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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Das deutsche Dorfwirtshaus

Küche hat ebensowenig an einheimische Überlieferungen anknüpfen können. Es
ist mir der regsamen Intelligenz der Bewohner zuzuschreiben, daß das Gast-
hausweseu in diesen Gebirgen in ununterbrochnem Fortschritt ist; die schlechten
oder mittelmäßigen Zensuren, die es in den aufrichtigen Reisehandbüchern noch
erhält, werden hoffentlich mit jedem Jahre günstiger ausfallen. Schade, daß so
ziemlich überall die Preise immer rascher steigen als das, was dafür geboten
wird! Ähnlich ist es im Erzgebirge, besonders auf der sächsischen Seite, und
war es einst im Riesengebirge. Ähnlich ist es noch heute im Taunus, im Wester-
wald und auf der Eifel. Hier hat der Touristenstrom ganz neue Häuser ins
Leben gerufen, da das alteinheimische Wirtshaus viel zu einfach war, um
dem Bedürfnis eines plötzlich beginnenden Luxusverkehrs zu dienen. Die
Wirtshäuser in den industriellen Gegenden des Erzgebirges und der schlesischen
Gebirge sind häufig mit einem auffallend großen Saalanbau versehen, der all¬
sonntäglich die vergnügungssüchtige Jugend der Arbeiterbevölkerung und ge¬
legentlich sozialdemokratische Versammlungen beherbergt.

In Baiern und Tirol haben wir ähnliche Verhältnisse wie am Oberrhein.
An den einst vielbefahrnen Straßen des italienischen Handels über den Brenner
und den Fern, an den Salzstraßen, die, die Jsar und den Jnn kreuzend, vor dem
Gebirge herziehen, an der Donaustraßc stehen die alten Gasthäuser der Fuhr¬
leute und der Stellwagen. Einige haben sich in geschickter Art dem modernen
Fremdenverkehr angepaßt, der die großen Räume wenigstens zur Sommerszeit
füllt. Die beliebtesten Gasthäuser am Brenner, im Oberinnthal, im Drauthal,
in den alten Durchgangspunkten des Augsburger Verkehrs, Mittenwald und
Ammergau, gehören zu den alten Verkehrsstätten. Ihr durch manches bunte
Wandbild von Heiligen oder von Frachtführer mit sechs Paar Gäulen bezeugtes
Alter und ihre behaglichen weiten Räume haben dazu beigetragen, sie den
modernen Vergnügungsreisenden angenehm zu machen. Welches "Hotel" kann
einen Raum bieten, der sich an freundlicher Behaglichkeit mit dem zimmerartig
breiten und hellen Vorplatz der Stockwerke eines solchen Hauses messen könnte,
wo in Glasschränken die Familienschütze alter Gläser, Teller und Platten auf¬
gereiht sind und zwischen den Fenstern der blumengeschmückte Hausaltar steht?
Der eleganteste Konversationssaal ist fade und kalt neben einem solchen an¬
spruchslos edeln Raum, der sich besonders auch dadurch auszeichnet, daß er
durchaus nicht überflüssig ist, was man von vielen Räumen moderner Gast¬
hausbauten nicht sagen kann. Bei diesen muß man unwillkürlich an den
eignen Geldbeutel denken, der thörichten Luxus mitzählen muß, während jener
alte Vorraum uns durch seine bürgerliche Gediegenheit beruhigt.

Nicht allen den alten Postgasthüusern war diese glückliche Auferstehung
beschieden. Wer die von Touristen selten begangne Straße wandert, die in
ziemlicher Entfernung vom Gebirge von München über Mühldorf am Jnn
und Braunau nach Linz und Budivcis zieht, trifft in selten genannten


Das deutsche Dorfwirtshaus

Küche hat ebensowenig an einheimische Überlieferungen anknüpfen können. Es
ist mir der regsamen Intelligenz der Bewohner zuzuschreiben, daß das Gast-
hausweseu in diesen Gebirgen in ununterbrochnem Fortschritt ist; die schlechten
oder mittelmäßigen Zensuren, die es in den aufrichtigen Reisehandbüchern noch
erhält, werden hoffentlich mit jedem Jahre günstiger ausfallen. Schade, daß so
ziemlich überall die Preise immer rascher steigen als das, was dafür geboten
wird! Ähnlich ist es im Erzgebirge, besonders auf der sächsischen Seite, und
war es einst im Riesengebirge. Ähnlich ist es noch heute im Taunus, im Wester-
wald und auf der Eifel. Hier hat der Touristenstrom ganz neue Häuser ins
Leben gerufen, da das alteinheimische Wirtshaus viel zu einfach war, um
dem Bedürfnis eines plötzlich beginnenden Luxusverkehrs zu dienen. Die
Wirtshäuser in den industriellen Gegenden des Erzgebirges und der schlesischen
Gebirge sind häufig mit einem auffallend großen Saalanbau versehen, der all¬
sonntäglich die vergnügungssüchtige Jugend der Arbeiterbevölkerung und ge¬
legentlich sozialdemokratische Versammlungen beherbergt.

In Baiern und Tirol haben wir ähnliche Verhältnisse wie am Oberrhein.
An den einst vielbefahrnen Straßen des italienischen Handels über den Brenner
und den Fern, an den Salzstraßen, die, die Jsar und den Jnn kreuzend, vor dem
Gebirge herziehen, an der Donaustraßc stehen die alten Gasthäuser der Fuhr¬
leute und der Stellwagen. Einige haben sich in geschickter Art dem modernen
Fremdenverkehr angepaßt, der die großen Räume wenigstens zur Sommerszeit
füllt. Die beliebtesten Gasthäuser am Brenner, im Oberinnthal, im Drauthal,
in den alten Durchgangspunkten des Augsburger Verkehrs, Mittenwald und
Ammergau, gehören zu den alten Verkehrsstätten. Ihr durch manches bunte
Wandbild von Heiligen oder von Frachtführer mit sechs Paar Gäulen bezeugtes
Alter und ihre behaglichen weiten Räume haben dazu beigetragen, sie den
modernen Vergnügungsreisenden angenehm zu machen. Welches „Hotel" kann
einen Raum bieten, der sich an freundlicher Behaglichkeit mit dem zimmerartig
breiten und hellen Vorplatz der Stockwerke eines solchen Hauses messen könnte,
wo in Glasschränken die Familienschütze alter Gläser, Teller und Platten auf¬
gereiht sind und zwischen den Fenstern der blumengeschmückte Hausaltar steht?
Der eleganteste Konversationssaal ist fade und kalt neben einem solchen an¬
spruchslos edeln Raum, der sich besonders auch dadurch auszeichnet, daß er
durchaus nicht überflüssig ist, was man von vielen Räumen moderner Gast¬
hausbauten nicht sagen kann. Bei diesen muß man unwillkürlich an den
eignen Geldbeutel denken, der thörichten Luxus mitzählen muß, während jener
alte Vorraum uns durch seine bürgerliche Gediegenheit beruhigt.

Nicht allen den alten Postgasthüusern war diese glückliche Auferstehung
beschieden. Wer die von Touristen selten begangne Straße wandert, die in
ziemlicher Entfernung vom Gebirge von München über Mühldorf am Jnn
und Braunau nach Linz und Budivcis zieht, trifft in selten genannten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/98>, abgerufen am 08.01.2025.