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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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politisch-militärische Betrachtungen über Griechenland

zum Angriff über See auf die Küsten des persischen Reiches, nach der Ver¬
nichtung der gegnerischen Flotte, die das Meer beherrscht hatte.

Wie unvergleichlich viel günstiger war die Lage der Griechen im Früh¬
jahr 1897. Die Türkei, die an die Stelle des antiken persischen Reiches ge¬
treten ist, besaß überhaupt gar keine Flotte. Man brauchte also nicht erst
das eigne Ermatten ihres Offensivstoßes mit ihrem Landheer abzuwarten,
sondern konnte selber dieses Ermatten viel früher herbeiführen durch Aufstellung
des Landheeres an der griechischen Küste nahe dem Schutze der Flotte;
man konnte, wenn möglich, gleichzeitig mit dem noch verfügbaren Teile der
Flotte und der Truppen übers Meer zum Angriff, ja zum "Stoß ins Herz"
vorgehen.

Trotz der Überlegenheit an Zahl und Güte ihres Heeres griff die Türkei
Griechenland nicht an, sondern ließ sich nur mit Gewalt von ihm in den Krieg
hineinziehen. Und darin hat sie auch schon aus militärischen Gründen sehr
recht gehabt, was man um ihres Sieges willen in Europa schon ganz ver¬
gessen hat, was aber kommende Ereignisse möglicherweise wieder ins Gedächtnis
rufen werden.

Mitte April stand Marschall Ebben Pascha mit seiner Hauptmacht in
und um Elaffona. Die gegebne Richtung seines Vormarsches war die auf
Larisfa und von dort über Pharsala, Dhvmolo, Lamia gegen Athen. Statt
ihm nun in der thessalischen Ebne oder an den Gebirgen in deren Norden mit
der gesamten griechischen Landmacht ernstlich entgegenzutreten und diese so
einer schnellen, sichern Niederlage oder doch zum mindesten einem unter allen
Umständen demoralisirenden, erzwungnen Rückzüge auszusetzen, wäre es für
die Griechen das Gegebne gewesen, sich von vornherein unter thatsächlicher
Preisgabe von Thessalien an die Seite von Edhems Vormarschlinie zu setzen
und sich auf die Flotte zu stützen. Welche Verluste auch trotz den gemachten
Thorheiten die Griechen den Türken am 27., 29. und 30. April und 5. und 6. Mai
bei Velestino bereiteten, ist bekannt. Eine gründliche, wochenlange Arbeit, zu der
man Zeit gehabt hätte, wäre aber imstande gewesen, diese Linien von Velestino
geradezu uneinnehmbar zu machen. Die Griechen hätten sich nach einigen
Gefechten kleinerer Abteilungen an der Grenze zur Irreführung der Osmanen
auf Kalabaka-Trikkala zurückziehen müssen, um von dort mit der Bahn Velestino
zu erreichen oder weiter nach Westen auszuweichen, um in Epirus hinter den
türkischen Truppen den Bandenkrieg zu entfesseln. Hütten sie sich mit ihrem
Gros auf eine zähe Verteidigung der sachgemäß verstärkten Linien von Velestino
beschränkt, so wäre es wahrscheinlich Ebben Pascha dadurch allein schon un¬
möglich gemacht worden, über Thessalien hinaus nach Süden vorzudringen.
Denn während die Griechen dicht an ihrer Operationsbasis, der Küste und Bolo,
saßen, mußte das Heer Edhems in Thessalien seine sämtlichen Bedürfnisse viele
Tagemarsche weit von Sorovich und Karaferia an der Linie von Salonik nach


politisch-militärische Betrachtungen über Griechenland

zum Angriff über See auf die Küsten des persischen Reiches, nach der Ver¬
nichtung der gegnerischen Flotte, die das Meer beherrscht hatte.

Wie unvergleichlich viel günstiger war die Lage der Griechen im Früh¬
jahr 1897. Die Türkei, die an die Stelle des antiken persischen Reiches ge¬
treten ist, besaß überhaupt gar keine Flotte. Man brauchte also nicht erst
das eigne Ermatten ihres Offensivstoßes mit ihrem Landheer abzuwarten,
sondern konnte selber dieses Ermatten viel früher herbeiführen durch Aufstellung
des Landheeres an der griechischen Küste nahe dem Schutze der Flotte;
man konnte, wenn möglich, gleichzeitig mit dem noch verfügbaren Teile der
Flotte und der Truppen übers Meer zum Angriff, ja zum „Stoß ins Herz"
vorgehen.

Trotz der Überlegenheit an Zahl und Güte ihres Heeres griff die Türkei
Griechenland nicht an, sondern ließ sich nur mit Gewalt von ihm in den Krieg
hineinziehen. Und darin hat sie auch schon aus militärischen Gründen sehr
recht gehabt, was man um ihres Sieges willen in Europa schon ganz ver¬
gessen hat, was aber kommende Ereignisse möglicherweise wieder ins Gedächtnis
rufen werden.

Mitte April stand Marschall Ebben Pascha mit seiner Hauptmacht in
und um Elaffona. Die gegebne Richtung seines Vormarsches war die auf
Larisfa und von dort über Pharsala, Dhvmolo, Lamia gegen Athen. Statt
ihm nun in der thessalischen Ebne oder an den Gebirgen in deren Norden mit
der gesamten griechischen Landmacht ernstlich entgegenzutreten und diese so
einer schnellen, sichern Niederlage oder doch zum mindesten einem unter allen
Umständen demoralisirenden, erzwungnen Rückzüge auszusetzen, wäre es für
die Griechen das Gegebne gewesen, sich von vornherein unter thatsächlicher
Preisgabe von Thessalien an die Seite von Edhems Vormarschlinie zu setzen
und sich auf die Flotte zu stützen. Welche Verluste auch trotz den gemachten
Thorheiten die Griechen den Türken am 27., 29. und 30. April und 5. und 6. Mai
bei Velestino bereiteten, ist bekannt. Eine gründliche, wochenlange Arbeit, zu der
man Zeit gehabt hätte, wäre aber imstande gewesen, diese Linien von Velestino
geradezu uneinnehmbar zu machen. Die Griechen hätten sich nach einigen
Gefechten kleinerer Abteilungen an der Grenze zur Irreführung der Osmanen
auf Kalabaka-Trikkala zurückziehen müssen, um von dort mit der Bahn Velestino
zu erreichen oder weiter nach Westen auszuweichen, um in Epirus hinter den
türkischen Truppen den Bandenkrieg zu entfesseln. Hütten sie sich mit ihrem
Gros auf eine zähe Verteidigung der sachgemäß verstärkten Linien von Velestino
beschränkt, so wäre es wahrscheinlich Ebben Pascha dadurch allein schon un¬
möglich gemacht worden, über Thessalien hinaus nach Süden vorzudringen.
Denn während die Griechen dicht an ihrer Operationsbasis, der Küste und Bolo,
saßen, mußte das Heer Edhems in Thessalien seine sämtlichen Bedürfnisse viele
Tagemarsche weit von Sorovich und Karaferia an der Linie von Salonik nach


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[0116] politisch-militärische Betrachtungen über Griechenland zum Angriff über See auf die Küsten des persischen Reiches, nach der Ver¬ nichtung der gegnerischen Flotte, die das Meer beherrscht hatte. Wie unvergleichlich viel günstiger war die Lage der Griechen im Früh¬ jahr 1897. Die Türkei, die an die Stelle des antiken persischen Reiches ge¬ treten ist, besaß überhaupt gar keine Flotte. Man brauchte also nicht erst das eigne Ermatten ihres Offensivstoßes mit ihrem Landheer abzuwarten, sondern konnte selber dieses Ermatten viel früher herbeiführen durch Aufstellung des Landheeres an der griechischen Küste nahe dem Schutze der Flotte; man konnte, wenn möglich, gleichzeitig mit dem noch verfügbaren Teile der Flotte und der Truppen übers Meer zum Angriff, ja zum „Stoß ins Herz" vorgehen. Trotz der Überlegenheit an Zahl und Güte ihres Heeres griff die Türkei Griechenland nicht an, sondern ließ sich nur mit Gewalt von ihm in den Krieg hineinziehen. Und darin hat sie auch schon aus militärischen Gründen sehr recht gehabt, was man um ihres Sieges willen in Europa schon ganz ver¬ gessen hat, was aber kommende Ereignisse möglicherweise wieder ins Gedächtnis rufen werden. Mitte April stand Marschall Ebben Pascha mit seiner Hauptmacht in und um Elaffona. Die gegebne Richtung seines Vormarsches war die auf Larisfa und von dort über Pharsala, Dhvmolo, Lamia gegen Athen. Statt ihm nun in der thessalischen Ebne oder an den Gebirgen in deren Norden mit der gesamten griechischen Landmacht ernstlich entgegenzutreten und diese so einer schnellen, sichern Niederlage oder doch zum mindesten einem unter allen Umständen demoralisirenden, erzwungnen Rückzüge auszusetzen, wäre es für die Griechen das Gegebne gewesen, sich von vornherein unter thatsächlicher Preisgabe von Thessalien an die Seite von Edhems Vormarschlinie zu setzen und sich auf die Flotte zu stützen. Welche Verluste auch trotz den gemachten Thorheiten die Griechen den Türken am 27., 29. und 30. April und 5. und 6. Mai bei Velestino bereiteten, ist bekannt. Eine gründliche, wochenlange Arbeit, zu der man Zeit gehabt hätte, wäre aber imstande gewesen, diese Linien von Velestino geradezu uneinnehmbar zu machen. Die Griechen hätten sich nach einigen Gefechten kleinerer Abteilungen an der Grenze zur Irreführung der Osmanen auf Kalabaka-Trikkala zurückziehen müssen, um von dort mit der Bahn Velestino zu erreichen oder weiter nach Westen auszuweichen, um in Epirus hinter den türkischen Truppen den Bandenkrieg zu entfesseln. Hütten sie sich mit ihrem Gros auf eine zähe Verteidigung der sachgemäß verstärkten Linien von Velestino beschränkt, so wäre es wahrscheinlich Ebben Pascha dadurch allein schon un¬ möglich gemacht worden, über Thessalien hinaus nach Süden vorzudringen. Denn während die Griechen dicht an ihrer Operationsbasis, der Küste und Bolo, saßen, mußte das Heer Edhems in Thessalien seine sämtlichen Bedürfnisse viele Tagemarsche weit von Sorovich und Karaferia an der Linie von Salonik nach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/116>, abgerufen am 28.12.2024.