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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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die Bayern bis in die Seele verhaßt; er läßt keine Gelegenheit vorübergehen,
sie mit Schmähungen zu überhäufen. So sagt er z. V. in den Lontss an
lunäi: Trotz allem, was man seit einigen Jahren über den französischen
Chauvinismus geschrieben hat, über unsre patriotischen Dummheiten, unsre
Eitelkeit, unsre Prahlereien, glaube ich nicht, daß es in Europa ein so hohles,
ruhmgicriges, eingebildetes Volk giebt wie die Bayern. La. doues xstlls
distoirs, äix paZss äswollsss as 1'lüstoirs as 1'^IIsniÄAns, s'vois äans Iss
russ as Nunieli, giMntvscjus, äisxroportivnnvs, tout su xsinturss et su
Monuments, oomme un as öff livrss ä'strsnnss ein'vo äonns MX snkMts:
xsu as tsxts se bsMeoux ä'imgZss (S. 330). Auch die alberne Legende
von der Pendülen-Kleptomanie der deutschen Soldaten stammt hauptsächlich von
Daudet, und die boshafte aber wenig witzige Geschichte ?frau1s as NouAival
läßt er bekanntlich in München bei dem Professor Otto de Schwanthaler
spielen. Ebenso unerquickliche, von Chauvinismus triefende Schilderungen
enthält sein Roman Rodsrt, Relmont, aus der Zeit der Pariser Belagerung.
Daudet hat sich leider von der niedrigen Rcvancheschriftstellerei nicht immer
frei gehalten, die mit den Jahren gewaltig ins Kraut gewachsen ist. Wer sich
darüber näher unterrichten will, den verweise ich auf die vortreffliche Arbeit
von Eduard Koschwitz: Die französische Novellistik und Romanlitteratur über
den Krieg von 1870/1871 (Berlin, 1893), worin auch Daudet als Revanchc-
schriftsteller charakterisirt ist.

Hätte ein deutscher Schriftsteller derartige Bosheiten gegen Frankreich
ausgesprochen, so wäre er dort für alle Zeiten gerichtet, auf keinen Fall würde
man seine Schriften, und wären sie auch noch so berühmt, als Lektüre in den
Schulen einführen. Wir sind in dieser Beziehung weniger reizbar; wir ge¬
raten über dergleichen Ausfälle eines überwundnen Gegners nicht in den
Harnisch, weil noch etwas von der behaglichen Menschenliebe unsrer Altvordern
in uns lebt, die jedem Verurteilten erlaubte, vierundzwanzig Stunden un¬
gestraft über seine Richter zu schimpfen. Wir finden den furchtbaren Haß,
der Daudets patriotische Seele erfüllte, erklärlich; wir verstehen seinen Schmerz,
seine innere Zerrissenheit, seine leidenschaftlichen Ausbrüche über den Sturz
feines Vaterlandes, und unsre Entrüstung verwandelt sich in Nachsicht, in
Mitgefühl. Ans diese menschliche Verirrung Daudets passen Geibels Verse:


Keiner
Gehört in Haß und Liebe nur sich selbst.
Ein Zauber webt im Dunstkreis, den wir atmen,
Und sucht von ewig gleichem Hauch umwittert,
Verwandelt sich dus Herz uns in der Brust.

So ist denn Alphonse Daudet, trotz seines Deutschenhasses, bei uns nicht nur
ein viel gelesener Dichter, er ist sogar als klassischer Schriftsteller in unsre
Schulen gedrungen, und die Pädagogen sind sich längst darüber einig, daß


die Bayern bis in die Seele verhaßt; er läßt keine Gelegenheit vorübergehen,
sie mit Schmähungen zu überhäufen. So sagt er z. V. in den Lontss an
lunäi: Trotz allem, was man seit einigen Jahren über den französischen
Chauvinismus geschrieben hat, über unsre patriotischen Dummheiten, unsre
Eitelkeit, unsre Prahlereien, glaube ich nicht, daß es in Europa ein so hohles,
ruhmgicriges, eingebildetes Volk giebt wie die Bayern. La. doues xstlls
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russ as Nunieli, giMntvscjus, äisxroportivnnvs, tout su xsinturss et su
Monuments, oomme un as öff livrss ä'strsnnss ein'vo äonns MX snkMts:
xsu as tsxts se bsMeoux ä'imgZss (S. 330). Auch die alberne Legende
von der Pendülen-Kleptomanie der deutschen Soldaten stammt hauptsächlich von
Daudet, und die boshafte aber wenig witzige Geschichte ?frau1s as NouAival
läßt er bekanntlich in München bei dem Professor Otto de Schwanthaler
spielen. Ebenso unerquickliche, von Chauvinismus triefende Schilderungen
enthält sein Roman Rodsrt, Relmont, aus der Zeit der Pariser Belagerung.
Daudet hat sich leider von der niedrigen Rcvancheschriftstellerei nicht immer
frei gehalten, die mit den Jahren gewaltig ins Kraut gewachsen ist. Wer sich
darüber näher unterrichten will, den verweise ich auf die vortreffliche Arbeit
von Eduard Koschwitz: Die französische Novellistik und Romanlitteratur über
den Krieg von 1870/1871 (Berlin, 1893), worin auch Daudet als Revanchc-
schriftsteller charakterisirt ist.

Hätte ein deutscher Schriftsteller derartige Bosheiten gegen Frankreich
ausgesprochen, so wäre er dort für alle Zeiten gerichtet, auf keinen Fall würde
man seine Schriften, und wären sie auch noch so berühmt, als Lektüre in den
Schulen einführen. Wir sind in dieser Beziehung weniger reizbar; wir ge¬
raten über dergleichen Ausfälle eines überwundnen Gegners nicht in den
Harnisch, weil noch etwas von der behaglichen Menschenliebe unsrer Altvordern
in uns lebt, die jedem Verurteilten erlaubte, vierundzwanzig Stunden un¬
gestraft über seine Richter zu schimpfen. Wir finden den furchtbaren Haß,
der Daudets patriotische Seele erfüllte, erklärlich; wir verstehen seinen Schmerz,
seine innere Zerrissenheit, seine leidenschaftlichen Ausbrüche über den Sturz
feines Vaterlandes, und unsre Entrüstung verwandelt sich in Nachsicht, in
Mitgefühl. Ans diese menschliche Verirrung Daudets passen Geibels Verse:


Keiner
Gehört in Haß und Liebe nur sich selbst.
Ein Zauber webt im Dunstkreis, den wir atmen,
Und sucht von ewig gleichem Hauch umwittert,
Verwandelt sich dus Herz uns in der Brust.

So ist denn Alphonse Daudet, trotz seines Deutschenhasses, bei uns nicht nur
ein viel gelesener Dichter, er ist sogar als klassischer Schriftsteller in unsre
Schulen gedrungen, und die Pädagogen sind sich längst darüber einig, daß


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[0143] die Bayern bis in die Seele verhaßt; er läßt keine Gelegenheit vorübergehen, sie mit Schmähungen zu überhäufen. So sagt er z. V. in den Lontss an lunäi: Trotz allem, was man seit einigen Jahren über den französischen Chauvinismus geschrieben hat, über unsre patriotischen Dummheiten, unsre Eitelkeit, unsre Prahlereien, glaube ich nicht, daß es in Europa ein so hohles, ruhmgicriges, eingebildetes Volk giebt wie die Bayern. La. doues xstlls distoirs, äix paZss äswollsss as 1'lüstoirs as 1'^IIsniÄAns, s'vois äans Iss russ as Nunieli, giMntvscjus, äisxroportivnnvs, tout su xsinturss et su Monuments, oomme un as öff livrss ä'strsnnss ein'vo äonns MX snkMts: xsu as tsxts se bsMeoux ä'imgZss (S. 330). Auch die alberne Legende von der Pendülen-Kleptomanie der deutschen Soldaten stammt hauptsächlich von Daudet, und die boshafte aber wenig witzige Geschichte ?frau1s as NouAival läßt er bekanntlich in München bei dem Professor Otto de Schwanthaler spielen. Ebenso unerquickliche, von Chauvinismus triefende Schilderungen enthält sein Roman Rodsrt, Relmont, aus der Zeit der Pariser Belagerung. Daudet hat sich leider von der niedrigen Rcvancheschriftstellerei nicht immer frei gehalten, die mit den Jahren gewaltig ins Kraut gewachsen ist. Wer sich darüber näher unterrichten will, den verweise ich auf die vortreffliche Arbeit von Eduard Koschwitz: Die französische Novellistik und Romanlitteratur über den Krieg von 1870/1871 (Berlin, 1893), worin auch Daudet als Revanchc- schriftsteller charakterisirt ist. Hätte ein deutscher Schriftsteller derartige Bosheiten gegen Frankreich ausgesprochen, so wäre er dort für alle Zeiten gerichtet, auf keinen Fall würde man seine Schriften, und wären sie auch noch so berühmt, als Lektüre in den Schulen einführen. Wir sind in dieser Beziehung weniger reizbar; wir ge¬ raten über dergleichen Ausfälle eines überwundnen Gegners nicht in den Harnisch, weil noch etwas von der behaglichen Menschenliebe unsrer Altvordern in uns lebt, die jedem Verurteilten erlaubte, vierundzwanzig Stunden un¬ gestraft über seine Richter zu schimpfen. Wir finden den furchtbaren Haß, der Daudets patriotische Seele erfüllte, erklärlich; wir verstehen seinen Schmerz, seine innere Zerrissenheit, seine leidenschaftlichen Ausbrüche über den Sturz feines Vaterlandes, und unsre Entrüstung verwandelt sich in Nachsicht, in Mitgefühl. Ans diese menschliche Verirrung Daudets passen Geibels Verse: Keiner Gehört in Haß und Liebe nur sich selbst. Ein Zauber webt im Dunstkreis, den wir atmen, Und sucht von ewig gleichem Hauch umwittert, Verwandelt sich dus Herz uns in der Brust. So ist denn Alphonse Daudet, trotz seines Deutschenhasses, bei uns nicht nur ein viel gelesener Dichter, er ist sogar als klassischer Schriftsteller in unsre Schulen gedrungen, und die Pädagogen sind sich längst darüber einig, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/143>, abgerufen am 23.07.2024.