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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Die Einführung der Deportation in das deutsche Strafrecht

nicht von entscheidender Bedeutung wäre, und daß er selbst du, wo er aus
deutsch-kolonialen Kreisen stammte, schließlich überwunden werden müßte, wenn
es sich um eine große, dem Vaterlande wie dem Schutzgebiete zu gute
kommende Maßregel handelte. Aber er übersieht dabei, daß es sich unter allen
Umständen nur um eine vorübergehende gesetzliche Einrichtung handeln könnte,
mögen die ersten Versuche so günstig ausfallen, wie sie wollen, und mag das
System auch einige Jahre oder Jahrzehnte durchgeführt werden können. Denn
es kann nach dem heutigen Stande der Kolonialersahrungen keinem Zweifel unter¬
liegen, daß sich jedes Land, das sich zur freien Selbstansiedlung europäischer
Arbeiter eignet, wie z. B. Deutschsüdwestafrika, auf die Dauer die Einfuhr
von Sträflingen als Ansiedler nicht gefallen lassen wird, und daß es, wenn
dies dennoch fortgesetzt werden sollte, entweder zu Gewaltthätigkeiten führen
oder die freien Ansiedler verscheuchen müßte.

Da es sich nach Brucks eignem Zugeständnis zunächst nur um Versuche
in kleinerm Maßstabe handeln soll, so braucht man nicht gleich die Reichs-
strafgesetzgebnng in einem ihrer wichtigsten Teile, dem Strafvollzuge, zu ändern,
denn es würde sich wenigstens in Bezug auf das hier ins Auge gefaßte Schutz¬
gebiet doch nur um ein in absehbarer Zeit wieder aufzuhebendes System han¬
deln, und überdies ließe sich das wesentliche des von Brück angestrebten
Zweckes auch anders und weniger anspruchsvoll erreichen. Mau brauchte nur
die Insassen deutscher Zuchthäuser (allerdings nicht auch die der Gefängnisse, wie
Brück will) zu öffentlichen Arbeiten in den Kolvnialgebieten zu verwenden.

Es soll nicht geleugnet werden, daß auch hierfür der vorherige Erlaß
eines Reichsgesetzes wünschenswert wäre, vor allem um die Einführung einer
solchen Deportation nicht als bloße Verwaltuugswillkür erscheinen zu lassen.
Indes dürfte, wenn man vorher zu einer Einigung über die unzweifelhaft be¬
deutenden Kosten dieser Maßregel gelangt wäre, die Abfassung eines solchen
Gesetzes nicht allzuviel Schwierigkeiten machen. Das Gesetz brauchte gar nicht,
wie Brück will, als eine Änderung hinter Z 16 des Reichsstrafgesetzbnches
eingeschoben zu werden, es könnte sogleich selbständig erscheinen, und zwar als
erster Teil eines dringend notwendig gewordnen Neichsgesetzes über die ein¬
heitliche Regelung des Strafvollzugs. Da nach dem heutigen Zustande dem
zu Zuchthausstrafe Verurteilten kein Anspruch daraus zusteht, sich selbst ein
Zuchthaus zu wählen, so könnte das Reich oder ein Bundesstaat, natürlich
mit Genehmigung des Reichs, da das Kolvnialgebiet dein Reiche untersteht,
beschließen, Zuchthausgefangne allgemein in beliebiger Zahl oder nach be¬
stimmten Kategorien in einem auf Kolonialgebiet zu erbauenden Zuchthause
unterzubringen; und ferner, da die Möglichkeit, Zuchthnusgefcmgne zur soge¬
nannten Außenarbeit zu verwenden, schon jetzt durch das Neichsstrafgesetzbuch
vorhanden ist, so ließe sich diese Außenarbeit auch auf die deportirten Sträflinge
ohne weiteres übertragen.


Die Einführung der Deportation in das deutsche Strafrecht

nicht von entscheidender Bedeutung wäre, und daß er selbst du, wo er aus
deutsch-kolonialen Kreisen stammte, schließlich überwunden werden müßte, wenn
es sich um eine große, dem Vaterlande wie dem Schutzgebiete zu gute
kommende Maßregel handelte. Aber er übersieht dabei, daß es sich unter allen
Umständen nur um eine vorübergehende gesetzliche Einrichtung handeln könnte,
mögen die ersten Versuche so günstig ausfallen, wie sie wollen, und mag das
System auch einige Jahre oder Jahrzehnte durchgeführt werden können. Denn
es kann nach dem heutigen Stande der Kolonialersahrungen keinem Zweifel unter¬
liegen, daß sich jedes Land, das sich zur freien Selbstansiedlung europäischer
Arbeiter eignet, wie z. B. Deutschsüdwestafrika, auf die Dauer die Einfuhr
von Sträflingen als Ansiedler nicht gefallen lassen wird, und daß es, wenn
dies dennoch fortgesetzt werden sollte, entweder zu Gewaltthätigkeiten führen
oder die freien Ansiedler verscheuchen müßte.

Da es sich nach Brucks eignem Zugeständnis zunächst nur um Versuche
in kleinerm Maßstabe handeln soll, so braucht man nicht gleich die Reichs-
strafgesetzgebnng in einem ihrer wichtigsten Teile, dem Strafvollzuge, zu ändern,
denn es würde sich wenigstens in Bezug auf das hier ins Auge gefaßte Schutz¬
gebiet doch nur um ein in absehbarer Zeit wieder aufzuhebendes System han¬
deln, und überdies ließe sich das wesentliche des von Brück angestrebten
Zweckes auch anders und weniger anspruchsvoll erreichen. Mau brauchte nur
die Insassen deutscher Zuchthäuser (allerdings nicht auch die der Gefängnisse, wie
Brück will) zu öffentlichen Arbeiten in den Kolvnialgebieten zu verwenden.

Es soll nicht geleugnet werden, daß auch hierfür der vorherige Erlaß
eines Reichsgesetzes wünschenswert wäre, vor allem um die Einführung einer
solchen Deportation nicht als bloße Verwaltuugswillkür erscheinen zu lassen.
Indes dürfte, wenn man vorher zu einer Einigung über die unzweifelhaft be¬
deutenden Kosten dieser Maßregel gelangt wäre, die Abfassung eines solchen
Gesetzes nicht allzuviel Schwierigkeiten machen. Das Gesetz brauchte gar nicht,
wie Brück will, als eine Änderung hinter Z 16 des Reichsstrafgesetzbnches
eingeschoben zu werden, es könnte sogleich selbständig erscheinen, und zwar als
erster Teil eines dringend notwendig gewordnen Neichsgesetzes über die ein¬
heitliche Regelung des Strafvollzugs. Da nach dem heutigen Zustande dem
zu Zuchthausstrafe Verurteilten kein Anspruch daraus zusteht, sich selbst ein
Zuchthaus zu wählen, so könnte das Reich oder ein Bundesstaat, natürlich
mit Genehmigung des Reichs, da das Kolvnialgebiet dein Reiche untersteht,
beschließen, Zuchthausgefangne allgemein in beliebiger Zahl oder nach be¬
stimmten Kategorien in einem auf Kolonialgebiet zu erbauenden Zuchthause
unterzubringen; und ferner, da die Möglichkeit, Zuchthnusgefcmgne zur soge¬
nannten Außenarbeit zu verwenden, schon jetzt durch das Neichsstrafgesetzbuch
vorhanden ist, so ließe sich diese Außenarbeit auch auf die deportirten Sträflinge
ohne weiteres übertragen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/681>, abgerufen am 09.01.2025.