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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Die Linführung der Deportation in das deutsche Strafrecht

Jahren für breite Volksschichten haben mochte oder konnte, sehr viel verloren.
Es giebt heutzutage außerhalb der arktischen Breitengrade kein Laud und ins¬
besondre keine Kolonie mehr, die in einer so weltfernen Abgeschiedenheit zu
denken wäre, wie die damals erst mit einer etwa achtmonatigen Segelschiffahrt
zu erreichende Botanybai; und die nähere Bekanntschaft mit den fremden Welt¬
teilen hat von ihren früher ins maßlose übertriebnen Schrecken und Gefahren
nur soviel übrig gelassen, als geeignet ist, einen gewissen Reiz nicht zum
wenigsten auch auf Verbrechernaturen auszuüben. Dem müßte dadurch ent¬
gegengetreten werden, daß Verbrecher zur harten Arbeit in der Form der
staatlichen Strafknechtschaft gezwungen werden.

Es blieben also nur die beiden andern Arten der von Professor Brück
empfohlnen Sträflingsbeschäftigung: Straffarmen und öffentliche Arbeiten.
Von der ersten gilt nun aber im allgemeinen dasselbe, was wir soeben über
die Einzelverwendung von Sträflingen in schon bestehenden Ansiedlungen ge¬
sagt haben. Professor Brück fügt seiner letzten Schrift als Anlage (III) hinzu
eine Auseinandersetzung mit dem Grafen Joachim Pfeil über dessen Aufsatz:
"Betrachtungen über die Anlegung einer Strafkolonie in Südwestafrika" (Kolo¬
niales Jahrbuch, Band IX, Seite 201). Es handelt sich dabei für Brück
hauptsächlich um die von ihm als zweifellos hingestellte Möglichkeit, selbst in
dem 835100 Geviertkilometer (also etwa doppelt so viel, als das Deutsche
Reich umfaßt) großen Gebiete von Deutschsüdwestafrika den erforderlichen
Raum für etwa 10000 Sträflinge, mit etwa 20 Morgen auf den Kopf, für
die Straffarmen zu finden und ferner von 20 bis 40 Hektar auf den Kopf
etwa für 5000 Sträflinge, die nach Verbüßung ihrer Strafzeit angesiedelt
werden sollen. Dabei haben übrigens beide Herren einen durch die Verwechs¬
lung von Morgen und Hektar verschuldeten Rechenfehler übersehen. Es handelt
sich im ganzen nicht um 400000 Morgen, sondern um mindestens 600000
bis eine Million Morgen! (200000 für 10000 Sträflinge mit je 20 Morgen,
und 5000 mal 20 oder 40 Hektar, von denen ja jeder 4 Morgen enthält,
400000 Morgen oder das Doppelte 800000 für die nach ihrer Entlassung
anzusiedelnden Sträflinge.) Wenn nun auch Brück meint, es handle sich zu¬
nächst gar nicht um diese großen Zahlen, sondern nur um einen kleinen, mit
ein Paar hundert Sträflingen zu machenden Versuch, so würde doch bei der
von ihm befürworteten gesetzlichen, also auf lange Dauer berechneten Einfüh¬
rung dieser Art von Deportation jedenfalls auch der Gesamtbedarf an Land
von vornherein ins Auge zu fassen sein. Und da ergiebt sich aus der Karte
zu Graf Pfeils "Orientirungsreise," daß überall an den erwähnten Gebieten
schon Nachbarn sein würden, die sich ganz entschieden gegen die Nachbarschaft
von Sträflingen zur Wehr setzen würden. Man kann ferner mit Brück darin
übereinstimmen, daß dieser Widerstand da, wo er aus dem englischen oder
portugiesischen Interessenkreise käme, für eine Maßregel des Deutschen Reichs


Die Linführung der Deportation in das deutsche Strafrecht

Jahren für breite Volksschichten haben mochte oder konnte, sehr viel verloren.
Es giebt heutzutage außerhalb der arktischen Breitengrade kein Laud und ins¬
besondre keine Kolonie mehr, die in einer so weltfernen Abgeschiedenheit zu
denken wäre, wie die damals erst mit einer etwa achtmonatigen Segelschiffahrt
zu erreichende Botanybai; und die nähere Bekanntschaft mit den fremden Welt¬
teilen hat von ihren früher ins maßlose übertriebnen Schrecken und Gefahren
nur soviel übrig gelassen, als geeignet ist, einen gewissen Reiz nicht zum
wenigsten auch auf Verbrechernaturen auszuüben. Dem müßte dadurch ent¬
gegengetreten werden, daß Verbrecher zur harten Arbeit in der Form der
staatlichen Strafknechtschaft gezwungen werden.

Es blieben also nur die beiden andern Arten der von Professor Brück
empfohlnen Sträflingsbeschäftigung: Straffarmen und öffentliche Arbeiten.
Von der ersten gilt nun aber im allgemeinen dasselbe, was wir soeben über
die Einzelverwendung von Sträflingen in schon bestehenden Ansiedlungen ge¬
sagt haben. Professor Brück fügt seiner letzten Schrift als Anlage (III) hinzu
eine Auseinandersetzung mit dem Grafen Joachim Pfeil über dessen Aufsatz:
„Betrachtungen über die Anlegung einer Strafkolonie in Südwestafrika" (Kolo¬
niales Jahrbuch, Band IX, Seite 201). Es handelt sich dabei für Brück
hauptsächlich um die von ihm als zweifellos hingestellte Möglichkeit, selbst in
dem 835100 Geviertkilometer (also etwa doppelt so viel, als das Deutsche
Reich umfaßt) großen Gebiete von Deutschsüdwestafrika den erforderlichen
Raum für etwa 10000 Sträflinge, mit etwa 20 Morgen auf den Kopf, für
die Straffarmen zu finden und ferner von 20 bis 40 Hektar auf den Kopf
etwa für 5000 Sträflinge, die nach Verbüßung ihrer Strafzeit angesiedelt
werden sollen. Dabei haben übrigens beide Herren einen durch die Verwechs¬
lung von Morgen und Hektar verschuldeten Rechenfehler übersehen. Es handelt
sich im ganzen nicht um 400000 Morgen, sondern um mindestens 600000
bis eine Million Morgen! (200000 für 10000 Sträflinge mit je 20 Morgen,
und 5000 mal 20 oder 40 Hektar, von denen ja jeder 4 Morgen enthält,
400000 Morgen oder das Doppelte 800000 für die nach ihrer Entlassung
anzusiedelnden Sträflinge.) Wenn nun auch Brück meint, es handle sich zu¬
nächst gar nicht um diese großen Zahlen, sondern nur um einen kleinen, mit
ein Paar hundert Sträflingen zu machenden Versuch, so würde doch bei der
von ihm befürworteten gesetzlichen, also auf lange Dauer berechneten Einfüh¬
rung dieser Art von Deportation jedenfalls auch der Gesamtbedarf an Land
von vornherein ins Auge zu fassen sein. Und da ergiebt sich aus der Karte
zu Graf Pfeils „Orientirungsreise," daß überall an den erwähnten Gebieten
schon Nachbarn sein würden, die sich ganz entschieden gegen die Nachbarschaft
von Sträflingen zur Wehr setzen würden. Man kann ferner mit Brück darin
übereinstimmen, daß dieser Widerstand da, wo er aus dem englischen oder
portugiesischen Interessenkreise käme, für eine Maßregel des Deutschen Reichs


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/680>, abgerufen am 09.01.2025.