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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Das Zeitalter Napoleons III. und Wilhelms I.

den russischen Bundesgenossen, seine Forderungen nach der Niederwerfung der
Türkei zu Gunsten Österreichs und Griechenlands einzuschränken; dabei gewinnt
es gleichzeitig durch den Dreibund Österreich und Italien zur gemeinsamen
Abwehr gegen Rußland, falls dieses die Waffen gegen eine von den drei
Mächten erheben sollte. Wohl war diese neunzehnjährige Friedenspolitik zu¬
meist das Werk des unermüdlichen deutschen Reichskanzlers, den O. Kaemmel
als "die höchste Verkörperung des deutschen Wesens seit Luther" bezeichnet,
aber eine überaus feinsinnige Charakteristik des Kaisers und seines Ministers
(S. 400 ff.) zeigt uns deutlich, wie jener stets im vollen Sinne der Herr
blieb und alle Fäden doch schließlich in seiner Hand zusammenliefen, deren
Unterschrift stets nur nach sorgfältigster Prüfung gegeben wurde.

Vervollständigt wird dies Lichtbild einer langen Friedenszeit durch den
innern Ausbau des Reichs in militärischer, rechtlicher, wirtschaftlicher und
sozialer Beziehung, der schließlich zu einer beispiellosen Vermehrung der
Bevölkerung und Erhöhung des Wohlstands geführt hat. Die Darstellung
der "wirtschaftlichen Lage in Deutschland" (S. 538) giebt den besten Beweis
von der Wahrheit des geschichtlichen Satzes, den vor wenigen Wochen einer
der größten Industriellen (Woermann in Hamburg) in Berlin aussprach, daß "die
politischen von den wirtschaftlichen Fragen absolut nicht zu trennen" seien, daß
vielmehr "die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes niemals ohne politische
Machtstellung erfolgt" sei. Freilich ergeben sich daraus Verpflichtungen, die
weit über die Grenzen unsers Vaterlandes hinausgehen. Das reichhaltige
Kapitel (S. 467--521), das von dem "Wettstreit der Kolonialmächte" handelt,
spricht schon von den ersten Anfängen der deutschen Kolonisationsbestrebungen
seit 1384 und läßt die Notwendigkeit voraussehen, noch weitere Machtschritte
zu thun. Noch niemals ist uns eine so knappe und doch alles wesentliche
klar hervorhebende Zusammenfassung dieses ungeheuer" Stoffes begegnet.
Kaemmel schildert zunächst Nußland, England und Frankreich in Asien, bespricht
sodann die selbständig gebliebner ostasiatischen Mächte, insbesondre die merk¬
würdige Europäisirung Japans seit 1868 und wendet sich dann zu einer aus¬
führlichen Schilderung der "Teilung Afrikas." Dabei scheiden sich übersichtlich
drei Gruppen von Ereignissen: die Vorgänge im Nordosten (Ägypten, Tunis,
Abessinien bis zum Frieden von Abif Abeba 1896), in Zentralafrika (ein¬
schließlich der deutschen Besitzergreifungen bis zu den Abgrenzungsverträgen
von 1830) und in Südafrika von den englischen Kaffernkriegen und der Be¬
gründung der Boerenstaaten an bis zum Gefecht von Krügersdorp 1896.
Den Schluß des Kapitels bildet eine kurze Darstellung von der Besiedlung
des australischen Festlandes und der Besitzergreifung der Südseeinseln.

So erweitert Kaemmel den wenig schwankenden Begriff der Weltgeschichte
in einem, soviel uns bekannt ist, vollkommen neuen Sinne. Obwohl er die
Darstellung der großartigen Wellenbewegung auf dem Gebiete der politischen


Das Zeitalter Napoleons III. und Wilhelms I.

den russischen Bundesgenossen, seine Forderungen nach der Niederwerfung der
Türkei zu Gunsten Österreichs und Griechenlands einzuschränken; dabei gewinnt
es gleichzeitig durch den Dreibund Österreich und Italien zur gemeinsamen
Abwehr gegen Rußland, falls dieses die Waffen gegen eine von den drei
Mächten erheben sollte. Wohl war diese neunzehnjährige Friedenspolitik zu¬
meist das Werk des unermüdlichen deutschen Reichskanzlers, den O. Kaemmel
als „die höchste Verkörperung des deutschen Wesens seit Luther" bezeichnet,
aber eine überaus feinsinnige Charakteristik des Kaisers und seines Ministers
(S. 400 ff.) zeigt uns deutlich, wie jener stets im vollen Sinne der Herr
blieb und alle Fäden doch schließlich in seiner Hand zusammenliefen, deren
Unterschrift stets nur nach sorgfältigster Prüfung gegeben wurde.

Vervollständigt wird dies Lichtbild einer langen Friedenszeit durch den
innern Ausbau des Reichs in militärischer, rechtlicher, wirtschaftlicher und
sozialer Beziehung, der schließlich zu einer beispiellosen Vermehrung der
Bevölkerung und Erhöhung des Wohlstands geführt hat. Die Darstellung
der „wirtschaftlichen Lage in Deutschland" (S. 538) giebt den besten Beweis
von der Wahrheit des geschichtlichen Satzes, den vor wenigen Wochen einer
der größten Industriellen (Woermann in Hamburg) in Berlin aussprach, daß „die
politischen von den wirtschaftlichen Fragen absolut nicht zu trennen" seien, daß
vielmehr „die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes niemals ohne politische
Machtstellung erfolgt" sei. Freilich ergeben sich daraus Verpflichtungen, die
weit über die Grenzen unsers Vaterlandes hinausgehen. Das reichhaltige
Kapitel (S. 467—521), das von dem „Wettstreit der Kolonialmächte" handelt,
spricht schon von den ersten Anfängen der deutschen Kolonisationsbestrebungen
seit 1384 und läßt die Notwendigkeit voraussehen, noch weitere Machtschritte
zu thun. Noch niemals ist uns eine so knappe und doch alles wesentliche
klar hervorhebende Zusammenfassung dieses ungeheuer« Stoffes begegnet.
Kaemmel schildert zunächst Nußland, England und Frankreich in Asien, bespricht
sodann die selbständig gebliebner ostasiatischen Mächte, insbesondre die merk¬
würdige Europäisirung Japans seit 1868 und wendet sich dann zu einer aus¬
führlichen Schilderung der „Teilung Afrikas." Dabei scheiden sich übersichtlich
drei Gruppen von Ereignissen: die Vorgänge im Nordosten (Ägypten, Tunis,
Abessinien bis zum Frieden von Abif Abeba 1896), in Zentralafrika (ein¬
schließlich der deutschen Besitzergreifungen bis zu den Abgrenzungsverträgen
von 1830) und in Südafrika von den englischen Kaffernkriegen und der Be¬
gründung der Boerenstaaten an bis zum Gefecht von Krügersdorp 1896.
Den Schluß des Kapitels bildet eine kurze Darstellung von der Besiedlung
des australischen Festlandes und der Besitzergreifung der Südseeinseln.

So erweitert Kaemmel den wenig schwankenden Begriff der Weltgeschichte
in einem, soviel uns bekannt ist, vollkommen neuen Sinne. Obwohl er die
Darstellung der großartigen Wellenbewegung auf dem Gebiete der politischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/140>, abgerufen am 27.12.2024.