Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Die Einführung der Deportation in das deutsche Strafrecht Für einen Versuch in dieser Richtung bedürfte es also zunächst keiner Wenn erst einmal dieser praktische Weg in der Deportationsfrage ein¬ Was die oben erwähnte prinzipielle Frage betrifft, ob das Deutsche Reich Die Einführung der Deportation in das deutsche Strafrecht Für einen Versuch in dieser Richtung bedürfte es also zunächst keiner Wenn erst einmal dieser praktische Weg in der Deportationsfrage ein¬ Was die oben erwähnte prinzipielle Frage betrifft, ob das Deutsche Reich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0682" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227584"/> <fw type="header" place="top"> Die Einführung der Deportation in das deutsche Strafrecht</fw><lb/> <p xml:id="ID_2427"> Für einen Versuch in dieser Richtung bedürfte es also zunächst keiner<lb/> weitläufigen gesetzgeberischen Vorarbeiten. Es würde nur erforderlich sein, daß<lb/> sich eine unsrer Kolonisationsgesellschaften bereit fände, das nötige Kapital<lb/> daran zu wagen, um eine oder mehrere Schiffsladungen von Zuchthaussträf¬<lb/> lingen — die natürlich in Bezug auf Arbeitsleistung und klimatische Wider¬<lb/> standsfähigkeit ausgesucht sein müßten — zur Ausführung bestimmter größerer<lb/> Arbeiten, sei es zum Bau von Eisenbahnen oder andrer Verkehrswege, zu<lb/> Hafenanlagen oder Berieselungsanlagen in ihr Gebiet zu bringen und dort an¬<lb/> gemessen unterhalten und bewachen zu lassen. Dann würden ihre Arbeitskräfte<lb/> der Kvlonisationsgesellschaft ebenso oder in noch höherm Grade zur Verfügung<lb/> stehen, wie die gegenwärtige Zuchthausarbeit den einzelnen Betriebsunter¬<lb/> nehmern, und das obendrein, ohne der freien Arbeit Abbruch zu thun. Es ist<lb/> daher kaum anzunehmen, daß sich irgend ein Widerspruch gegen diese Art der<lb/> Verwendung von Sträflingen erheben würde. Daß man auch vom Standpunkte<lb/> des Rechts und der Billigkeit, den der Staat selbstverständlich auch Sträf¬<lb/> lingen gegenüber festzuhalten schuldig ist, dagegen nichts einwenden könnte,<lb/> glauben wir oben nachgewiesen zu haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_2428"> Wenn erst einmal dieser praktische Weg in der Deportationsfrage ein¬<lb/> geschlagen werden würde, so würden wir höchst wahrscheinlich auch bald zu<lb/> Erfahrungen gelangen, die zunächst unsrer Strafrechtspflege zu gute kommen<lb/> müßten, vielleicht auch das wirtschaftliche Aufblühen eines unsrer Schutzgebiete<lb/> befördern könnten. Nur muß das maßgebende immer der strafrechtliche Stand¬<lb/> punkt sein und bleiben, weil es sich doch eben um ein Strafmittel handeln<lb/> soll; der Zweckgedanke des etwaigen kolonialen Vorteils darf nicht zur Grund¬<lb/> lage genommen werden. Wir würden dann denselben praktischen Weg gehen,<lb/> auf dem in England die Deportation, oder wie die Engländer bestimmter sagen,<lb/> die Transportation entstanden und groß geworden ist. Sir Edmund Du Cane,<lb/> der Chef des englischen Gefängniswesens, sagt in seinem Buche: ?lliÜ8eim,«Zitt<lb/> g-na ?rsv<zMvQ ot' Oriens (London, Macmillan Co., 1885) in Kapitel 5:<lb/> ?rg.iiLxort,g.tioQ (S. 110): „Es (dieses System) wurde nicht eingeführt auf<lb/> Grund irgend welcher a priori-Erwägungen, nicht um abstrakten theoretischen<lb/> Grundsätzen zu folgen, sondern es ist erwachsen, wie die meisten andern eng¬<lb/> lischen Einrichtungen, durch allmählich auf einander folgende Änderungen und<lb/> Verbesserungen, die gemacht wurden in Übereinstimmung mit den wechselnden<lb/> Zuständen des Landes und den Anforderungen der öffentlichen Meinung, und<lb/> kann augesehen werden als Ergebnis des Gedankens und der Überlegung einiger<lb/> unsrer größten Staatsmänner, die geleitet und unterstützt werden durch die<lb/> Erfahrung derjenigen, deren praktisches Verhältnis zu dem Gegenstande sie in<lb/> den Stand gesetzt hatte, ihn auf die Art zu studiren, in der allein brauchbare<lb/> .Kenntnis gewonnen werden und gesunde Ansichten sich bilden können."</p><lb/> <p xml:id="ID_2429" next="#ID_2430"> Was die oben erwähnte prinzipielle Frage betrifft, ob das Deutsche Reich</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0682]
Die Einführung der Deportation in das deutsche Strafrecht
Für einen Versuch in dieser Richtung bedürfte es also zunächst keiner
weitläufigen gesetzgeberischen Vorarbeiten. Es würde nur erforderlich sein, daß
sich eine unsrer Kolonisationsgesellschaften bereit fände, das nötige Kapital
daran zu wagen, um eine oder mehrere Schiffsladungen von Zuchthaussträf¬
lingen — die natürlich in Bezug auf Arbeitsleistung und klimatische Wider¬
standsfähigkeit ausgesucht sein müßten — zur Ausführung bestimmter größerer
Arbeiten, sei es zum Bau von Eisenbahnen oder andrer Verkehrswege, zu
Hafenanlagen oder Berieselungsanlagen in ihr Gebiet zu bringen und dort an¬
gemessen unterhalten und bewachen zu lassen. Dann würden ihre Arbeitskräfte
der Kvlonisationsgesellschaft ebenso oder in noch höherm Grade zur Verfügung
stehen, wie die gegenwärtige Zuchthausarbeit den einzelnen Betriebsunter¬
nehmern, und das obendrein, ohne der freien Arbeit Abbruch zu thun. Es ist
daher kaum anzunehmen, daß sich irgend ein Widerspruch gegen diese Art der
Verwendung von Sträflingen erheben würde. Daß man auch vom Standpunkte
des Rechts und der Billigkeit, den der Staat selbstverständlich auch Sträf¬
lingen gegenüber festzuhalten schuldig ist, dagegen nichts einwenden könnte,
glauben wir oben nachgewiesen zu haben.
Wenn erst einmal dieser praktische Weg in der Deportationsfrage ein¬
geschlagen werden würde, so würden wir höchst wahrscheinlich auch bald zu
Erfahrungen gelangen, die zunächst unsrer Strafrechtspflege zu gute kommen
müßten, vielleicht auch das wirtschaftliche Aufblühen eines unsrer Schutzgebiete
befördern könnten. Nur muß das maßgebende immer der strafrechtliche Stand¬
punkt sein und bleiben, weil es sich doch eben um ein Strafmittel handeln
soll; der Zweckgedanke des etwaigen kolonialen Vorteils darf nicht zur Grund¬
lage genommen werden. Wir würden dann denselben praktischen Weg gehen,
auf dem in England die Deportation, oder wie die Engländer bestimmter sagen,
die Transportation entstanden und groß geworden ist. Sir Edmund Du Cane,
der Chef des englischen Gefängniswesens, sagt in seinem Buche: ?lliÜ8eim,«Zitt
g-na ?rsv<zMvQ ot' Oriens (London, Macmillan Co., 1885) in Kapitel 5:
?rg.iiLxort,g.tioQ (S. 110): „Es (dieses System) wurde nicht eingeführt auf
Grund irgend welcher a priori-Erwägungen, nicht um abstrakten theoretischen
Grundsätzen zu folgen, sondern es ist erwachsen, wie die meisten andern eng¬
lischen Einrichtungen, durch allmählich auf einander folgende Änderungen und
Verbesserungen, die gemacht wurden in Übereinstimmung mit den wechselnden
Zuständen des Landes und den Anforderungen der öffentlichen Meinung, und
kann augesehen werden als Ergebnis des Gedankens und der Überlegung einiger
unsrer größten Staatsmänner, die geleitet und unterstützt werden durch die
Erfahrung derjenigen, deren praktisches Verhältnis zu dem Gegenstande sie in
den Stand gesetzt hatte, ihn auf die Art zu studiren, in der allein brauchbare
.Kenntnis gewonnen werden und gesunde Ansichten sich bilden können."
Was die oben erwähnte prinzipielle Frage betrifft, ob das Deutsche Reich
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