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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

ist, weil ohne sie der Geist entweder der Fäulnis oder der Erstarrung anheim¬
fällt. Das allein wirklich Neue in der Welt: der Fortschritt der angewandten
Naturwissenschaften, ändert an dem höhern Leben des Menschen gar nichts;
es macht ihn weder besser noch schlechter, weder weiser noch thörichter, weder
schöner noch häßlicher, weder glücklicher uoch unglücklicher; es hat nur den
doppelten Zweck, einerseits der notwendigen geistigen Bewegung einen uner¬
schöpflichen Stoff zu liefern, andrerseits für das durch wachsende Bevölkerungs¬
dichtigkeit erschwerte materielle Dasein die Bedingungen und Hilfsmittel zu
schaffen. Demnach haben die Verfasser der neutestamentlichen Schriften Recht,
wenn sie diese zukünftige materielle Entwicklung, von der sie übrigens natür¬
lich keine Ahnung hatten, ganz unbeachtet lassen, die Ankunft Christi als die
Erfüllung des göttlichen Weltplans und die Vollendung der Weltgeschichte an¬
sehen, die Wiederkunft des Herrn in naher Zukunft erwarten, und was bis
dahin uoch zu geschehen hat, der Hauptsache nach auf den Kampf zwischen
dem Christentum und seinen Gegnern zurückführen; so bildet denn der Aufblick
zum himmlischen Jerusalem, dem Endziel der irdischen Pilgerschaft, den Schluß
der Bibel.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Zolaistisches.

Der österreichischen Presse sollte gegenwärtig wohl mehr als
genügender Grund zu Sorgen gegeben sein dnrch den harten Kampf, der den
Deutschöfterrcicheru von ihren slawischen "Brüdern" mit höherer Genehmigung
aufgezwungen worden ist. Mögen sie selbst einen nicht geringen Teil der Schuld
daran tragen, daß die Dinge so weit kommen konnten, indem sie zu willig gewissen
Führern folgten, die zuerst in liberaler Kurzsichtigkeit den Slawen alle Waffen in
die Hände gaben, ihnen die Schule auslieferten, ans der eine nicht mehr utrnqnistisch
fühlende Generation hervorgegangen ist, erst den erstarkten Gegner unterschätzten,
dann meinten, ihn mit den Mitteln der Bttrecmkrcitie wieder unterwürfig machen zu
können, und die wiederholten Gelegenheiten zu einem annehmbaren Frieden ver¬
säumten -- mögen solche Verschuldungen den unerträglichen Zustand gezeitigt haben:
heute ringen sie thatsächlich um ihre nationale Existenz, und der übermütige Feind
nimmt schon die ganzen Alpenländer als Vasallengebicte der Krone von Böhmen
in Anspruch. Die Lage ist ernst und bedrohlich genug, umso mehr, als die gali-
zische Szlachta ihre Rechnung dabei findet, mit den Tschechen gemeinsame Sache
zu machen, während in dem sogenannten verfnssnngstreuen Großgrundbesitze, der
eine Zeit lang so tapfer zur Opposition -- halten wollte, ein böhmisch-mährisches
Divlvmntisiren Boden gewinnt. Die Sache ist ernst, aber den "fortschrittlich¬
gesinnten" Zeitungen liegt offenbar eine andre Sache doch noch mehr am Herzen,
der Handel der Firma Drehfuß-Zola. Sie versichern unermüdlich, daß überall im
weiten Erdenrunde, wo sich Kultur und Rechtsgefühl noch haben behaupte" können,
glühende Begeisterung für Emile Zola herrsche, den großen Bekenner und Märtyrer,
dem es das neunzehnte Jahrhundert zu danken haben wird, wenn es noch mit
Anstand liquidiren darf.


Grenzboten I 1898 !>g
Maßgebliches und Unmaßgebliches

ist, weil ohne sie der Geist entweder der Fäulnis oder der Erstarrung anheim¬
fällt. Das allein wirklich Neue in der Welt: der Fortschritt der angewandten
Naturwissenschaften, ändert an dem höhern Leben des Menschen gar nichts;
es macht ihn weder besser noch schlechter, weder weiser noch thörichter, weder
schöner noch häßlicher, weder glücklicher uoch unglücklicher; es hat nur den
doppelten Zweck, einerseits der notwendigen geistigen Bewegung einen uner¬
schöpflichen Stoff zu liefern, andrerseits für das durch wachsende Bevölkerungs¬
dichtigkeit erschwerte materielle Dasein die Bedingungen und Hilfsmittel zu
schaffen. Demnach haben die Verfasser der neutestamentlichen Schriften Recht,
wenn sie diese zukünftige materielle Entwicklung, von der sie übrigens natür¬
lich keine Ahnung hatten, ganz unbeachtet lassen, die Ankunft Christi als die
Erfüllung des göttlichen Weltplans und die Vollendung der Weltgeschichte an¬
sehen, die Wiederkunft des Herrn in naher Zukunft erwarten, und was bis
dahin uoch zu geschehen hat, der Hauptsache nach auf den Kampf zwischen
dem Christentum und seinen Gegnern zurückführen; so bildet denn der Aufblick
zum himmlischen Jerusalem, dem Endziel der irdischen Pilgerschaft, den Schluß
der Bibel.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Zolaistisches.

Der österreichischen Presse sollte gegenwärtig wohl mehr als
genügender Grund zu Sorgen gegeben sein dnrch den harten Kampf, der den
Deutschöfterrcicheru von ihren slawischen „Brüdern" mit höherer Genehmigung
aufgezwungen worden ist. Mögen sie selbst einen nicht geringen Teil der Schuld
daran tragen, daß die Dinge so weit kommen konnten, indem sie zu willig gewissen
Führern folgten, die zuerst in liberaler Kurzsichtigkeit den Slawen alle Waffen in
die Hände gaben, ihnen die Schule auslieferten, ans der eine nicht mehr utrnqnistisch
fühlende Generation hervorgegangen ist, erst den erstarkten Gegner unterschätzten,
dann meinten, ihn mit den Mitteln der Bttrecmkrcitie wieder unterwürfig machen zu
können, und die wiederholten Gelegenheiten zu einem annehmbaren Frieden ver¬
säumten — mögen solche Verschuldungen den unerträglichen Zustand gezeitigt haben:
heute ringen sie thatsächlich um ihre nationale Existenz, und der übermütige Feind
nimmt schon die ganzen Alpenländer als Vasallengebicte der Krone von Böhmen
in Anspruch. Die Lage ist ernst und bedrohlich genug, umso mehr, als die gali-
zische Szlachta ihre Rechnung dabei findet, mit den Tschechen gemeinsame Sache
zu machen, während in dem sogenannten verfnssnngstreuen Großgrundbesitze, der
eine Zeit lang so tapfer zur Opposition — halten wollte, ein böhmisch-mährisches
Divlvmntisiren Boden gewinnt. Die Sache ist ernst, aber den „fortschrittlich¬
gesinnten" Zeitungen liegt offenbar eine andre Sache doch noch mehr am Herzen,
der Handel der Firma Drehfuß-Zola. Sie versichern unermüdlich, daß überall im
weiten Erdenrunde, wo sich Kultur und Rechtsgefühl noch haben behaupte» können,
glühende Begeisterung für Emile Zola herrsche, den großen Bekenner und Märtyrer,
dem es das neunzehnte Jahrhundert zu danken haben wird, wenn es noch mit
Anstand liquidiren darf.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/717>, abgerufen am 08.01.2025.