Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Sagenbildung und Sagenentwicklung

sie ohne jede Verbindung mit der Dietrichsage und nur insofern -weitere ge¬
bildet, als der Tod Schwanhilts in folgender Weise begründet wird: sie ist
Ermenrichs zweite Gattin; ein übler Ratgeber bringt den Kötlig zü dem
Glauben, daß zwischen ihr und. seinem erwachsenen Sohne aus einer frühern
Ehe ein sträfliches Verhältnis bestehe; Ermenrich läßt deshalb beide toten und
fordert damit die Rache der Brüder heraus. Wichtig für uns ist hierbei der
Tod des Sohnes und der üble Ratgeber, beides übrigens , keine nordischen Zu¬
thaten, sondern -auch, in Deutschland bekannt. Diese , Sage dürste sich auf
folgende Weise entwickelt haben: der geschichtliche Ermanarich ist ein gewaltiger
Reichsgründer, der die zahlreichen ihm unterworfnen Stämme gewiß nicht ohne
Strenge im Gehorsam halten konnte. Aber mit seiner letzten strengen Handlung
schoß er über das Ziel hinaus: die grausame Hinrichtung der Schwanhilt hatte
seine eigne Ermordung zur Folge. So blieb er in der Erinnerung als das Urbild
eines gewaltthätigen Herrschers bestehen, als den ihn schon die alten/ spätestens
dem achten Jahrhundert, angehörigen angelsächsischen Zeugnisse kennen. Neben
ihm entwickelte sich die Figur des ungetreuen Rates, wohl ein alter Versuch,
zu erklären, wie'ein König aus dem edeln Hause der. Amalex so aus der Art
schlage" konnte; er ist eine rein dichterische Figur, gewissermaßen eine Perso¬
nifikation des bösen Charakters des. Königs.' . '
'

. Wir stoßen hier zuerst auf. eins der wichtigsten Darstellungsmittel! aller
Sagen: es werden.Typen verwendet, d. h. Personen ausgestellt, die bestimmt
sind, eine gewisse Eigenschaft, sei es des Charakters oder auch einer besondern
äußern Stellung, ein für allemal zu vertreten. Zu .diesen Typen gehört z. B.
auch Dietrichs Waffenmeister, der alte Hildebrand; es verstand sich von selbst,
daß ein König einen ältern Freund bei sich hatte, von dem er erzogen und
im Waffenhandwerke unterrichtet worden war und-der zeitlebens sein bester,
weil erfahrenster Ratgeber blieb. Fast ausnahmslos erzeugt ein solcher Typus
aus sich heraus sein Gegenbild: so steht dem ungetreuen Sibich in der Har-
lungensage der getreue Eckehart gegenüber, so entwickelt sich neben dem er¬
fahrnen Hildebrand später sein jugendlich unerfahrner, überall täppisch drein-
fahrender Neffe Wolfsart,, der, wenn auch nie böswillig, viel Unheil .anrichtet
und schließlich anch die Ursache wird, daß Dietrichs: Mannen alle außer Hilde¬
brand !in^ der Nibelnngenschlacht! umkommen. ^ l ! ^ -.^

Aber kehren wir zu dem Gange der Hauptuntersuchung zurück. War
Ermenrichs Charakter einmal in der angedeuteten Weise festgelegt, und war er
samt seinem Volke nach Italien versetzt, so lag es nahe, ihn, den Amnler, zu
dem Amaler Dietrich in nähere Beziehung zu bringen. Das ist denn -auch
sehr bald geschehen. Um das Jahr 1000 berichtet die Quedlinburger Chronik,
Ermenrich habe auf-Antreiben Odocikers seinen Vetter Dietrich aus Verona
vertrieben und zu Attilci in die. Verbannung ^zü -gehen genötigt.-- Dann M
Ermenrich zur Rache für eine.Gewaltthat, von drei Brüdern (zu deu zwei bei


Sagenbildung und Sagenentwicklung

sie ohne jede Verbindung mit der Dietrichsage und nur insofern -weitere ge¬
bildet, als der Tod Schwanhilts in folgender Weise begründet wird: sie ist
Ermenrichs zweite Gattin; ein übler Ratgeber bringt den Kötlig zü dem
Glauben, daß zwischen ihr und. seinem erwachsenen Sohne aus einer frühern
Ehe ein sträfliches Verhältnis bestehe; Ermenrich läßt deshalb beide toten und
fordert damit die Rache der Brüder heraus. Wichtig für uns ist hierbei der
Tod des Sohnes und der üble Ratgeber, beides übrigens , keine nordischen Zu¬
thaten, sondern -auch, in Deutschland bekannt. Diese , Sage dürste sich auf
folgende Weise entwickelt haben: der geschichtliche Ermanarich ist ein gewaltiger
Reichsgründer, der die zahlreichen ihm unterworfnen Stämme gewiß nicht ohne
Strenge im Gehorsam halten konnte. Aber mit seiner letzten strengen Handlung
schoß er über das Ziel hinaus: die grausame Hinrichtung der Schwanhilt hatte
seine eigne Ermordung zur Folge. So blieb er in der Erinnerung als das Urbild
eines gewaltthätigen Herrschers bestehen, als den ihn schon die alten/ spätestens
dem achten Jahrhundert, angehörigen angelsächsischen Zeugnisse kennen. Neben
ihm entwickelte sich die Figur des ungetreuen Rates, wohl ein alter Versuch,
zu erklären, wie'ein König aus dem edeln Hause der. Amalex so aus der Art
schlage» konnte; er ist eine rein dichterische Figur, gewissermaßen eine Perso¬
nifikation des bösen Charakters des. Königs.' . '
'

. Wir stoßen hier zuerst auf. eins der wichtigsten Darstellungsmittel! aller
Sagen: es werden.Typen verwendet, d. h. Personen ausgestellt, die bestimmt
sind, eine gewisse Eigenschaft, sei es des Charakters oder auch einer besondern
äußern Stellung, ein für allemal zu vertreten. Zu .diesen Typen gehört z. B.
auch Dietrichs Waffenmeister, der alte Hildebrand; es verstand sich von selbst,
daß ein König einen ältern Freund bei sich hatte, von dem er erzogen und
im Waffenhandwerke unterrichtet worden war und-der zeitlebens sein bester,
weil erfahrenster Ratgeber blieb. Fast ausnahmslos erzeugt ein solcher Typus
aus sich heraus sein Gegenbild: so steht dem ungetreuen Sibich in der Har-
lungensage der getreue Eckehart gegenüber, so entwickelt sich neben dem er¬
fahrnen Hildebrand später sein jugendlich unerfahrner, überall täppisch drein-
fahrender Neffe Wolfsart,, der, wenn auch nie böswillig, viel Unheil .anrichtet
und schließlich anch die Ursache wird, daß Dietrichs: Mannen alle außer Hilde¬
brand !in^ der Nibelnngenschlacht! umkommen. ^ l ! ^ -.^

Aber kehren wir zu dem Gange der Hauptuntersuchung zurück. War
Ermenrichs Charakter einmal in der angedeuteten Weise festgelegt, und war er
samt seinem Volke nach Italien versetzt, so lag es nahe, ihn, den Amnler, zu
dem Amaler Dietrich in nähere Beziehung zu bringen. Das ist denn -auch
sehr bald geschehen. Um das Jahr 1000 berichtet die Quedlinburger Chronik,
Ermenrich habe auf-Antreiben Odocikers seinen Vetter Dietrich aus Verona
vertrieben und zu Attilci in die. Verbannung ^zü -gehen genötigt.-- Dann M
Ermenrich zur Rache für eine.Gewaltthat, von drei Brüdern (zu deu zwei bei


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0094" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226996"/>
          <fw type="header" place="top"> Sagenbildung und Sagenentwicklung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_275" prev="#ID_274"> sie ohne jede Verbindung mit der Dietrichsage und nur insofern -weitere ge¬<lb/>
bildet, als der Tod Schwanhilts in folgender Weise begründet wird: sie ist<lb/>
Ermenrichs zweite Gattin; ein übler Ratgeber bringt den Kötlig zü dem<lb/>
Glauben, daß zwischen ihr und. seinem erwachsenen Sohne aus einer frühern<lb/>
Ehe ein sträfliches Verhältnis bestehe; Ermenrich läßt deshalb beide toten und<lb/>
fordert damit die Rache der Brüder heraus. Wichtig für uns ist hierbei der<lb/>
Tod des Sohnes und der üble Ratgeber, beides übrigens , keine nordischen Zu¬<lb/>
thaten, sondern -auch, in Deutschland bekannt. Diese , Sage dürste sich auf<lb/>
folgende Weise entwickelt haben: der geschichtliche Ermanarich ist ein gewaltiger<lb/>
Reichsgründer, der die zahlreichen ihm unterworfnen Stämme gewiß nicht ohne<lb/>
Strenge im Gehorsam halten konnte. Aber mit seiner letzten strengen Handlung<lb/>
schoß er über das Ziel hinaus: die grausame Hinrichtung der Schwanhilt hatte<lb/>
seine eigne Ermordung zur Folge. So blieb er in der Erinnerung als das Urbild<lb/>
eines gewaltthätigen Herrschers bestehen, als den ihn schon die alten/ spätestens<lb/>
dem achten Jahrhundert, angehörigen angelsächsischen Zeugnisse kennen. Neben<lb/>
ihm entwickelte sich die Figur des ungetreuen Rates, wohl ein alter Versuch,<lb/>
zu erklären, wie'ein König aus dem edeln Hause der. Amalex so aus der Art<lb/>
schlage» konnte; er ist eine rein dichterische Figur, gewissermaßen eine Perso¬<lb/>
nifikation des bösen Charakters des. Königs.' . '<lb/>
'</p><lb/>
          <p xml:id="ID_276"> . Wir stoßen hier zuerst auf. eins der wichtigsten Darstellungsmittel! aller<lb/>
Sagen: es werden.Typen verwendet, d. h. Personen ausgestellt, die bestimmt<lb/>
sind, eine gewisse Eigenschaft, sei es des Charakters oder auch einer besondern<lb/>
äußern Stellung, ein für allemal zu vertreten. Zu .diesen Typen gehört z. B.<lb/>
auch Dietrichs Waffenmeister, der alte Hildebrand; es verstand sich von selbst,<lb/>
daß ein König einen ältern Freund bei sich hatte, von dem er erzogen und<lb/>
im Waffenhandwerke unterrichtet worden war und-der zeitlebens sein bester,<lb/>
weil erfahrenster Ratgeber blieb. Fast ausnahmslos erzeugt ein solcher Typus<lb/>
aus sich heraus sein Gegenbild: so steht dem ungetreuen Sibich in der Har-<lb/>
lungensage der getreue Eckehart gegenüber, so entwickelt sich neben dem er¬<lb/>
fahrnen Hildebrand später sein jugendlich unerfahrner, überall täppisch drein-<lb/>
fahrender Neffe Wolfsart,, der, wenn auch nie böswillig, viel Unheil .anrichtet<lb/>
und schließlich anch die Ursache wird, daß Dietrichs: Mannen alle außer Hilde¬<lb/>
brand !in^ der Nibelnngenschlacht! umkommen. ^   l  ! ^ -.^</p><lb/>
          <p xml:id="ID_277" next="#ID_278"> Aber kehren wir zu dem Gange der Hauptuntersuchung zurück. War<lb/>
Ermenrichs Charakter einmal in der angedeuteten Weise festgelegt, und war er<lb/>
samt seinem Volke nach Italien versetzt, so lag es nahe, ihn, den Amnler, zu<lb/>
dem Amaler Dietrich in nähere Beziehung zu bringen. Das ist denn -auch<lb/>
sehr bald geschehen. Um das Jahr 1000 berichtet die Quedlinburger Chronik,<lb/>
Ermenrich habe auf-Antreiben Odocikers seinen Vetter Dietrich aus Verona<lb/>
vertrieben und zu Attilci in die. Verbannung ^zü -gehen genötigt.-- Dann M<lb/>
Ermenrich zur Rache für eine.Gewaltthat, von drei Brüdern (zu deu zwei bei</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0094] Sagenbildung und Sagenentwicklung sie ohne jede Verbindung mit der Dietrichsage und nur insofern -weitere ge¬ bildet, als der Tod Schwanhilts in folgender Weise begründet wird: sie ist Ermenrichs zweite Gattin; ein übler Ratgeber bringt den Kötlig zü dem Glauben, daß zwischen ihr und. seinem erwachsenen Sohne aus einer frühern Ehe ein sträfliches Verhältnis bestehe; Ermenrich läßt deshalb beide toten und fordert damit die Rache der Brüder heraus. Wichtig für uns ist hierbei der Tod des Sohnes und der üble Ratgeber, beides übrigens , keine nordischen Zu¬ thaten, sondern -auch, in Deutschland bekannt. Diese , Sage dürste sich auf folgende Weise entwickelt haben: der geschichtliche Ermanarich ist ein gewaltiger Reichsgründer, der die zahlreichen ihm unterworfnen Stämme gewiß nicht ohne Strenge im Gehorsam halten konnte. Aber mit seiner letzten strengen Handlung schoß er über das Ziel hinaus: die grausame Hinrichtung der Schwanhilt hatte seine eigne Ermordung zur Folge. So blieb er in der Erinnerung als das Urbild eines gewaltthätigen Herrschers bestehen, als den ihn schon die alten/ spätestens dem achten Jahrhundert, angehörigen angelsächsischen Zeugnisse kennen. Neben ihm entwickelte sich die Figur des ungetreuen Rates, wohl ein alter Versuch, zu erklären, wie'ein König aus dem edeln Hause der. Amalex so aus der Art schlage» konnte; er ist eine rein dichterische Figur, gewissermaßen eine Perso¬ nifikation des bösen Charakters des. Königs.' . ' ' . Wir stoßen hier zuerst auf. eins der wichtigsten Darstellungsmittel! aller Sagen: es werden.Typen verwendet, d. h. Personen ausgestellt, die bestimmt sind, eine gewisse Eigenschaft, sei es des Charakters oder auch einer besondern äußern Stellung, ein für allemal zu vertreten. Zu .diesen Typen gehört z. B. auch Dietrichs Waffenmeister, der alte Hildebrand; es verstand sich von selbst, daß ein König einen ältern Freund bei sich hatte, von dem er erzogen und im Waffenhandwerke unterrichtet worden war und-der zeitlebens sein bester, weil erfahrenster Ratgeber blieb. Fast ausnahmslos erzeugt ein solcher Typus aus sich heraus sein Gegenbild: so steht dem ungetreuen Sibich in der Har- lungensage der getreue Eckehart gegenüber, so entwickelt sich neben dem er¬ fahrnen Hildebrand später sein jugendlich unerfahrner, überall täppisch drein- fahrender Neffe Wolfsart,, der, wenn auch nie böswillig, viel Unheil .anrichtet und schließlich anch die Ursache wird, daß Dietrichs: Mannen alle außer Hilde¬ brand !in^ der Nibelnngenschlacht! umkommen. ^ l ! ^ -.^ Aber kehren wir zu dem Gange der Hauptuntersuchung zurück. War Ermenrichs Charakter einmal in der angedeuteten Weise festgelegt, und war er samt seinem Volke nach Italien versetzt, so lag es nahe, ihn, den Amnler, zu dem Amaler Dietrich in nähere Beziehung zu bringen. Das ist denn -auch sehr bald geschehen. Um das Jahr 1000 berichtet die Quedlinburger Chronik, Ermenrich habe auf-Antreiben Odocikers seinen Vetter Dietrich aus Verona vertrieben und zu Attilci in die. Verbannung ^zü -gehen genötigt.-- Dann M Ermenrich zur Rache für eine.Gewaltthat, von drei Brüdern (zu deu zwei bei

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/94
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/94>, abgerufen am 08.01.2025.