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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Die Flottenfrage in Lngland ^382 bis IM9

Kommen wir um zu unsern eignen Angelegenheiten! Die Notwendigkeit
der Verstärkung unsrer Flotte zu einer unserm Seehandel und Besitz mehr
entsprechenden Macht ist schon betont worden. Der Plan dazu ist in Form
eines Gesetzes mit Zustimmung des Bundesrath entworfen und bedarf jetzt der
Zustimmung des Reichstags. Der Staatssekretär des Reichsmarineamts, dem
die schwere Aufgabe der Durchführung der Reform der Flotte obliegt, ist in
der Lage eines Baumeisters, der ein großes Haus bauen soll und nach Ge¬
nehmigung seines Bauplans auch gern die Sicherheit hätte, daß keine Stockung in
dem Zufluß der Baugelder die Ausführung verzögern oder gar zu Abweichungen
von der stilvollen Vollendung zwingen könne. Daß der Kampf um den jähr¬
lichen Etat der Marine und um die Bewilligung einzelner Schiffe oft nicht zum
Segen der Marine und zum Ansehen des Staates gedient hat, haben wir
leider schon mehrfach erfahren. Der Bau der einzelnen Schiffe wird verzögert,
und die einheitliche Durchführung eines Bauplans wird erschwert durch die
Ungewißheit über die Erfolge oder Niederlagen der jährlichen Vorlagen. Mag
der Vertreter der Marinevvrlage sie vom politischen oder vom fachmännischer
Standpunkt ans auch noch so gut begründen, so werden ihm nur zu oft
Mangel an Kenntnis der äußern Politik, eine falsche, nach Popularität strebende
Sparsamkeit oder gar die rücksichtslose Vorschiebung von Parteiinteressen seine
Pläne vereiteln. Der berufne fachmännische Berater des Reichs und des
Volks kann bei uns mit seinen Vorschlägen der Abstimmung einer Partei
unterliegen, die kein einziges Mitglied auszuweisen hat, das in Sachen der
auswärtigen Politik oder der Seefahrt Verständnis oder Erfahrung hat. Man
hat deshalb, in ähnlicher Weise wie es in England geschehen ist, diesmal für
unsre Marinevvrlage die sowohl die Leitung der Marine wie den Reichstag
auf sieben Jahre verpflichtende Form des Gesetzes gewählt und darin die
Größe des Sollbestandes der Flotte, den Zeitraum sür die Ausführung der
Neubauten und die Regelung der Zeiten für Ersatzbauten aufgenommen.

Der Sollbestand der deutschen Flotte wird darin, abgesehen von Torpedo¬
fahrzeugen und den für den Gefechtsmert der Flotte unwesentlichen Schulschiffen,
Spezialschiffen und Kanonenböten, auf siebzehn Linienschiffe, acht Küsteupcmzer-
schiffe, neun große und sechsundzwanzig kleine Kreuzer, die jederzeit ver-
wendnngsbereit sein müssen, und zwei Linienschiffe, drei große und vier kleine
Kreuzer, die als Materialreserve dienen sollen, festgesetzt.

Zu diesen Festsetzungen haben die taktischen Erfahrungen bei den Ge-
schwaderübnngen und die Folgerungen ans den Herbstmanövern vieler Jahre
geführt. Das Linienschiff ist die Gefechtseinheit der rangirten Schlachtlinie.
Die Division ist eine Vereinigung von vier Kriegsschiffen unter einem Kom¬
mando; zwei Divisionen bilden ein Geschwader unter einem Geschwaderches.
Mehrere Geschwader bilden eine Flotte tinter dem kommandirenden Admiral,
der die Flotte von einem besonders dazu bestimmten Linienschiff aus, dem
Flottenflaggschiff, leitet. Wir rechnen auf eine Division der Linienschiffe einen


Die Flottenfrage in Lngland ^382 bis IM9

Kommen wir um zu unsern eignen Angelegenheiten! Die Notwendigkeit
der Verstärkung unsrer Flotte zu einer unserm Seehandel und Besitz mehr
entsprechenden Macht ist schon betont worden. Der Plan dazu ist in Form
eines Gesetzes mit Zustimmung des Bundesrath entworfen und bedarf jetzt der
Zustimmung des Reichstags. Der Staatssekretär des Reichsmarineamts, dem
die schwere Aufgabe der Durchführung der Reform der Flotte obliegt, ist in
der Lage eines Baumeisters, der ein großes Haus bauen soll und nach Ge¬
nehmigung seines Bauplans auch gern die Sicherheit hätte, daß keine Stockung in
dem Zufluß der Baugelder die Ausführung verzögern oder gar zu Abweichungen
von der stilvollen Vollendung zwingen könne. Daß der Kampf um den jähr¬
lichen Etat der Marine und um die Bewilligung einzelner Schiffe oft nicht zum
Segen der Marine und zum Ansehen des Staates gedient hat, haben wir
leider schon mehrfach erfahren. Der Bau der einzelnen Schiffe wird verzögert,
und die einheitliche Durchführung eines Bauplans wird erschwert durch die
Ungewißheit über die Erfolge oder Niederlagen der jährlichen Vorlagen. Mag
der Vertreter der Marinevvrlage sie vom politischen oder vom fachmännischer
Standpunkt ans auch noch so gut begründen, so werden ihm nur zu oft
Mangel an Kenntnis der äußern Politik, eine falsche, nach Popularität strebende
Sparsamkeit oder gar die rücksichtslose Vorschiebung von Parteiinteressen seine
Pläne vereiteln. Der berufne fachmännische Berater des Reichs und des
Volks kann bei uns mit seinen Vorschlägen der Abstimmung einer Partei
unterliegen, die kein einziges Mitglied auszuweisen hat, das in Sachen der
auswärtigen Politik oder der Seefahrt Verständnis oder Erfahrung hat. Man
hat deshalb, in ähnlicher Weise wie es in England geschehen ist, diesmal für
unsre Marinevvrlage die sowohl die Leitung der Marine wie den Reichstag
auf sieben Jahre verpflichtende Form des Gesetzes gewählt und darin die
Größe des Sollbestandes der Flotte, den Zeitraum sür die Ausführung der
Neubauten und die Regelung der Zeiten für Ersatzbauten aufgenommen.

Der Sollbestand der deutschen Flotte wird darin, abgesehen von Torpedo¬
fahrzeugen und den für den Gefechtsmert der Flotte unwesentlichen Schulschiffen,
Spezialschiffen und Kanonenböten, auf siebzehn Linienschiffe, acht Küsteupcmzer-
schiffe, neun große und sechsundzwanzig kleine Kreuzer, die jederzeit ver-
wendnngsbereit sein müssen, und zwei Linienschiffe, drei große und vier kleine
Kreuzer, die als Materialreserve dienen sollen, festgesetzt.

Zu diesen Festsetzungen haben die taktischen Erfahrungen bei den Ge-
schwaderübnngen und die Folgerungen ans den Herbstmanövern vieler Jahre
geführt. Das Linienschiff ist die Gefechtseinheit der rangirten Schlachtlinie.
Die Division ist eine Vereinigung von vier Kriegsschiffen unter einem Kom¬
mando; zwei Divisionen bilden ein Geschwader unter einem Geschwaderches.
Mehrere Geschwader bilden eine Flotte tinter dem kommandirenden Admiral,
der die Flotte von einem besonders dazu bestimmten Linienschiff aus, dem
Flottenflaggschiff, leitet. Wir rechnen auf eine Division der Linienschiffe einen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/75>, abgerufen am 08.01.2025.