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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Geistesaristokratie

Weise geschmähte preußische Landadel hätte uns nicht den größten Staatsmann
des Jahrhunderts, den Baumeister des Reichs geschenkt, wenn in ihm nicht
die feste Königstreue und das Pflichtbewußtsein gegenüber dem Staate lebendig
gewesen wären; das moderne Frankreich krankt schwer daran, daß es seit der
großen Revolution einen politischen Adel nicht mehr hat. Die Stabilität des
Besitzes, der Anschauungen, der Thätigkeit ist es, die den grundbesitzenden
Adel charakterisirt, und die ihn zu einem so wertvollen Bestandteile jedes
Staats gemacht hat. Nichts hat mehr die innere Haltlosigkeit der orientalischen
Despotenreiche herbeigeführt, als der Mangel an jedem wirklichen Grundadel;
diesen Staatswesen fehlt das Rückgrat.

Was also diese älteste und ursprünglichste Aristokratie bezeichnet, das ist
nicht nur der lange vererbte Grundbesitz und nicht nur die Waffentüchtigkeit,
sondern es sind auch gewisse sittliche Eigenschaften, die zum Herrschen befähigen,
und die in einer gleichmäßigen Lebenslage und Lebensluft leichter erworben
werden, als in einer beständig wechselnden Umgebung. Die stolze Erinnerung
des römischen Nobilis, der schon als Knabe den Sitzungen des Senats hatte
beiwohnen dürfen, an eine lange Reihe erlauchter und bedeutender Vorfahren,
an Konsuln und Diktatoren und an die Ahnenbilder des väterlichen Atriums,
der eigentümliche Ehrbegriff des mittelalterlichen Ritters (Treue gegen Gott,
gegen den Lehnsherrn, gegen die "Frau"), der Rückblick auf Offiziere und Beamte,
Feldherren und Staatsmänner, die aus einem deutschen oder englischen Adels¬
geschlechte jahrhundertelang hervorgegangen sind, und der Umblick auf einen
Boden, der ihnen seit Jahrhunderten gehört hat, kurz, die Gesinnung, die dem
Worte der Goethischen Iphigenie zu Grunde liegt: "Wohl dem, der seiner
Väter gern gedenkt," oder dem Horazischen echt aristokratischen Satze: I'orws
vröMtur tortibus se bonis, die ist eine starke Stütze nicht nur des Selbst¬
bewußtseins, sondern auch des Pflichtgefühls gegenüber dem Ganzen, und da
der Wille die Geschicke des Einzelnen wie der Völker lenkt, nicht das Wissen,
so ist sie wichtiger als das. was wir sehr einseitig schlechtweg geistige Bildung
nennen. Gleichwohl hat auch diese alte Aristokratie in der Zeit, da sie allein
herrschte, gewöhnlich auch die geistige Bildung beherrscht. Für die und
/Jout^ec,', für die Fürsten und Herren der althellenischer Ritterzeit dichteten
und sangen die griechischen Epiker; die stolzen knnstgeschmückten Burgen, deren
Glanz frühern Geschlechtern nur aus der "golddurchblinkten Mykene" Homers
entgegenstrahlte, aber uns jetzt durch deutsche Forschungsarbeit wieder zur leib¬
haftigen Wahrheit geworden ist, waren die Werke ihres hohen Adels, und
aristokratischen Siegern an den griechischen Nationalfesten widmeten Pindar
und Simonides ihre Epinikien. An den fürstlichen und ritterlichen Höfen
Frankreichs und Deutschlands entstanden die Heldengedichte und die Lieder in
den jungen Volkssprachen des mittelalterlichen Abendlandes, und die nordischen
Statten sangen sür die kühnen Könige der wilden See. Wenn dann die


Geistesaristokratie

Weise geschmähte preußische Landadel hätte uns nicht den größten Staatsmann
des Jahrhunderts, den Baumeister des Reichs geschenkt, wenn in ihm nicht
die feste Königstreue und das Pflichtbewußtsein gegenüber dem Staate lebendig
gewesen wären; das moderne Frankreich krankt schwer daran, daß es seit der
großen Revolution einen politischen Adel nicht mehr hat. Die Stabilität des
Besitzes, der Anschauungen, der Thätigkeit ist es, die den grundbesitzenden
Adel charakterisirt, und die ihn zu einem so wertvollen Bestandteile jedes
Staats gemacht hat. Nichts hat mehr die innere Haltlosigkeit der orientalischen
Despotenreiche herbeigeführt, als der Mangel an jedem wirklichen Grundadel;
diesen Staatswesen fehlt das Rückgrat.

Was also diese älteste und ursprünglichste Aristokratie bezeichnet, das ist
nicht nur der lange vererbte Grundbesitz und nicht nur die Waffentüchtigkeit,
sondern es sind auch gewisse sittliche Eigenschaften, die zum Herrschen befähigen,
und die in einer gleichmäßigen Lebenslage und Lebensluft leichter erworben
werden, als in einer beständig wechselnden Umgebung. Die stolze Erinnerung
des römischen Nobilis, der schon als Knabe den Sitzungen des Senats hatte
beiwohnen dürfen, an eine lange Reihe erlauchter und bedeutender Vorfahren,
an Konsuln und Diktatoren und an die Ahnenbilder des väterlichen Atriums,
der eigentümliche Ehrbegriff des mittelalterlichen Ritters (Treue gegen Gott,
gegen den Lehnsherrn, gegen die „Frau"), der Rückblick auf Offiziere und Beamte,
Feldherren und Staatsmänner, die aus einem deutschen oder englischen Adels¬
geschlechte jahrhundertelang hervorgegangen sind, und der Umblick auf einen
Boden, der ihnen seit Jahrhunderten gehört hat, kurz, die Gesinnung, die dem
Worte der Goethischen Iphigenie zu Grunde liegt: „Wohl dem, der seiner
Väter gern gedenkt," oder dem Horazischen echt aristokratischen Satze: I'orws
vröMtur tortibus se bonis, die ist eine starke Stütze nicht nur des Selbst¬
bewußtseins, sondern auch des Pflichtgefühls gegenüber dem Ganzen, und da
der Wille die Geschicke des Einzelnen wie der Völker lenkt, nicht das Wissen,
so ist sie wichtiger als das. was wir sehr einseitig schlechtweg geistige Bildung
nennen. Gleichwohl hat auch diese alte Aristokratie in der Zeit, da sie allein
herrschte, gewöhnlich auch die geistige Bildung beherrscht. Für die und
/Jout^ec,', für die Fürsten und Herren der althellenischer Ritterzeit dichteten
und sangen die griechischen Epiker; die stolzen knnstgeschmückten Burgen, deren
Glanz frühern Geschlechtern nur aus der „golddurchblinkten Mykene" Homers
entgegenstrahlte, aber uns jetzt durch deutsche Forschungsarbeit wieder zur leib¬
haftigen Wahrheit geworden ist, waren die Werke ihres hohen Adels, und
aristokratischen Siegern an den griechischen Nationalfesten widmeten Pindar
und Simonides ihre Epinikien. An den fürstlichen und ritterlichen Höfen
Frankreichs und Deutschlands entstanden die Heldengedichte und die Lieder in
den jungen Volkssprachen des mittelalterlichen Abendlandes, und die nordischen
Statten sangen sür die kühnen Könige der wilden See. Wenn dann die


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[0011] Geistesaristokratie Weise geschmähte preußische Landadel hätte uns nicht den größten Staatsmann des Jahrhunderts, den Baumeister des Reichs geschenkt, wenn in ihm nicht die feste Königstreue und das Pflichtbewußtsein gegenüber dem Staate lebendig gewesen wären; das moderne Frankreich krankt schwer daran, daß es seit der großen Revolution einen politischen Adel nicht mehr hat. Die Stabilität des Besitzes, der Anschauungen, der Thätigkeit ist es, die den grundbesitzenden Adel charakterisirt, und die ihn zu einem so wertvollen Bestandteile jedes Staats gemacht hat. Nichts hat mehr die innere Haltlosigkeit der orientalischen Despotenreiche herbeigeführt, als der Mangel an jedem wirklichen Grundadel; diesen Staatswesen fehlt das Rückgrat. Was also diese älteste und ursprünglichste Aristokratie bezeichnet, das ist nicht nur der lange vererbte Grundbesitz und nicht nur die Waffentüchtigkeit, sondern es sind auch gewisse sittliche Eigenschaften, die zum Herrschen befähigen, und die in einer gleichmäßigen Lebenslage und Lebensluft leichter erworben werden, als in einer beständig wechselnden Umgebung. Die stolze Erinnerung des römischen Nobilis, der schon als Knabe den Sitzungen des Senats hatte beiwohnen dürfen, an eine lange Reihe erlauchter und bedeutender Vorfahren, an Konsuln und Diktatoren und an die Ahnenbilder des väterlichen Atriums, der eigentümliche Ehrbegriff des mittelalterlichen Ritters (Treue gegen Gott, gegen den Lehnsherrn, gegen die „Frau"), der Rückblick auf Offiziere und Beamte, Feldherren und Staatsmänner, die aus einem deutschen oder englischen Adels¬ geschlechte jahrhundertelang hervorgegangen sind, und der Umblick auf einen Boden, der ihnen seit Jahrhunderten gehört hat, kurz, die Gesinnung, die dem Worte der Goethischen Iphigenie zu Grunde liegt: „Wohl dem, der seiner Väter gern gedenkt," oder dem Horazischen echt aristokratischen Satze: I'orws vröMtur tortibus se bonis, die ist eine starke Stütze nicht nur des Selbst¬ bewußtseins, sondern auch des Pflichtgefühls gegenüber dem Ganzen, und da der Wille die Geschicke des Einzelnen wie der Völker lenkt, nicht das Wissen, so ist sie wichtiger als das. was wir sehr einseitig schlechtweg geistige Bildung nennen. Gleichwohl hat auch diese alte Aristokratie in der Zeit, da sie allein herrschte, gewöhnlich auch die geistige Bildung beherrscht. Für die und /Jout^ec,', für die Fürsten und Herren der althellenischer Ritterzeit dichteten und sangen die griechischen Epiker; die stolzen knnstgeschmückten Burgen, deren Glanz frühern Geschlechtern nur aus der „golddurchblinkten Mykene" Homers entgegenstrahlte, aber uns jetzt durch deutsche Forschungsarbeit wieder zur leib¬ haftigen Wahrheit geworden ist, waren die Werke ihres hohen Adels, und aristokratischen Siegern an den griechischen Nationalfesten widmeten Pindar und Simonides ihre Epinikien. An den fürstlichen und ritterlichen Höfen Frankreichs und Deutschlands entstanden die Heldengedichte und die Lieder in den jungen Volkssprachen des mittelalterlichen Abendlandes, und die nordischen Statten sangen sür die kühnen Könige der wilden See. Wenn dann die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/11>, abgerufen am 23.07.2024.