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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Geistesaristokratie

griechische Kunst und Litteratur ihren Siegeszug nach dem Westen antrat, so
war das in erster Linie ein Werk römischer nobiles.

Also ist es klar, daß ein herrschender Grundadel auch eine Geistesaristo¬
kratie sein muß. Er verliert seine Herrschaft, sobald er aufhört, eine Geistes¬
aristokratie oder, noch besser, eine sittliche Aristokratie zu sein. Dafür bietet
das Geschick der römischen Nobilitas das erschütterndste Beispiel. Als die
Sprößlinge dieser einst herrschgewaltigen Geschlechter nur uoch an die Aus¬
beutung der Provinzen und an den rücksichtslosen Genuß der Macht dachten,
verloren sie das sittliche Recht zur Herrschaft, und mit ihrer Aristokratie ging
die römische Republik zu Grunde, da sie als Demokratie nicht bestehen konnte.
Daß der polnische Adel in schrankenloser Selbstsucht die Souveränität, also
das Wesen des Staats dnrch die Souveränität des einzelnen Edelmanns auf¬
löste, hat den Untergang des polnischen Staats verschuldet.

Überall aber hört die Alleinherrschaft des Grundadels im Staate da auf,
wo neben dem Grundbesitz der bewegliche Besitz hervortritt, neben der Land¬
wirtschaft Handel und Gewerbe zu selbständiger Bedeutung gelangen, also mit
der Entstehung der Stadtgemeinden. Dann erhebt sich neben dem alten Grund¬
adel eine neue Form der Aristokratie, die Geldaristokratie, die städtische Aristo¬
kratie, und Ehre dem, der durch redliche Mittel und angestrengte Arbeit sich
selbst emporhebt zu reichem Besitz. Doch so oft diese neue Aristokratie den
alten Adel an Reichtum übertreffen mag, gerade die Eigenschaften, die diesen
zur Herrschaft berufen und befähigen, hat sie selten. Da ihre Grundlage,
Handel und Gewerbe, ihrer Natur nach viel wandelbarer sind als die Land¬
wirtschaft, also auch der Besitz rascher wechselt, so ist die Stetigkeit des Eigen¬
tums und der auf dieser beruhenden Anschauungen und Gesinnungen sehr viel
geringer, und länger als einige Generationen behauptet eine Familie dieser Art
selten ihre Stellung, wenn es ihr nicht gelingt, in die Reihen des Grundadels
einzutreten. So fiel das weltmüchtige Bankhaus der Welser schon am Anfange
des siebzehnten Jahrhunderts (1ö14); die gleichzeitig mit ihm emporgekommnen
Fugger bestehen noch heute, weil sie frühzeitig große Grundherren wurden.
Auch die Stellung solcher Geschlechter zum Staat ist anders. Da das Kapital
von Natur beweglich ist und mit jedem Fortschritt der Volkswirtschaft immer
beweglicher wird, so verfallen sie leicht der Gefahr, zu internationalen Geld¬
mächten zu entarten und nach dem schlechten alten Satze zu handeln: ubi bsiiö,
ibi xatrig., also in diesem Falle zu sagen: wo ich am meisten verdienen kaun,
da bin ich am liebsten, während der wahre Aristokrat sagen wird: ibi beug,
udi xatrig.. Auch persönlich widmen sich Angehörige solcher Familien nur
seltner dem bescheidnen und beständig Aufopferung fordernden Staatsdienste.
Daher ist die Geldaristokratie als der alleinherrschende oder wenigstens ma߬
gebende Stand die allerschlechteste Form der Aristokratie, weil ihr höchstes
Ideal in ihrer reinen Form das Verdienen, also ein durchaus selbstsüchtiges


Geistesaristokratie

griechische Kunst und Litteratur ihren Siegeszug nach dem Westen antrat, so
war das in erster Linie ein Werk römischer nobiles.

Also ist es klar, daß ein herrschender Grundadel auch eine Geistesaristo¬
kratie sein muß. Er verliert seine Herrschaft, sobald er aufhört, eine Geistes¬
aristokratie oder, noch besser, eine sittliche Aristokratie zu sein. Dafür bietet
das Geschick der römischen Nobilitas das erschütterndste Beispiel. Als die
Sprößlinge dieser einst herrschgewaltigen Geschlechter nur uoch an die Aus¬
beutung der Provinzen und an den rücksichtslosen Genuß der Macht dachten,
verloren sie das sittliche Recht zur Herrschaft, und mit ihrer Aristokratie ging
die römische Republik zu Grunde, da sie als Demokratie nicht bestehen konnte.
Daß der polnische Adel in schrankenloser Selbstsucht die Souveränität, also
das Wesen des Staats dnrch die Souveränität des einzelnen Edelmanns auf¬
löste, hat den Untergang des polnischen Staats verschuldet.

Überall aber hört die Alleinherrschaft des Grundadels im Staate da auf,
wo neben dem Grundbesitz der bewegliche Besitz hervortritt, neben der Land¬
wirtschaft Handel und Gewerbe zu selbständiger Bedeutung gelangen, also mit
der Entstehung der Stadtgemeinden. Dann erhebt sich neben dem alten Grund¬
adel eine neue Form der Aristokratie, die Geldaristokratie, die städtische Aristo¬
kratie, und Ehre dem, der durch redliche Mittel und angestrengte Arbeit sich
selbst emporhebt zu reichem Besitz. Doch so oft diese neue Aristokratie den
alten Adel an Reichtum übertreffen mag, gerade die Eigenschaften, die diesen
zur Herrschaft berufen und befähigen, hat sie selten. Da ihre Grundlage,
Handel und Gewerbe, ihrer Natur nach viel wandelbarer sind als die Land¬
wirtschaft, also auch der Besitz rascher wechselt, so ist die Stetigkeit des Eigen¬
tums und der auf dieser beruhenden Anschauungen und Gesinnungen sehr viel
geringer, und länger als einige Generationen behauptet eine Familie dieser Art
selten ihre Stellung, wenn es ihr nicht gelingt, in die Reihen des Grundadels
einzutreten. So fiel das weltmüchtige Bankhaus der Welser schon am Anfange
des siebzehnten Jahrhunderts (1ö14); die gleichzeitig mit ihm emporgekommnen
Fugger bestehen noch heute, weil sie frühzeitig große Grundherren wurden.
Auch die Stellung solcher Geschlechter zum Staat ist anders. Da das Kapital
von Natur beweglich ist und mit jedem Fortschritt der Volkswirtschaft immer
beweglicher wird, so verfallen sie leicht der Gefahr, zu internationalen Geld¬
mächten zu entarten und nach dem schlechten alten Satze zu handeln: ubi bsiiö,
ibi xatrig., also in diesem Falle zu sagen: wo ich am meisten verdienen kaun,
da bin ich am liebsten, während der wahre Aristokrat sagen wird: ibi beug,
udi xatrig.. Auch persönlich widmen sich Angehörige solcher Familien nur
seltner dem bescheidnen und beständig Aufopferung fordernden Staatsdienste.
Daher ist die Geldaristokratie als der alleinherrschende oder wenigstens ma߬
gebende Stand die allerschlechteste Form der Aristokratie, weil ihr höchstes
Ideal in ihrer reinen Form das Verdienen, also ein durchaus selbstsüchtiges


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/12>, abgerufen am 27.12.2024.