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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Alphonse Daudet
Lrnst Groth von

er Tod des gefeierten Romanschriftstellers Alphonse Daudet hat
in das litterarische Frankreich eine Lücke gerissen, die bei der
scheinbaren Ermattung und Unfruchtbarkeit der führenden Geister
schwer ausgefüllt werden kann. Es ist deshalb erklärlich, daß
die französischen Zeitungen und Zeitschriften aller Schattirungen
nicht müde werden, die litterarische Bedeutung Daudcts, seinen nationalen
Charakter und seine persönlichen Eigenschaften lobend hervorzuheben und seinen
Tod als einen großen geistigen Verlust für Frankreich zu beklagen. So über-
schwänglich auch manche Charakteristiken ausgefallen sind, und so phrasenhaft
und nichtssagend auch manche Lobpreisungen klingen, so ist bei dieser Gelegen¬
heit doch auch manches vortreffliche Urteil über Daudet ausgesprochen worden.
Von Männern wie Emile Faguet, Jules Lema!tre und Ren6 Doumic konnte
man auch schon eine unbefangne Kritik und eine gründliche ästhetische Wür¬
digung dieses freilich nicht leicht zu erklärenden Schriftstellers erwarten. Aber
auch diese Schriftsteller haben sich in ihren Aufsätzen -- im ^ouriM clef
DsbatL (18. Dezember 1897), im ?iMio (20. Dezember 1897) und in der
Növruz as" cieux Nonclös (15. Januar 1898) -- darauf beschränkt, Daudets
Stellung und Einfluß innerhalb der französischen Litteratur nachzuweisen, ohne
einen Blick über die Grenze nach andern Ländern zu werfen. Sie mögen das
wohl weniger aus nationaler Bescheidenheit gethan haben als aus dem Grunde,
weil ihnen das litterarische Leben des Auslands in seinen einzelnen Strö¬
mungen, Sympathien und Antipathien unbekannt oder uninteressant ist. '

Auch das Ausland hat mit Alphonse Dandet einen liebenswürdigen
Schriftsteller verloren. In England und in Amerika giebt es große Gemeinden/
die für Daudet begeistert sind, und eine der besten litterarischen Würdigungen!
die ich über ihn gelesen habe, stammt aus der Feder des bekannten Schrift¬
stellers Henry James in seinen ?g.rtiiü xortr-nes (London, 1888). Nicht
weniger zahlreich siud Daudets Freunde in Deutschland, obgleich wir Deutsches
allen Grund hätten, mit ihm recht unzufrieden zu sein; denn es giebt kaüni
einen zweiten französischen Schriftsteller, den die Erfahrungen des schrecklichen
Jahres mit so finsterm Groll gegen Deutschland erfüllt und zu so ungerechten
Anklagen gegen unser Volk getrieben hätten wie ihn. Vor allem sind Daudet




Alphonse Daudet
Lrnst Groth von

er Tod des gefeierten Romanschriftstellers Alphonse Daudet hat
in das litterarische Frankreich eine Lücke gerissen, die bei der
scheinbaren Ermattung und Unfruchtbarkeit der führenden Geister
schwer ausgefüllt werden kann. Es ist deshalb erklärlich, daß
die französischen Zeitungen und Zeitschriften aller Schattirungen
nicht müde werden, die litterarische Bedeutung Daudcts, seinen nationalen
Charakter und seine persönlichen Eigenschaften lobend hervorzuheben und seinen
Tod als einen großen geistigen Verlust für Frankreich zu beklagen. So über-
schwänglich auch manche Charakteristiken ausgefallen sind, und so phrasenhaft
und nichtssagend auch manche Lobpreisungen klingen, so ist bei dieser Gelegen¬
heit doch auch manches vortreffliche Urteil über Daudet ausgesprochen worden.
Von Männern wie Emile Faguet, Jules Lema!tre und Ren6 Doumic konnte
man auch schon eine unbefangne Kritik und eine gründliche ästhetische Wür¬
digung dieses freilich nicht leicht zu erklärenden Schriftstellers erwarten. Aber
auch diese Schriftsteller haben sich in ihren Aufsätzen — im ^ouriM clef
DsbatL (18. Dezember 1897), im ?iMio (20. Dezember 1897) und in der
Növruz as« cieux Nonclös (15. Januar 1898) — darauf beschränkt, Daudets
Stellung und Einfluß innerhalb der französischen Litteratur nachzuweisen, ohne
einen Blick über die Grenze nach andern Ländern zu werfen. Sie mögen das
wohl weniger aus nationaler Bescheidenheit gethan haben als aus dem Grunde,
weil ihnen das litterarische Leben des Auslands in seinen einzelnen Strö¬
mungen, Sympathien und Antipathien unbekannt oder uninteressant ist. '

Auch das Ausland hat mit Alphonse Dandet einen liebenswürdigen
Schriftsteller verloren. In England und in Amerika giebt es große Gemeinden/
die für Daudet begeistert sind, und eine der besten litterarischen Würdigungen!
die ich über ihn gelesen habe, stammt aus der Feder des bekannten Schrift¬
stellers Henry James in seinen ?g.rtiiü xortr-nes (London, 1888). Nicht
weniger zahlreich siud Daudets Freunde in Deutschland, obgleich wir Deutsches
allen Grund hätten, mit ihm recht unzufrieden zu sein; denn es giebt kaüni
einen zweiten französischen Schriftsteller, den die Erfahrungen des schrecklichen
Jahres mit so finsterm Groll gegen Deutschland erfüllt und zu so ungerechten
Anklagen gegen unser Volk getrieben hätten wie ihn. Vor allem sind Daudet


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[0142] [Abbildung] Alphonse Daudet Lrnst Groth von er Tod des gefeierten Romanschriftstellers Alphonse Daudet hat in das litterarische Frankreich eine Lücke gerissen, die bei der scheinbaren Ermattung und Unfruchtbarkeit der führenden Geister schwer ausgefüllt werden kann. Es ist deshalb erklärlich, daß die französischen Zeitungen und Zeitschriften aller Schattirungen nicht müde werden, die litterarische Bedeutung Daudcts, seinen nationalen Charakter und seine persönlichen Eigenschaften lobend hervorzuheben und seinen Tod als einen großen geistigen Verlust für Frankreich zu beklagen. So über- schwänglich auch manche Charakteristiken ausgefallen sind, und so phrasenhaft und nichtssagend auch manche Lobpreisungen klingen, so ist bei dieser Gelegen¬ heit doch auch manches vortreffliche Urteil über Daudet ausgesprochen worden. Von Männern wie Emile Faguet, Jules Lema!tre und Ren6 Doumic konnte man auch schon eine unbefangne Kritik und eine gründliche ästhetische Wür¬ digung dieses freilich nicht leicht zu erklärenden Schriftstellers erwarten. Aber auch diese Schriftsteller haben sich in ihren Aufsätzen — im ^ouriM clef DsbatL (18. Dezember 1897), im ?iMio (20. Dezember 1897) und in der Növruz as« cieux Nonclös (15. Januar 1898) — darauf beschränkt, Daudets Stellung und Einfluß innerhalb der französischen Litteratur nachzuweisen, ohne einen Blick über die Grenze nach andern Ländern zu werfen. Sie mögen das wohl weniger aus nationaler Bescheidenheit gethan haben als aus dem Grunde, weil ihnen das litterarische Leben des Auslands in seinen einzelnen Strö¬ mungen, Sympathien und Antipathien unbekannt oder uninteressant ist. ' Auch das Ausland hat mit Alphonse Dandet einen liebenswürdigen Schriftsteller verloren. In England und in Amerika giebt es große Gemeinden/ die für Daudet begeistert sind, und eine der besten litterarischen Würdigungen! die ich über ihn gelesen habe, stammt aus der Feder des bekannten Schrift¬ stellers Henry James in seinen ?g.rtiiü xortr-nes (London, 1888). Nicht weniger zahlreich siud Daudets Freunde in Deutschland, obgleich wir Deutsches allen Grund hätten, mit ihm recht unzufrieden zu sein; denn es giebt kaüni einen zweiten französischen Schriftsteller, den die Erfahrungen des schrecklichen Jahres mit so finsterm Groll gegen Deutschland erfüllt und zu so ungerechten Anklagen gegen unser Volk getrieben hätten wie ihn. Vor allem sind Daudet

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/142>, abgerufen am 23.07.2024.