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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Das deutsche Dorfwirtshaus

große Anzahl von reisenden Gymnasiasten und Theologiestudircnden, die all¬
sommerlich in die Pfarrhöfe einfallen. Daß der deutsche und österreichische
Alpenverein an den besuchtesten Orten der deutschen Alpen einzelne gute und
billige Gasthäuser zu "Stndcntenherbergen" erklärt hat, wo die wanderlustige
studirende Jugend billige Zehrung und Unterkunft findet, ist eine sehr löbliche
Erneuerung des alten Rechts fahrender Schüler auf Erleichterung ihrer Reise.

So verschieden in unserm Lande der Verkehr war und ist, so wenig
gleichen einander seine Wirkungen auf die Wirtshäuser. In Süd- und West¬
deutschland mit seinem alten und weitreichenden Verkehr sind schon früh aus
dörflichen Wirtshäusern Verkehrsstätten, echte Gasthäuser geworden. Kein
deutsches Gebirgsland ist so reich an großen, guten Gasthäusern wie der
Schwarzwald mit seinen Industrieorten und seinem alten, mächtigen Holzhandel.
Hier sind lange vor dem Fremdenznzug die Gasthäuser im Sommer und
Winter vou Leuten besucht gewesen, die einen guten Trunk und entsprechenden
Bissen verlangten. Daß die guten alten Wirtshäuser auch selbst an einsamen
Straßenkreuzungen und in kleinen Weilern nicht fehlen, gehört zu den Eigen¬
tümlichkeiten des Schwarzwalds, die man besser begreift, wenn man mitten im
Winter Hunderte von Holzfuhrwerken an einem einzigen Tage beim Kreuz oder
Sternen vorfahren sieht. Übrigens hat hier auch der Wein seine Wirkung gethan,
der überall einer reinlichen und auf die Küche bedachten Wirtschaft günstiger ist
als das Bier. Der Geschäftsgeist, der sich in den Schwarzwälder Werkstätten
äußert, ging natürlich auch nicht an den Gasthäusern vorüber, und die ale¬
mannische Reinlichkeit, die fast in jedem Bauernhaus waltet, hilft auch dazu.
Endlich hat auch die Nähe der Schweiz eingewirkt, dieses Musterlcmdcs des
modernen Gasthauswesens; die neuen großen Gasthäuser im Schwarzwald und
den Vogesen sind in ganz Deutschland die schweizerischsten im guten und Übeln
Sinne.

Von deu ursprünglich vcrkehrsärmern mitteldeutschen Gebirgen ist der Harz
in gasthäuslicher Beziehung dem Thüringer Wald gerade so ähnlich, wie er
geologisch mit ihm verwandt ist und landschaftlich soviel Ähnliches aufzuweisen
hat. Harz und Thüringer Wald sind arme Gebirge im Gegensatz zum Schwarz¬
wald, mit nur spärlichen Oasen fruchtbaren Landes, eher rauh als mild und
schon außerhalb der Zone des Weines gelegen. Die Edelkastanien von Blanken-
burg, die nördlichsten auf deutschem Boden, sind nur noch Kuriositäten, ver¬
glichen mit den "Keschten"wüldern von Cronberg oder Gernsbach. Die arme
Bevölkerung dieser Gebirge besuchte aus guten Gründen die Wirtshäuser wenig,
Reisende gab es auch nicht viel, und so mußte denn der Neiseluxus, den der
Vergnügungsrcisende verlangt, ganz von außen hereingetragen und erst ange¬
pflanzt werden. Ju dem rauhen sozialen Klima der Waldgebirge ist er aber
nicht so recht gediehen. Jedes Bett spricht von dem Kampf, den er mit den
ärmlichen Lebensgewohnheiten der Gebirgsbewohner zu kämpfen hatte, und die


Grenzboten I 1898 12
Das deutsche Dorfwirtshaus

große Anzahl von reisenden Gymnasiasten und Theologiestudircnden, die all¬
sommerlich in die Pfarrhöfe einfallen. Daß der deutsche und österreichische
Alpenverein an den besuchtesten Orten der deutschen Alpen einzelne gute und
billige Gasthäuser zu „Stndcntenherbergen" erklärt hat, wo die wanderlustige
studirende Jugend billige Zehrung und Unterkunft findet, ist eine sehr löbliche
Erneuerung des alten Rechts fahrender Schüler auf Erleichterung ihrer Reise.

So verschieden in unserm Lande der Verkehr war und ist, so wenig
gleichen einander seine Wirkungen auf die Wirtshäuser. In Süd- und West¬
deutschland mit seinem alten und weitreichenden Verkehr sind schon früh aus
dörflichen Wirtshäusern Verkehrsstätten, echte Gasthäuser geworden. Kein
deutsches Gebirgsland ist so reich an großen, guten Gasthäusern wie der
Schwarzwald mit seinen Industrieorten und seinem alten, mächtigen Holzhandel.
Hier sind lange vor dem Fremdenznzug die Gasthäuser im Sommer und
Winter vou Leuten besucht gewesen, die einen guten Trunk und entsprechenden
Bissen verlangten. Daß die guten alten Wirtshäuser auch selbst an einsamen
Straßenkreuzungen und in kleinen Weilern nicht fehlen, gehört zu den Eigen¬
tümlichkeiten des Schwarzwalds, die man besser begreift, wenn man mitten im
Winter Hunderte von Holzfuhrwerken an einem einzigen Tage beim Kreuz oder
Sternen vorfahren sieht. Übrigens hat hier auch der Wein seine Wirkung gethan,
der überall einer reinlichen und auf die Küche bedachten Wirtschaft günstiger ist
als das Bier. Der Geschäftsgeist, der sich in den Schwarzwälder Werkstätten
äußert, ging natürlich auch nicht an den Gasthäusern vorüber, und die ale¬
mannische Reinlichkeit, die fast in jedem Bauernhaus waltet, hilft auch dazu.
Endlich hat auch die Nähe der Schweiz eingewirkt, dieses Musterlcmdcs des
modernen Gasthauswesens; die neuen großen Gasthäuser im Schwarzwald und
den Vogesen sind in ganz Deutschland die schweizerischsten im guten und Übeln
Sinne.

Von deu ursprünglich vcrkehrsärmern mitteldeutschen Gebirgen ist der Harz
in gasthäuslicher Beziehung dem Thüringer Wald gerade so ähnlich, wie er
geologisch mit ihm verwandt ist und landschaftlich soviel Ähnliches aufzuweisen
hat. Harz und Thüringer Wald sind arme Gebirge im Gegensatz zum Schwarz¬
wald, mit nur spärlichen Oasen fruchtbaren Landes, eher rauh als mild und
schon außerhalb der Zone des Weines gelegen. Die Edelkastanien von Blanken-
burg, die nördlichsten auf deutschem Boden, sind nur noch Kuriositäten, ver¬
glichen mit den „Keschten"wüldern von Cronberg oder Gernsbach. Die arme
Bevölkerung dieser Gebirge besuchte aus guten Gründen die Wirtshäuser wenig,
Reisende gab es auch nicht viel, und so mußte denn der Neiseluxus, den der
Vergnügungsrcisende verlangt, ganz von außen hereingetragen und erst ange¬
pflanzt werden. Ju dem rauhen sozialen Klima der Waldgebirge ist er aber
nicht so recht gediehen. Jedes Bett spricht von dem Kampf, den er mit den
ärmlichen Lebensgewohnheiten der Gebirgsbewohner zu kämpfen hatte, und die


Grenzboten I 1898 12
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[0097] Das deutsche Dorfwirtshaus große Anzahl von reisenden Gymnasiasten und Theologiestudircnden, die all¬ sommerlich in die Pfarrhöfe einfallen. Daß der deutsche und österreichische Alpenverein an den besuchtesten Orten der deutschen Alpen einzelne gute und billige Gasthäuser zu „Stndcntenherbergen" erklärt hat, wo die wanderlustige studirende Jugend billige Zehrung und Unterkunft findet, ist eine sehr löbliche Erneuerung des alten Rechts fahrender Schüler auf Erleichterung ihrer Reise. So verschieden in unserm Lande der Verkehr war und ist, so wenig gleichen einander seine Wirkungen auf die Wirtshäuser. In Süd- und West¬ deutschland mit seinem alten und weitreichenden Verkehr sind schon früh aus dörflichen Wirtshäusern Verkehrsstätten, echte Gasthäuser geworden. Kein deutsches Gebirgsland ist so reich an großen, guten Gasthäusern wie der Schwarzwald mit seinen Industrieorten und seinem alten, mächtigen Holzhandel. Hier sind lange vor dem Fremdenznzug die Gasthäuser im Sommer und Winter vou Leuten besucht gewesen, die einen guten Trunk und entsprechenden Bissen verlangten. Daß die guten alten Wirtshäuser auch selbst an einsamen Straßenkreuzungen und in kleinen Weilern nicht fehlen, gehört zu den Eigen¬ tümlichkeiten des Schwarzwalds, die man besser begreift, wenn man mitten im Winter Hunderte von Holzfuhrwerken an einem einzigen Tage beim Kreuz oder Sternen vorfahren sieht. Übrigens hat hier auch der Wein seine Wirkung gethan, der überall einer reinlichen und auf die Küche bedachten Wirtschaft günstiger ist als das Bier. Der Geschäftsgeist, der sich in den Schwarzwälder Werkstätten äußert, ging natürlich auch nicht an den Gasthäusern vorüber, und die ale¬ mannische Reinlichkeit, die fast in jedem Bauernhaus waltet, hilft auch dazu. Endlich hat auch die Nähe der Schweiz eingewirkt, dieses Musterlcmdcs des modernen Gasthauswesens; die neuen großen Gasthäuser im Schwarzwald und den Vogesen sind in ganz Deutschland die schweizerischsten im guten und Übeln Sinne. Von deu ursprünglich vcrkehrsärmern mitteldeutschen Gebirgen ist der Harz in gasthäuslicher Beziehung dem Thüringer Wald gerade so ähnlich, wie er geologisch mit ihm verwandt ist und landschaftlich soviel Ähnliches aufzuweisen hat. Harz und Thüringer Wald sind arme Gebirge im Gegensatz zum Schwarz¬ wald, mit nur spärlichen Oasen fruchtbaren Landes, eher rauh als mild und schon außerhalb der Zone des Weines gelegen. Die Edelkastanien von Blanken- burg, die nördlichsten auf deutschem Boden, sind nur noch Kuriositäten, ver¬ glichen mit den „Keschten"wüldern von Cronberg oder Gernsbach. Die arme Bevölkerung dieser Gebirge besuchte aus guten Gründen die Wirtshäuser wenig, Reisende gab es auch nicht viel, und so mußte denn der Neiseluxus, den der Vergnügungsrcisende verlangt, ganz von außen hereingetragen und erst ange¬ pflanzt werden. Ju dem rauhen sozialen Klima der Waldgebirge ist er aber nicht so recht gediehen. Jedes Bett spricht von dem Kampf, den er mit den ärmlichen Lebensgewohnheiten der Gebirgsbewohner zu kämpfen hatte, und die Grenzboten I 1898 12

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/97>, abgerufen am 07.01.2025.