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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Das Recht der Schleswig-holsteinischen Erhebung

die Treue zum Fürsten ist immer bestimmt durch das Zusammenleben und
Zusammenwirken von Fürst und Volk, durch gemeinsame Interessen, durch die
Persönlichkeit des Fürsten. Wenn ein Fürstenhaus ausstirbt und Streitigkeiten
um die Erbfolge entstehen, so pflegt das Volk sich nicht nnr durch formale
Rechtsansprüche, zu deren Prüfung juristischer Scharfsinn gehört, bestimmen
zu lassen, sondern es wird vor allem darnach fragen, welche Stellung der
Thronbewerber zu den großen politischen, das Volk tief bewegenden Fragen
einnimmt. Daß in dem nationalen Kampfe das Haus Augustenburg sich auf
die deutsche, das Haus Glücksburg auf die dänische Seite stellte, hat mehr als
alles andre dazu gethan, das Urteil von Deutschen und Dänen über die er-
hobnen Erbansprüche zu bestimmen.

Von dem Zeitpunkt an, wo der nationale Hader ausbrach, konnte eine
gemeinsame Monarchie nicht mehr dieselbe Anhänglichkeit von den Dänen und
Schleswig-Holsteinern beanspruchen. Es war von den Schleswig-Holsteinern
zuviel verlangt, daß sie einem König Treue und Anhänglichkeit bewahren
sollten, der, um sich in Dünemark die Volksgunst zu sichern, gezwungen war,
Schleswig-Holsteins Rechte zu verletzen und die Schleswig-holsteinische Be¬
wegung gewaltsam niederzukämpfen. In Dänemark herrschte eine stark demo¬
kratische Richtung, die dem König ihren Willen aufzwang, von den Schleswig-
Holsteinern aber im Namen des Königs Gehorsam verlangte. Daß somit die
Heiligkeit der Königswürde vorgeschoben wurde, um den Widerstand zum Treu-
bruch zu stempeln, durfte die Schleswig-Holsteiner nicht davon abhalten, ihre
nationalen Rechte zu fordern.

Der Monarchie als Vollstreckerin des dänischen Volkswillens, der die
energische Unterdrückung des deutschen Nationalgefühls in Schleswig-Holstein
für ein Gebot der nationalen Selbsterhaltung hielt, haben die Schleswig-
Holsteiner auch nach dem Kriege von 1848 bis 1850 einen zähen passiven
Widerstand geleistet. Zu meiner Kindheitszeit war in Schleswig-Holstein von
monarchischen Gefühl wenig zu merken. Freilich war auch der Trüger der
Königswürde persönlich wenig geeignet, Ehrfurcht einzuflößen; sein Wesen und
Auftreten war so unköniglich, wie das eines Fürsten nur sein kann. Dennoch
galt die Geringschätzung, die ihm bezeigt wurde, viel weniger seiner Person
als seiner Stellung. Es war der dänische König, dem man die sonst Fürsten
zu teil werdende Ehrerbietung versagte. In der Erinnerung der Dünen lebt
dieser König, Friedrich VII., freilich uoch heute als der "volkstümliche König,"
aber seine Volkstümlichkeit war nicht die Volkstümlichkeit im edeln Sinne des
Wortes, die mit Wohlwollen und echter Vornehmheit der Gesinnung vereinte
Schlichtheit des Wesens. Er stand seiner Denkweise und Gesinnung nach dem
"gemeinen Mann" näher, als billigerweise ein König sollte. In den bessern
Gesellschaftskreisen Dänemarks nahm man Anstoß an seinem Lebenswandel,
aber man rechnete ihm zum Verdienst an. daß er, jeder Thatkraft bar, den
Volkswünschen kein Hindernis entgegensetzte.


Das Recht der Schleswig-holsteinischen Erhebung

die Treue zum Fürsten ist immer bestimmt durch das Zusammenleben und
Zusammenwirken von Fürst und Volk, durch gemeinsame Interessen, durch die
Persönlichkeit des Fürsten. Wenn ein Fürstenhaus ausstirbt und Streitigkeiten
um die Erbfolge entstehen, so pflegt das Volk sich nicht nnr durch formale
Rechtsansprüche, zu deren Prüfung juristischer Scharfsinn gehört, bestimmen
zu lassen, sondern es wird vor allem darnach fragen, welche Stellung der
Thronbewerber zu den großen politischen, das Volk tief bewegenden Fragen
einnimmt. Daß in dem nationalen Kampfe das Haus Augustenburg sich auf
die deutsche, das Haus Glücksburg auf die dänische Seite stellte, hat mehr als
alles andre dazu gethan, das Urteil von Deutschen und Dänen über die er-
hobnen Erbansprüche zu bestimmen.

Von dem Zeitpunkt an, wo der nationale Hader ausbrach, konnte eine
gemeinsame Monarchie nicht mehr dieselbe Anhänglichkeit von den Dänen und
Schleswig-Holsteinern beanspruchen. Es war von den Schleswig-Holsteinern
zuviel verlangt, daß sie einem König Treue und Anhänglichkeit bewahren
sollten, der, um sich in Dünemark die Volksgunst zu sichern, gezwungen war,
Schleswig-Holsteins Rechte zu verletzen und die Schleswig-holsteinische Be¬
wegung gewaltsam niederzukämpfen. In Dänemark herrschte eine stark demo¬
kratische Richtung, die dem König ihren Willen aufzwang, von den Schleswig-
Holsteinern aber im Namen des Königs Gehorsam verlangte. Daß somit die
Heiligkeit der Königswürde vorgeschoben wurde, um den Widerstand zum Treu-
bruch zu stempeln, durfte die Schleswig-Holsteiner nicht davon abhalten, ihre
nationalen Rechte zu fordern.

Der Monarchie als Vollstreckerin des dänischen Volkswillens, der die
energische Unterdrückung des deutschen Nationalgefühls in Schleswig-Holstein
für ein Gebot der nationalen Selbsterhaltung hielt, haben die Schleswig-
Holsteiner auch nach dem Kriege von 1848 bis 1850 einen zähen passiven
Widerstand geleistet. Zu meiner Kindheitszeit war in Schleswig-Holstein von
monarchischen Gefühl wenig zu merken. Freilich war auch der Trüger der
Königswürde persönlich wenig geeignet, Ehrfurcht einzuflößen; sein Wesen und
Auftreten war so unköniglich, wie das eines Fürsten nur sein kann. Dennoch
galt die Geringschätzung, die ihm bezeigt wurde, viel weniger seiner Person
als seiner Stellung. Es war der dänische König, dem man die sonst Fürsten
zu teil werdende Ehrerbietung versagte. In der Erinnerung der Dünen lebt
dieser König, Friedrich VII., freilich uoch heute als der „volkstümliche König,"
aber seine Volkstümlichkeit war nicht die Volkstümlichkeit im edeln Sinne des
Wortes, die mit Wohlwollen und echter Vornehmheit der Gesinnung vereinte
Schlichtheit des Wesens. Er stand seiner Denkweise und Gesinnung nach dem
„gemeinen Mann" näher, als billigerweise ein König sollte. In den bessern
Gesellschaftskreisen Dänemarks nahm man Anstoß an seinem Lebenswandel,
aber man rechnete ihm zum Verdienst an. daß er, jeder Thatkraft bar, den
Volkswünschen kein Hindernis entgegensetzte.


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[0692] Das Recht der Schleswig-holsteinischen Erhebung die Treue zum Fürsten ist immer bestimmt durch das Zusammenleben und Zusammenwirken von Fürst und Volk, durch gemeinsame Interessen, durch die Persönlichkeit des Fürsten. Wenn ein Fürstenhaus ausstirbt und Streitigkeiten um die Erbfolge entstehen, so pflegt das Volk sich nicht nnr durch formale Rechtsansprüche, zu deren Prüfung juristischer Scharfsinn gehört, bestimmen zu lassen, sondern es wird vor allem darnach fragen, welche Stellung der Thronbewerber zu den großen politischen, das Volk tief bewegenden Fragen einnimmt. Daß in dem nationalen Kampfe das Haus Augustenburg sich auf die deutsche, das Haus Glücksburg auf die dänische Seite stellte, hat mehr als alles andre dazu gethan, das Urteil von Deutschen und Dänen über die er- hobnen Erbansprüche zu bestimmen. Von dem Zeitpunkt an, wo der nationale Hader ausbrach, konnte eine gemeinsame Monarchie nicht mehr dieselbe Anhänglichkeit von den Dänen und Schleswig-Holsteinern beanspruchen. Es war von den Schleswig-Holsteinern zuviel verlangt, daß sie einem König Treue und Anhänglichkeit bewahren sollten, der, um sich in Dünemark die Volksgunst zu sichern, gezwungen war, Schleswig-Holsteins Rechte zu verletzen und die Schleswig-holsteinische Be¬ wegung gewaltsam niederzukämpfen. In Dänemark herrschte eine stark demo¬ kratische Richtung, die dem König ihren Willen aufzwang, von den Schleswig- Holsteinern aber im Namen des Königs Gehorsam verlangte. Daß somit die Heiligkeit der Königswürde vorgeschoben wurde, um den Widerstand zum Treu- bruch zu stempeln, durfte die Schleswig-Holsteiner nicht davon abhalten, ihre nationalen Rechte zu fordern. Der Monarchie als Vollstreckerin des dänischen Volkswillens, der die energische Unterdrückung des deutschen Nationalgefühls in Schleswig-Holstein für ein Gebot der nationalen Selbsterhaltung hielt, haben die Schleswig- Holsteiner auch nach dem Kriege von 1848 bis 1850 einen zähen passiven Widerstand geleistet. Zu meiner Kindheitszeit war in Schleswig-Holstein von monarchischen Gefühl wenig zu merken. Freilich war auch der Trüger der Königswürde persönlich wenig geeignet, Ehrfurcht einzuflößen; sein Wesen und Auftreten war so unköniglich, wie das eines Fürsten nur sein kann. Dennoch galt die Geringschätzung, die ihm bezeigt wurde, viel weniger seiner Person als seiner Stellung. Es war der dänische König, dem man die sonst Fürsten zu teil werdende Ehrerbietung versagte. In der Erinnerung der Dünen lebt dieser König, Friedrich VII., freilich uoch heute als der „volkstümliche König," aber seine Volkstümlichkeit war nicht die Volkstümlichkeit im edeln Sinne des Wortes, die mit Wohlwollen und echter Vornehmheit der Gesinnung vereinte Schlichtheit des Wesens. Er stand seiner Denkweise und Gesinnung nach dem „gemeinen Mann" näher, als billigerweise ein König sollte. In den bessern Gesellschaftskreisen Dänemarks nahm man Anstoß an seinem Lebenswandel, aber man rechnete ihm zum Verdienst an. daß er, jeder Thatkraft bar, den Volkswünschen kein Hindernis entgegensetzte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/692>, abgerufen am 08.01.2025.