Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Zeitalter Napoleons III. und Wilhelms I.

Macht, des geistigen Fortschritts, des künstlerischen Erfinders und Empfindens,
sowie des maßgebenden Einflusses heldenhafter Persönlichkeiten von Gottes
Gnaden nirgend verabsäumt, verliert er doch nie die eigentümliche Entwicklung
der Nationen nicht nnr Europas, sondern der gesamten Welt aus den Augen.
Überall stellt er die unabweisliche Erweiterung ihres wirtschaftlichen und
geistigen Besitzes in den Vordergrund seiner Betrachtung, die er meistens mit
geistvollen "Ergebnissen und Aussichten" abschließt. Der Blick des deutschen
Lesers wird mit besondrer Vorliebe doch immer an den Ergebnissen und Aus¬
sichten haften, die ihm die Geschichte des Vaterlands eröffnet. Der Verfasser
versagt sich -- was man selbstverständlich finden wird -- die Darstellung der
letzten neun Jahre deutscher Geschichte seit Kaiser Wilhelms II. Thronbesteigung
und schließt diese mit der erschütternden Tragödie der 99 Tage wirkungs¬
voll ab.

Am Ende des ganzen Werkes wirft er noch einen Blick in die Zukunft.
"An den Sieg des Nativnalitätsgedankens und die Ausbildung der Welt¬
wirtschaft schließt sich der gewaltige Kampf um eine neue Verteilung des
Anteils an dieser Weltwirtschaft, d. h. an der Weltherrschaft. Schon haben
sich drei ungeheure wirtschaftliche Körper gebildet oder sind in der Bildung
begriffen: das russische Reich, eine zusammenhängende Lündermasse von der
Ostsee bis zum Großen Ozean, das über alle Erdteile zerstreute britische Welt¬
reich und die amerikanische Union zwischen den beiden wichtigsten Ozeanen der
Erde. Sollen die übrigen Nationen dem Drucke dieser drei riesigen Macht¬
bildungen nicht erliegen und aufhören, Großmächte im wahren Sinne des
Wortes zu sein, so müssen sie mit aller Kraft ihren Anteil an der Welt zu
vergrößern suchen und den unversöhnlichen Gegensatz, in dem die beiden
stärksten Machtbildungen stehen, benutzen, um sich selbst Raum zu schaffen."
Gerade weil diese unabsehbaren Kämpfe bevorstehen, glaubt Kaemmel weder
an ein Zurücktreten der nationalstaatlichen Gestaltung, da alle Großmächte
auf nationaler Grundlage beruhen, noch an eine Steigerung der parlamen¬
tarischen Macht, da diese zur Leitung einer Weltpolitik unfähig und überall
im Verfall begriffen ist, noch vollends an einen Sieg der Sozialdemokratie,
da ihr Ideal der menschlichen Natur und der gesamten Entwicklung wider¬
spricht, und er sieht den Sieg der Völker voraus, die von einer starken Monarchie
und einer wahren Aristokratie geleitet werden. Andrerseits hofft er auf eine
sich schon kräftig ankündigende Belebung des religiösen Gedankens, da "auf
der Grundlage des Pessimismus und Materialismus eine befriedigende und
befreiende Weltansicht niemals entstehen kann."




Das Zeitalter Napoleons III. und Wilhelms I.

Macht, des geistigen Fortschritts, des künstlerischen Erfinders und Empfindens,
sowie des maßgebenden Einflusses heldenhafter Persönlichkeiten von Gottes
Gnaden nirgend verabsäumt, verliert er doch nie die eigentümliche Entwicklung
der Nationen nicht nnr Europas, sondern der gesamten Welt aus den Augen.
Überall stellt er die unabweisliche Erweiterung ihres wirtschaftlichen und
geistigen Besitzes in den Vordergrund seiner Betrachtung, die er meistens mit
geistvollen „Ergebnissen und Aussichten" abschließt. Der Blick des deutschen
Lesers wird mit besondrer Vorliebe doch immer an den Ergebnissen und Aus¬
sichten haften, die ihm die Geschichte des Vaterlands eröffnet. Der Verfasser
versagt sich — was man selbstverständlich finden wird — die Darstellung der
letzten neun Jahre deutscher Geschichte seit Kaiser Wilhelms II. Thronbesteigung
und schließt diese mit der erschütternden Tragödie der 99 Tage wirkungs¬
voll ab.

Am Ende des ganzen Werkes wirft er noch einen Blick in die Zukunft.
„An den Sieg des Nativnalitätsgedankens und die Ausbildung der Welt¬
wirtschaft schließt sich der gewaltige Kampf um eine neue Verteilung des
Anteils an dieser Weltwirtschaft, d. h. an der Weltherrschaft. Schon haben
sich drei ungeheure wirtschaftliche Körper gebildet oder sind in der Bildung
begriffen: das russische Reich, eine zusammenhängende Lündermasse von der
Ostsee bis zum Großen Ozean, das über alle Erdteile zerstreute britische Welt¬
reich und die amerikanische Union zwischen den beiden wichtigsten Ozeanen der
Erde. Sollen die übrigen Nationen dem Drucke dieser drei riesigen Macht¬
bildungen nicht erliegen und aufhören, Großmächte im wahren Sinne des
Wortes zu sein, so müssen sie mit aller Kraft ihren Anteil an der Welt zu
vergrößern suchen und den unversöhnlichen Gegensatz, in dem die beiden
stärksten Machtbildungen stehen, benutzen, um sich selbst Raum zu schaffen."
Gerade weil diese unabsehbaren Kämpfe bevorstehen, glaubt Kaemmel weder
an ein Zurücktreten der nationalstaatlichen Gestaltung, da alle Großmächte
auf nationaler Grundlage beruhen, noch an eine Steigerung der parlamen¬
tarischen Macht, da diese zur Leitung einer Weltpolitik unfähig und überall
im Verfall begriffen ist, noch vollends an einen Sieg der Sozialdemokratie,
da ihr Ideal der menschlichen Natur und der gesamten Entwicklung wider¬
spricht, und er sieht den Sieg der Völker voraus, die von einer starken Monarchie
und einer wahren Aristokratie geleitet werden. Andrerseits hofft er auf eine
sich schon kräftig ankündigende Belebung des religiösen Gedankens, da „auf
der Grundlage des Pessimismus und Materialismus eine befriedigende und
befreiende Weltansicht niemals entstehen kann."




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0141" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227777"/>
          <fw type="header" place="top"> Das Zeitalter Napoleons III. und Wilhelms I.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_368" prev="#ID_367"> Macht, des geistigen Fortschritts, des künstlerischen Erfinders und Empfindens,<lb/>
sowie des maßgebenden Einflusses heldenhafter Persönlichkeiten von Gottes<lb/>
Gnaden nirgend verabsäumt, verliert er doch nie die eigentümliche Entwicklung<lb/>
der Nationen nicht nnr Europas, sondern der gesamten Welt aus den Augen.<lb/>
Überall stellt er die unabweisliche Erweiterung ihres wirtschaftlichen und<lb/>
geistigen Besitzes in den Vordergrund seiner Betrachtung, die er meistens mit<lb/>
geistvollen &#x201E;Ergebnissen und Aussichten" abschließt. Der Blick des deutschen<lb/>
Lesers wird mit besondrer Vorliebe doch immer an den Ergebnissen und Aus¬<lb/>
sichten haften, die ihm die Geschichte des Vaterlands eröffnet. Der Verfasser<lb/>
versagt sich &#x2014; was man selbstverständlich finden wird &#x2014; die Darstellung der<lb/>
letzten neun Jahre deutscher Geschichte seit Kaiser Wilhelms II. Thronbesteigung<lb/>
und schließt diese mit der erschütternden Tragödie der 99 Tage wirkungs¬<lb/>
voll ab.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_369"> Am Ende des ganzen Werkes wirft er noch einen Blick in die Zukunft.<lb/>
&#x201E;An den Sieg des Nativnalitätsgedankens und die Ausbildung der Welt¬<lb/>
wirtschaft schließt sich der gewaltige Kampf um eine neue Verteilung des<lb/>
Anteils an dieser Weltwirtschaft, d. h. an der Weltherrschaft. Schon haben<lb/>
sich drei ungeheure wirtschaftliche Körper gebildet oder sind in der Bildung<lb/>
begriffen: das russische Reich, eine zusammenhängende Lündermasse von der<lb/>
Ostsee bis zum Großen Ozean, das über alle Erdteile zerstreute britische Welt¬<lb/>
reich und die amerikanische Union zwischen den beiden wichtigsten Ozeanen der<lb/>
Erde. Sollen die übrigen Nationen dem Drucke dieser drei riesigen Macht¬<lb/>
bildungen nicht erliegen und aufhören, Großmächte im wahren Sinne des<lb/>
Wortes zu sein, so müssen sie mit aller Kraft ihren Anteil an der Welt zu<lb/>
vergrößern suchen und den unversöhnlichen Gegensatz, in dem die beiden<lb/>
stärksten Machtbildungen stehen, benutzen, um sich selbst Raum zu schaffen."<lb/>
Gerade weil diese unabsehbaren Kämpfe bevorstehen, glaubt Kaemmel weder<lb/>
an ein Zurücktreten der nationalstaatlichen Gestaltung, da alle Großmächte<lb/>
auf nationaler Grundlage beruhen, noch an eine Steigerung der parlamen¬<lb/>
tarischen Macht, da diese zur Leitung einer Weltpolitik unfähig und überall<lb/>
im Verfall begriffen ist, noch vollends an einen Sieg der Sozialdemokratie,<lb/>
da ihr Ideal der menschlichen Natur und der gesamten Entwicklung wider¬<lb/>
spricht, und er sieht den Sieg der Völker voraus, die von einer starken Monarchie<lb/>
und einer wahren Aristokratie geleitet werden. Andrerseits hofft er auf eine<lb/>
sich schon kräftig ankündigende Belebung des religiösen Gedankens, da &#x201E;auf<lb/>
der Grundlage des Pessimismus und Materialismus eine befriedigende und<lb/>
befreiende Weltansicht niemals entstehen kann."</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0141] Das Zeitalter Napoleons III. und Wilhelms I. Macht, des geistigen Fortschritts, des künstlerischen Erfinders und Empfindens, sowie des maßgebenden Einflusses heldenhafter Persönlichkeiten von Gottes Gnaden nirgend verabsäumt, verliert er doch nie die eigentümliche Entwicklung der Nationen nicht nnr Europas, sondern der gesamten Welt aus den Augen. Überall stellt er die unabweisliche Erweiterung ihres wirtschaftlichen und geistigen Besitzes in den Vordergrund seiner Betrachtung, die er meistens mit geistvollen „Ergebnissen und Aussichten" abschließt. Der Blick des deutschen Lesers wird mit besondrer Vorliebe doch immer an den Ergebnissen und Aus¬ sichten haften, die ihm die Geschichte des Vaterlands eröffnet. Der Verfasser versagt sich — was man selbstverständlich finden wird — die Darstellung der letzten neun Jahre deutscher Geschichte seit Kaiser Wilhelms II. Thronbesteigung und schließt diese mit der erschütternden Tragödie der 99 Tage wirkungs¬ voll ab. Am Ende des ganzen Werkes wirft er noch einen Blick in die Zukunft. „An den Sieg des Nativnalitätsgedankens und die Ausbildung der Welt¬ wirtschaft schließt sich der gewaltige Kampf um eine neue Verteilung des Anteils an dieser Weltwirtschaft, d. h. an der Weltherrschaft. Schon haben sich drei ungeheure wirtschaftliche Körper gebildet oder sind in der Bildung begriffen: das russische Reich, eine zusammenhängende Lündermasse von der Ostsee bis zum Großen Ozean, das über alle Erdteile zerstreute britische Welt¬ reich und die amerikanische Union zwischen den beiden wichtigsten Ozeanen der Erde. Sollen die übrigen Nationen dem Drucke dieser drei riesigen Macht¬ bildungen nicht erliegen und aufhören, Großmächte im wahren Sinne des Wortes zu sein, so müssen sie mit aller Kraft ihren Anteil an der Welt zu vergrößern suchen und den unversöhnlichen Gegensatz, in dem die beiden stärksten Machtbildungen stehen, benutzen, um sich selbst Raum zu schaffen." Gerade weil diese unabsehbaren Kämpfe bevorstehen, glaubt Kaemmel weder an ein Zurücktreten der nationalstaatlichen Gestaltung, da alle Großmächte auf nationaler Grundlage beruhen, noch an eine Steigerung der parlamen¬ tarischen Macht, da diese zur Leitung einer Weltpolitik unfähig und überall im Verfall begriffen ist, noch vollends an einen Sieg der Sozialdemokratie, da ihr Ideal der menschlichen Natur und der gesamten Entwicklung wider¬ spricht, und er sieht den Sieg der Völker voraus, die von einer starken Monarchie und einer wahren Aristokratie geleitet werden. Andrerseits hofft er auf eine sich schon kräftig ankündigende Belebung des religiösen Gedankens, da „auf der Grundlage des Pessimismus und Materialismus eine befriedigende und befreiende Weltansicht niemals entstehen kann."

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/141
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/141>, abgerufen am 23.07.2024.