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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Geistesaristokratie

der Grundbesitz bei weitem den wichtigsten Teil des Besitzes überhaupt bildete,
also auch allein wirtschaftliche und darüber politische Macht gab, wo der
Verkehr von Stadt zu Stadt, von Landschaft zu Landschaft noch sehr gering
war, wo daher der zwischen den einzelnen politischen Gruppen herrschende
Zustand nicht der Friede, sondern der Krieg war, da waren die "Besten" die
großen, zugleich waffentüchtigen Grundbesitzer, und die natürliche Form des
Staats war die Herrschaft eines ritterlichen Grundadels. Das sehen wir in
der altgriechischen Welt während der Zeit, die uns die homerischen Dichtungen
mit so lebensvoller Klarheit vor Augen führen, und während der ihnen folgenden
Jahrhunderte, als aus dem Kampfe der "'^50,. gegen die "Schlechten" die
leidenschaftlich zornige Lyrik des Theognis entsprang, und diese Zustände
erhielten sich auch später überall da, wo sich die Voraussetzungen erhielten, wie
im spartanischen Kriegerstaate, dem Staate eines militärischen Adels, der keinen
Verkehr und keinen Geldbesitz kannte. Wir sehen es in Rom, dessen Größe
von der grundbesitzenden Aristokratie der iwdilss begründet wurde und sich
erhielt, so lange diese "Herrschaft der Edeln" bestand; wir sehen es endlich
im abendländischen Mittelalter an der Herrschaft eines wehrhaften großen und
kleinen Grundadels in einer verkehrsarmen Zeit.

Doch selbst als seine militärische Bedeutung geschwunden war, da be¬
hauptete dieser Stand auch im deutschen ständisch-territorialen Staate des
sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts seine Herrschaft, weil er seinen
Grundbesitz festhielt; ja er verband mit ihm eine Reihe ursprünglich staatlicher
Hoheitsrechte, die Gerichtsbarkeit und Polizeigewalt über seine Unterthanen
und das Kirchenpatronat. Als sich dann endlich über dieser Aristokratie der
Rittergutsbesitzer der absolute fürstliche Staat erhob, der sie im Interesse des
Ganzen unter sich beugte, da blieben ihre an den Grundbesitz geknüpften
Hoheitsrechte noch lange unangetastet, und dieser alte Adel wußte, vornehmlich
in Preußen, indem er auf seine ständischen Rechte wesentlich verzichtete, doch
seinen Anteil an der Verwaltung dadurch zu behaupten, daß er in den Dienst
des fürstlichen Staats trat, die wichtigsten Ämter und die Offiziersstellen
der neuen stehenden Söldnerheere an sich brachte. Also erwuchs vor allem
in Preußen der militärisch-politische Adel, der mit der Monarchie zusammen
in den Landratsstuben und auf den Schlachtfeldern die neue norddeutsche Gro߬
macht geschaffen hat.

Der größte Vorzug des Grundadels ist, daß er durch die Art seines Be¬
sitzes fest mit dem Staate und dem Lande verwachsen ist, daß dieser Besitz
fester in den Familien haftet, und daß sich durch dies alles in ihnen eine
Summe von Traditionen von Geschlecht zu Geschlecht fortpflanzt, sich zuweilen
jahrhundertelang erhält. Nicht umsonst hat man von der politischen Erb¬
weisheit der römischen Nobilitas und des englischen Parlamentsadels geredet;
der von der bürgerlichen wie von der sozialen Demokratie so oft in so thörichter


Geistesaristokratie

der Grundbesitz bei weitem den wichtigsten Teil des Besitzes überhaupt bildete,
also auch allein wirtschaftliche und darüber politische Macht gab, wo der
Verkehr von Stadt zu Stadt, von Landschaft zu Landschaft noch sehr gering
war, wo daher der zwischen den einzelnen politischen Gruppen herrschende
Zustand nicht der Friede, sondern der Krieg war, da waren die „Besten" die
großen, zugleich waffentüchtigen Grundbesitzer, und die natürliche Form des
Staats war die Herrschaft eines ritterlichen Grundadels. Das sehen wir in
der altgriechischen Welt während der Zeit, die uns die homerischen Dichtungen
mit so lebensvoller Klarheit vor Augen führen, und während der ihnen folgenden
Jahrhunderte, als aus dem Kampfe der «'^50,. gegen die „Schlechten" die
leidenschaftlich zornige Lyrik des Theognis entsprang, und diese Zustände
erhielten sich auch später überall da, wo sich die Voraussetzungen erhielten, wie
im spartanischen Kriegerstaate, dem Staate eines militärischen Adels, der keinen
Verkehr und keinen Geldbesitz kannte. Wir sehen es in Rom, dessen Größe
von der grundbesitzenden Aristokratie der iwdilss begründet wurde und sich
erhielt, so lange diese „Herrschaft der Edeln" bestand; wir sehen es endlich
im abendländischen Mittelalter an der Herrschaft eines wehrhaften großen und
kleinen Grundadels in einer verkehrsarmen Zeit.

Doch selbst als seine militärische Bedeutung geschwunden war, da be¬
hauptete dieser Stand auch im deutschen ständisch-territorialen Staate des
sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts seine Herrschaft, weil er seinen
Grundbesitz festhielt; ja er verband mit ihm eine Reihe ursprünglich staatlicher
Hoheitsrechte, die Gerichtsbarkeit und Polizeigewalt über seine Unterthanen
und das Kirchenpatronat. Als sich dann endlich über dieser Aristokratie der
Rittergutsbesitzer der absolute fürstliche Staat erhob, der sie im Interesse des
Ganzen unter sich beugte, da blieben ihre an den Grundbesitz geknüpften
Hoheitsrechte noch lange unangetastet, und dieser alte Adel wußte, vornehmlich
in Preußen, indem er auf seine ständischen Rechte wesentlich verzichtete, doch
seinen Anteil an der Verwaltung dadurch zu behaupten, daß er in den Dienst
des fürstlichen Staats trat, die wichtigsten Ämter und die Offiziersstellen
der neuen stehenden Söldnerheere an sich brachte. Also erwuchs vor allem
in Preußen der militärisch-politische Adel, der mit der Monarchie zusammen
in den Landratsstuben und auf den Schlachtfeldern die neue norddeutsche Gro߬
macht geschaffen hat.

Der größte Vorzug des Grundadels ist, daß er durch die Art seines Be¬
sitzes fest mit dem Staate und dem Lande verwachsen ist, daß dieser Besitz
fester in den Familien haftet, und daß sich durch dies alles in ihnen eine
Summe von Traditionen von Geschlecht zu Geschlecht fortpflanzt, sich zuweilen
jahrhundertelang erhält. Nicht umsonst hat man von der politischen Erb¬
weisheit der römischen Nobilitas und des englischen Parlamentsadels geredet;
der von der bürgerlichen wie von der sozialen Demokratie so oft in so thörichter


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[0010] Geistesaristokratie der Grundbesitz bei weitem den wichtigsten Teil des Besitzes überhaupt bildete, also auch allein wirtschaftliche und darüber politische Macht gab, wo der Verkehr von Stadt zu Stadt, von Landschaft zu Landschaft noch sehr gering war, wo daher der zwischen den einzelnen politischen Gruppen herrschende Zustand nicht der Friede, sondern der Krieg war, da waren die „Besten" die großen, zugleich waffentüchtigen Grundbesitzer, und die natürliche Form des Staats war die Herrschaft eines ritterlichen Grundadels. Das sehen wir in der altgriechischen Welt während der Zeit, die uns die homerischen Dichtungen mit so lebensvoller Klarheit vor Augen führen, und während der ihnen folgenden Jahrhunderte, als aus dem Kampfe der «'^50,. gegen die „Schlechten" die leidenschaftlich zornige Lyrik des Theognis entsprang, und diese Zustände erhielten sich auch später überall da, wo sich die Voraussetzungen erhielten, wie im spartanischen Kriegerstaate, dem Staate eines militärischen Adels, der keinen Verkehr und keinen Geldbesitz kannte. Wir sehen es in Rom, dessen Größe von der grundbesitzenden Aristokratie der iwdilss begründet wurde und sich erhielt, so lange diese „Herrschaft der Edeln" bestand; wir sehen es endlich im abendländischen Mittelalter an der Herrschaft eines wehrhaften großen und kleinen Grundadels in einer verkehrsarmen Zeit. Doch selbst als seine militärische Bedeutung geschwunden war, da be¬ hauptete dieser Stand auch im deutschen ständisch-territorialen Staate des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts seine Herrschaft, weil er seinen Grundbesitz festhielt; ja er verband mit ihm eine Reihe ursprünglich staatlicher Hoheitsrechte, die Gerichtsbarkeit und Polizeigewalt über seine Unterthanen und das Kirchenpatronat. Als sich dann endlich über dieser Aristokratie der Rittergutsbesitzer der absolute fürstliche Staat erhob, der sie im Interesse des Ganzen unter sich beugte, da blieben ihre an den Grundbesitz geknüpften Hoheitsrechte noch lange unangetastet, und dieser alte Adel wußte, vornehmlich in Preußen, indem er auf seine ständischen Rechte wesentlich verzichtete, doch seinen Anteil an der Verwaltung dadurch zu behaupten, daß er in den Dienst des fürstlichen Staats trat, die wichtigsten Ämter und die Offiziersstellen der neuen stehenden Söldnerheere an sich brachte. Also erwuchs vor allem in Preußen der militärisch-politische Adel, der mit der Monarchie zusammen in den Landratsstuben und auf den Schlachtfeldern die neue norddeutsche Gro߬ macht geschaffen hat. Der größte Vorzug des Grundadels ist, daß er durch die Art seines Be¬ sitzes fest mit dem Staate und dem Lande verwachsen ist, daß dieser Besitz fester in den Familien haftet, und daß sich durch dies alles in ihnen eine Summe von Traditionen von Geschlecht zu Geschlecht fortpflanzt, sich zuweilen jahrhundertelang erhält. Nicht umsonst hat man von der politischen Erb¬ weisheit der römischen Nobilitas und des englischen Parlamentsadels geredet; der von der bürgerlichen wie von der sozialen Demokratie so oft in so thörichter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/10>, abgerufen am 23.06.2024.