Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.auf diesem Gebiete geliefert. Mit Recht rühmt er dem niederdeutschen Rätsel Und wer wüßte nicht, welchen lebhaften Ausdruck die nüchtern-witzige Lebens¬ Der liebevoll-demütigen symbolischen Mitempfindung und dem die auf diesem Gebiete geliefert. Mit Recht rühmt er dem niederdeutschen Rätsel Und wer wüßte nicht, welchen lebhaften Ausdruck die nüchtern-witzige Lebens¬ Der liebevoll-demütigen symbolischen Mitempfindung und dem die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0705" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227607"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_2489" prev="#ID_2488" next="#ID_2490"> auf diesem Gebiete geliefert. Mit Recht rühmt er dem niederdeutschen Rätsel<lb/> namentlich nach, wie scharf es das Stillleben der Tiere beobachte, z. B. der<lb/> sich plusternden und bei ihrer Toilette vom Schwein gestörten Ente, freilich<lb/> auch die unendlichen Züge menschlichen Thuns bis zu dem alles verzehrenden<lb/> Würfelspiel hin. Ein reizendes Beispiel für die Verquickung realistischer und<lb/> humoristischer Auffassung in den Formen symbolischer Personifizirung ist die<lb/> mecklenburgische Scherzrede zwischen dem sich schlängelnden Bach und der ab¬<lb/> gemähten Wiese: „Du Kringelkrummüm, wo wistu sennen?" „Du Kahlelopp-<lb/> schoren, wat fröchst du dorna?" Ähnlich paaren sich Allerweltsfrvhlichkeit<lb/> und muntere Derbheit mit zarter Poesie im Schlummerlied der südlichen<lb/> Schwarzwülderin; in ihrer Stube hängt ein geschnitzter Engel an der Wand,<lb/> an dem vorbei sieht sie über die Wiege ihres Kindes hinweg durch ihr Fenster<lb/> Rheinfelden und Basel in duftiger Ferne liegen:</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_21" type="poem"> <l/> </lg><lb/> <p xml:id="ID_2490" prev="#ID_2489"> Und wer wüßte nicht, welchen lebhaften Ausdruck die nüchtern-witzige Lebens¬<lb/> philosophie unsers Volks in seinen Sprichwörtern findet?</p><lb/> <p xml:id="ID_2491" next="#ID_2492"> Der liebevoll-demütigen symbolischen Mitempfindung und dem die<lb/> Dinge frisch packenden und beherrschenden Witz darf man noch einen sozial¬<lb/> ethischen Charakterzug unsers Volksgemüth hinzufügen: das Bedürfnis freund¬<lb/> schaftlichen Zusammenlebens, aus der Wurzel gemeinsamer Arbeit erwachsen.<lb/> Die älteste Form davon ist wohl die der Sippe, des Verwandtenkreises des<lb/> Dorfes, das durch eine große Zahl von Dorfraum als ursprüngliche Ge¬<lb/> schlechtsniederlassung vielfach erwiesen ist. Die gemeinsame Feldarbeit, nament¬<lb/> lich Mahd und Ernte, der gemeinsame Betrieb der Weide und was alles damit<lb/> zusammenhängt, müssen die freundschaftliche Seite dieses Bandes immer neu<lb/> gestärkt haben. Ein drittes Bindeglied dieser Art ist die Nachbarschaft, in<lb/> Sitte und Brauch noch von Schleswig bis zu den Alpen eigentümlich wirksam<lb/> (das bayrische Haberfeldtreiben gehört hierher), in der engern Form des Gilden¬<lb/> oder des Vetterschaftwesens namentlich im Nordwesten gepflegt, oft heidnisches<lb/> mit christlichem mengend. Was im Sommer die Feldarbeit förderte, das hegte<lb/> und hegt im Winter die Spinnstube. „Spinnen und Weben besorgten die<lb/> Weiber seit uralter Zeit wegen der Unterhaltung, der billigern Erwärmung<lb/> und Beleuchtung gern in Gesellschaften, in ihren Dünger. in besondern Weiber¬<lb/> gemächern." Und so haben sie durch die Jahrhunderte erst mit der Spindel,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0705]
auf diesem Gebiete geliefert. Mit Recht rühmt er dem niederdeutschen Rätsel
namentlich nach, wie scharf es das Stillleben der Tiere beobachte, z. B. der
sich plusternden und bei ihrer Toilette vom Schwein gestörten Ente, freilich
auch die unendlichen Züge menschlichen Thuns bis zu dem alles verzehrenden
Würfelspiel hin. Ein reizendes Beispiel für die Verquickung realistischer und
humoristischer Auffassung in den Formen symbolischer Personifizirung ist die
mecklenburgische Scherzrede zwischen dem sich schlängelnden Bach und der ab¬
gemähten Wiese: „Du Kringelkrummüm, wo wistu sennen?" „Du Kahlelopp-
schoren, wat fröchst du dorna?" Ähnlich paaren sich Allerweltsfrvhlichkeit
und muntere Derbheit mit zarter Poesie im Schlummerlied der südlichen
Schwarzwülderin; in ihrer Stube hängt ein geschnitzter Engel an der Wand,
an dem vorbei sieht sie über die Wiege ihres Kindes hinweg durch ihr Fenster
Rheinfelden und Basel in duftiger Ferne liegen:
Und wer wüßte nicht, welchen lebhaften Ausdruck die nüchtern-witzige Lebens¬
philosophie unsers Volks in seinen Sprichwörtern findet?
Der liebevoll-demütigen symbolischen Mitempfindung und dem die
Dinge frisch packenden und beherrschenden Witz darf man noch einen sozial¬
ethischen Charakterzug unsers Volksgemüth hinzufügen: das Bedürfnis freund¬
schaftlichen Zusammenlebens, aus der Wurzel gemeinsamer Arbeit erwachsen.
Die älteste Form davon ist wohl die der Sippe, des Verwandtenkreises des
Dorfes, das durch eine große Zahl von Dorfraum als ursprüngliche Ge¬
schlechtsniederlassung vielfach erwiesen ist. Die gemeinsame Feldarbeit, nament¬
lich Mahd und Ernte, der gemeinsame Betrieb der Weide und was alles damit
zusammenhängt, müssen die freundschaftliche Seite dieses Bandes immer neu
gestärkt haben. Ein drittes Bindeglied dieser Art ist die Nachbarschaft, in
Sitte und Brauch noch von Schleswig bis zu den Alpen eigentümlich wirksam
(das bayrische Haberfeldtreiben gehört hierher), in der engern Form des Gilden¬
oder des Vetterschaftwesens namentlich im Nordwesten gepflegt, oft heidnisches
mit christlichem mengend. Was im Sommer die Feldarbeit förderte, das hegte
und hegt im Winter die Spinnstube. „Spinnen und Weben besorgten die
Weiber seit uralter Zeit wegen der Unterhaltung, der billigern Erwärmung
und Beleuchtung gern in Gesellschaften, in ihren Dünger. in besondern Weiber¬
gemächern." Und so haben sie durch die Jahrhunderte erst mit der Spindel,
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