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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Das Recht der Schleswig-holsteinischen Erhebung

Verlauf für unser Nationalbewußtsein befriedigender ist, als wenn eines jener
beiden Fürstenhäuser heute in Schleswig-Holstein regierte.

Der große verhängnisvolle Fehler der Dänen, der ihnen zum Verderben
geworden ist und ihre Niederlagen verschuldet hat, bestand darin, daß sie die
Zeichen der Zeit nicht richtig verstanden und eine kommende Geschichtsentwick¬
lung nicht voraushaben. In der Staatenbildung und auf volkswirtschaftlichen
Gebiet zeigt sich gegenwärtig ein mächtiger Zug zur "Großwirtschaft." Das
Zusammenballen mächtiger Staatengebilde, deren Kraft auf ihrer nationalen
Einheit beruht, das Erstarken andrer, die durch Anwachsen an Volkszahl und
wirtschaftlicher Kraft immer mehr an Bedeutung gewinnen, läßt für kleine
Nationen nur eine bescheidne Rolle übrig. Sie können im besten Fall ein
friedliches Stilleben führen, wie ja auch heute der Wunsch der Dänen ist.
Sie können bei den großen Welthändeln kein entscheidendes Gewicht in die
Wagschale werfen und dürfen daher am wenigsten den Anspruch erheben, über
einen Bruchteil einer andern größern Nation eine Herrschaft auszuüben, die sie mit
dieser Nation verfeindet. Wie Holland, hat auch Dünemark längst seine politische
Bedeutung verloren, und die Dünen werden es immer besser lernen sich in
das Unvermeidliche fügen. Von dem Zeitpunkt an, wo die dänischen Schleswig-
Hvlsteiner die Unterordnung unter eine fremde Nationalität als Demütigung
empfanden, stand es auch fest, daß die dänische Herrschaft in Schleswig-Hol¬
stein nicht von Dauer sein konnte. Erwägt man dies, so erscheint der Streit
um fürstliche Erbrechte und die ängstliche Berufung auf den Buchstaben des
Rechts ganz überflüssig.

Zur Zeit der Schleswig-holsteinischen Erhebung und schon in den vorher-
gegangnen Jahren, als die nationalen Gegensätze sich immer mehr verschärften,
wurde jedoch dieser Frage eine große Bedeutung beigelegt. Die Schleswig-
Hvlsteiner sahen in der Berufung auf ein besonders von dem dänischen ver-
schiednes Fürstenerbrecht das einzige Mittel, von Dänemark loszukommen, und
die Dänen bekämpften, weil sie die hierin liegende Gefahr erkannten, diese
Anschauungen aufs heftigste. Daher bemühten sie sich umso mehr, das staat¬
liche Band zwischen beiden Ländern unauflöslich zu machen und in diesem
Sinne die Erbrechtsrage zu entscheiden. Aber man darf nicht glauben, daß
scharssinnige juristische Argumentationen sür das Volksgemüt eine überzeugende
Kraft haben; auf beiden Seiten, bei Deutschen und Dänen, stand das Rechts¬
bewußtsein gänzlich im Dienst des Nationnlgefühls. Hätten sich innerhalb des
dänischen Gesamtstaats Deutsche und Dänen so gut mit einander vertragen,
wie in frühern Jahren, so würde die Erbrechtsfrage sie nicht mit einander
entzweit haben.

Monarchisches Gefühl wird oft als eine Eigentümlichkeit des deutschen
Volkes bezeichnet. Auch die Schleswig-Holsteiner und die ihnen nahe ver¬
wandten Dänen haben öfter ein lebhaftes monarchisches Gefühl bethätigt. Aber


Das Recht der Schleswig-holsteinischen Erhebung

Verlauf für unser Nationalbewußtsein befriedigender ist, als wenn eines jener
beiden Fürstenhäuser heute in Schleswig-Holstein regierte.

Der große verhängnisvolle Fehler der Dänen, der ihnen zum Verderben
geworden ist und ihre Niederlagen verschuldet hat, bestand darin, daß sie die
Zeichen der Zeit nicht richtig verstanden und eine kommende Geschichtsentwick¬
lung nicht voraushaben. In der Staatenbildung und auf volkswirtschaftlichen
Gebiet zeigt sich gegenwärtig ein mächtiger Zug zur „Großwirtschaft." Das
Zusammenballen mächtiger Staatengebilde, deren Kraft auf ihrer nationalen
Einheit beruht, das Erstarken andrer, die durch Anwachsen an Volkszahl und
wirtschaftlicher Kraft immer mehr an Bedeutung gewinnen, läßt für kleine
Nationen nur eine bescheidne Rolle übrig. Sie können im besten Fall ein
friedliches Stilleben führen, wie ja auch heute der Wunsch der Dänen ist.
Sie können bei den großen Welthändeln kein entscheidendes Gewicht in die
Wagschale werfen und dürfen daher am wenigsten den Anspruch erheben, über
einen Bruchteil einer andern größern Nation eine Herrschaft auszuüben, die sie mit
dieser Nation verfeindet. Wie Holland, hat auch Dünemark längst seine politische
Bedeutung verloren, und die Dünen werden es immer besser lernen sich in
das Unvermeidliche fügen. Von dem Zeitpunkt an, wo die dänischen Schleswig-
Hvlsteiner die Unterordnung unter eine fremde Nationalität als Demütigung
empfanden, stand es auch fest, daß die dänische Herrschaft in Schleswig-Hol¬
stein nicht von Dauer sein konnte. Erwägt man dies, so erscheint der Streit
um fürstliche Erbrechte und die ängstliche Berufung auf den Buchstaben des
Rechts ganz überflüssig.

Zur Zeit der Schleswig-holsteinischen Erhebung und schon in den vorher-
gegangnen Jahren, als die nationalen Gegensätze sich immer mehr verschärften,
wurde jedoch dieser Frage eine große Bedeutung beigelegt. Die Schleswig-
Hvlsteiner sahen in der Berufung auf ein besonders von dem dänischen ver-
schiednes Fürstenerbrecht das einzige Mittel, von Dänemark loszukommen, und
die Dänen bekämpften, weil sie die hierin liegende Gefahr erkannten, diese
Anschauungen aufs heftigste. Daher bemühten sie sich umso mehr, das staat¬
liche Band zwischen beiden Ländern unauflöslich zu machen und in diesem
Sinne die Erbrechtsrage zu entscheiden. Aber man darf nicht glauben, daß
scharssinnige juristische Argumentationen sür das Volksgemüt eine überzeugende
Kraft haben; auf beiden Seiten, bei Deutschen und Dänen, stand das Rechts¬
bewußtsein gänzlich im Dienst des Nationnlgefühls. Hätten sich innerhalb des
dänischen Gesamtstaats Deutsche und Dänen so gut mit einander vertragen,
wie in frühern Jahren, so würde die Erbrechtsfrage sie nicht mit einander
entzweit haben.

Monarchisches Gefühl wird oft als eine Eigentümlichkeit des deutschen
Volkes bezeichnet. Auch die Schleswig-Holsteiner und die ihnen nahe ver¬
wandten Dänen haben öfter ein lebhaftes monarchisches Gefühl bethätigt. Aber


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[0691] Das Recht der Schleswig-holsteinischen Erhebung Verlauf für unser Nationalbewußtsein befriedigender ist, als wenn eines jener beiden Fürstenhäuser heute in Schleswig-Holstein regierte. Der große verhängnisvolle Fehler der Dänen, der ihnen zum Verderben geworden ist und ihre Niederlagen verschuldet hat, bestand darin, daß sie die Zeichen der Zeit nicht richtig verstanden und eine kommende Geschichtsentwick¬ lung nicht voraushaben. In der Staatenbildung und auf volkswirtschaftlichen Gebiet zeigt sich gegenwärtig ein mächtiger Zug zur „Großwirtschaft." Das Zusammenballen mächtiger Staatengebilde, deren Kraft auf ihrer nationalen Einheit beruht, das Erstarken andrer, die durch Anwachsen an Volkszahl und wirtschaftlicher Kraft immer mehr an Bedeutung gewinnen, läßt für kleine Nationen nur eine bescheidne Rolle übrig. Sie können im besten Fall ein friedliches Stilleben führen, wie ja auch heute der Wunsch der Dänen ist. Sie können bei den großen Welthändeln kein entscheidendes Gewicht in die Wagschale werfen und dürfen daher am wenigsten den Anspruch erheben, über einen Bruchteil einer andern größern Nation eine Herrschaft auszuüben, die sie mit dieser Nation verfeindet. Wie Holland, hat auch Dünemark längst seine politische Bedeutung verloren, und die Dünen werden es immer besser lernen sich in das Unvermeidliche fügen. Von dem Zeitpunkt an, wo die dänischen Schleswig- Hvlsteiner die Unterordnung unter eine fremde Nationalität als Demütigung empfanden, stand es auch fest, daß die dänische Herrschaft in Schleswig-Hol¬ stein nicht von Dauer sein konnte. Erwägt man dies, so erscheint der Streit um fürstliche Erbrechte und die ängstliche Berufung auf den Buchstaben des Rechts ganz überflüssig. Zur Zeit der Schleswig-holsteinischen Erhebung und schon in den vorher- gegangnen Jahren, als die nationalen Gegensätze sich immer mehr verschärften, wurde jedoch dieser Frage eine große Bedeutung beigelegt. Die Schleswig- Hvlsteiner sahen in der Berufung auf ein besonders von dem dänischen ver- schiednes Fürstenerbrecht das einzige Mittel, von Dänemark loszukommen, und die Dänen bekämpften, weil sie die hierin liegende Gefahr erkannten, diese Anschauungen aufs heftigste. Daher bemühten sie sich umso mehr, das staat¬ liche Band zwischen beiden Ländern unauflöslich zu machen und in diesem Sinne die Erbrechtsrage zu entscheiden. Aber man darf nicht glauben, daß scharssinnige juristische Argumentationen sür das Volksgemüt eine überzeugende Kraft haben; auf beiden Seiten, bei Deutschen und Dänen, stand das Rechts¬ bewußtsein gänzlich im Dienst des Nationnlgefühls. Hätten sich innerhalb des dänischen Gesamtstaats Deutsche und Dänen so gut mit einander vertragen, wie in frühern Jahren, so würde die Erbrechtsfrage sie nicht mit einander entzweit haben. Monarchisches Gefühl wird oft als eine Eigentümlichkeit des deutschen Volkes bezeichnet. Auch die Schleswig-Holsteiner und die ihnen nahe ver¬ wandten Dänen haben öfter ein lebhaftes monarchisches Gefühl bethätigt. Aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/691>, abgerufen am 08.01.2025.