweg unwiderleglich und selbstverständlich, sobald man Mann und Frau in der Ehe als Einzelmenschen einander gegenüber oder auch neben einander stellt; es verliert jede Bedeutung, wenn man sich bewußt wird, daß hier nicht Mannesrecht und Frauenrecht, sondern das Recht der deutscheu Familie auf dem Spiele steht.' 2 Als nicht in den fünfziger Jahren seine Naturgeschichte des Volkes schrieb, widmete er den dritten und letzten Band „dem großen unser Volk

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/215>, abgerufen am 03.07.2024.