Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.bolische Handlung wie die, wodurch die junge Siebenbürgerin noch heute vor Freilich ist der geschichtliche Verlauf der Dinge so gewesen, wie schon Die Herdenglocken werden heute an der württembergisch-badischen Grenze Einen prächtigen Schutz gegen zu große Innerlichkeit hat die deutsche Vgl. Grcnzbawn .1897 II 56,
bolische Handlung wie die, wodurch die junge Siebenbürgerin noch heute vor Freilich ist der geschichtliche Verlauf der Dinge so gewesen, wie schon Die Herdenglocken werden heute an der württembergisch-badischen Grenze Einen prächtigen Schutz gegen zu große Innerlichkeit hat die deutsche Vgl. Grcnzbawn .1897 II 56,
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bolische Handlung wie die, wodurch die junge Siebenbürgerin noch heute vor
Gott und der Welt kundgiebt, daß sie einem Burschen angehören will:
sie verspricht, ihm Hafer führen zu helfen, und sitzt dann am Erntemorgen
hinten in seinem langen Erntewagen auf dem glatten Wiesenbaum. Eine
psychologische Quelle hat der symbolische Brauch, vor der Geburt eines Kindes
alle Schlösser im Hause an Thüren und Kisten zu öffnen, um das Aufschließen
des Leibes zu erleichtern. Ähnlich bedeutet die Sitte, auf das Brot drei
Kreuze zu ritzen, ehe man es anschneidet, die Auslösung einer wenn auch
kleinen Gemütsspannung. Das Symbol ist nicht nur ein schöner Schein,
sondern drückt etwas thatsächliches im Gefühlsleben aus.
Freilich ist der geschichtliche Verlauf der Dinge so gewesen, wie schon
einige der mitgeteilten Beispiele andeuten, daß die völlig wirklich gemeinte
Handlung oder Aussprache durch die symbolische Auffassung hindurch mit der
zunehmenden Nationalisirung des Volkslebens und -denkens zu einem von
dem Kulturmenschen oft bloß noch ästhetisch empfundnen Gleichnis herab-
gesunken ist. Also das „interesselos" ästhetische ist nur noch ein Rest des
bedeutungsvollen symbolisch-schönen; nur Gesamtteilnahme, Einfühlung gewährt
das erhöhte Lebensgefühl, dessen Äußerung die Kunst ist.
Die Herdenglocken werden heute an der württembergisch-badischen Grenze
und wohl auch noch anderwärts in Deutschland darnach ausgesucht, daß jede
Herde ein schön klingendes Geläut bekomme. „Aber die Glocken der Herden waren
einst nicht zur musikalischen Unterhaltung, auch nicht so sehr dazu bestimmt, daß
man ein verlaufnes Stück leichter auffinden könne, sondern sie dienten ur¬
sprünglich, wie ja auch die Kirchenglocken, zur Abwehr allerlei Unheils." Das
Freudenschießen auf dem Taus- und Hochzeitswege und zu Neujahr will
eigentlich böse Geister vertreiben wie die Oster-, Mai-, Johannis-, Michaelis¬
und Martinifeuer eigentlich Reinigungsfeuer sind; ist der neuere Sinn des
Freudeufeuers bei ihnen irgendwo im Volke vollständig durchgedrungen? Und
genau so ist es mit der Natursymbolik des Volkslieds gegangen. Noch heute
empfinden wir es mit, wie die Wehmut über den Verlust des Geliebten im
Herzen des Mädchens beim Niedersinken des Korns aufsteigt, wenn das schöne
Lied erklingt: Ich hört ein Sichlein rauschen. Und schon lange ist andrerseits
der natursymbolische Kehrreim so vieler Volkslieder zu einem mit dem Haupt¬
text nicht mehr zusammenhängenden Zierat herabgesunken.
Einen prächtigen Schutz gegen zu große Innerlichkeit hat die deutsche
Volksseele in der frischen Realistik ihrer Auffassungsgabe; hell und tief zugleich
ist das Auge unsers Volkes. Nichts aber zeigt den frischen Sinn für das
Charakteristische mehr als das deutsche Volksrätsel. Wer hier einmal Auge
und Herz hell baden will, dem sei die vortreffliche Sammlung Mecklenburgischer
Rätsel von Wossidlo wiederholt*) empfohlen; sie hat auch für Meyer das beste
Vgl. Grcnzbawn .1897 II 56,
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