Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Einführung der Deportation in das deutsche Strafrecht

stand geleistet werden würde. Es ist auch kaum anzunehmen, daß sich diese
Abneigung gegen die Aufnahme von Sträflingen in den Kolonien selbst -- die,
wie wir schon gefehen haben, in Afrika wie in Australien schon einen geschicht¬
lichen Boden hat -- durch die Ausführungen des neuesten Bruckschen Buches
verringern werde. Brück will, was das wichtigste an der wirtschaftlichen
Seite seiner Vorschlage ist, nach § 1 der von ihm entworfnen "Ausführungs¬
verordnung zum Deportatiousgesetze" die Arbeit der Sträflinge nach drei
Richtungen hin verwerten lassen: 1. zu einzelnen Unternehmungen, 2. in be¬
sondern Straffarmen und 3. zu Arbeiten im öffentlichen Interesse, zu denen
er namentlich den Bau von Eisenbahnen, Hafenbauten und Berieselungsanlagen
in Südwestafrika rechnet. Ausführlich spricht sich dann die "Verordnung"
nur noch über die "Straffarmen" aus. Was unter den "einzelnen Unter¬
nehmungen" zu verstehen sei, darüber ist nichts bestimmtes gesagt. Es läßt
sich aber wohl annehmen, daß damit die Vergebung von Sträflingsarbeits¬
kräften an private Unternehmer, namentlich zum Ackerbau, also an schon an¬
sässige freie Kolonisten gemeint ist. Gerade diese, von Brück gegen die beiden
andern Arten etwas nebensächlich behandelte Form der Verwertung der Sträf¬
lingsarbeitskräfte ist die gewesen, die in der Geschichte der Kolonisation
Australiens die erfolgreichste Rolle gespielt hat. Man findet sie dort unter
der Bezeichnung der Assignation, und sie bestand darin, daß die in Votanybai
ausgeschifften Sträflinge einzeln dortigen Ansiedlern zu beliebiger Verwendung,
also als gezwungne Knechte, überwiesen wurden. Man rühmte ihr nach, daß
sie eine individualisirende Behandlung der Sträflinge ermögliche, ja geradezu
verlange, und daß dieser die zahlreichen günstigen Erfolge zu danken gewesen
seien, die sich in der nachhaltigen Besserung der Sträflinge und ihrer Um¬
wandlung in fleißige Arbeiter herausgestellt hätten, denen nach verbüßter oder
auch abgekürzter Strafzeit die Ansiedlung als freie selbständige Kolonisten nicht
nur erlaubt, sondern auch erleichtert werden konnte. Wenn man nun aber
wieder bedenkt, welche großen Vorteile diese Zuweisung von wohlfeilen Arbeits¬
kräften in einem Erdteil, wo diese so teuer und selten waren, in sich schloß,
so ist es doppelt merkwürdig, daß trotzdem die freien Ansiedler so bald auf
diese materielle Unterstützung nicht nur verzichteten, sondern sich mit Händen
und Füßen dagegen wehrten, wie sie dies dann in der Kapkolonie von vorn¬
herein thaten, obgleich man dort 1348 gerade eine solche Verteilung der vom
"Neptune" dorthin gebrachten etwa dreihundert Sträflinge beabsichtigte und in
Aussicht stellte. Schon hieraus könnten wir also den Beweis entnehmen, der
auch heute uoch durch Befragung jedes uninteressirten Kolonialfreundes zu er¬
halten ist, daß sich eine freie Besiedlung mit dieser Form ihrer Unterstützung
niemals befreunden wird. Außerdem scheint aber diese Form anch dem Straf¬
zweck viel zu wenig Rechnung zu tragen, als daß man jemals versuchen
könnte, sie an die Stelle einer harten und entehrenden Strafe zu setzen. Die
bloße Deportation hat aber auch von den Schrecken, die sie vor hundert


Die Einführung der Deportation in das deutsche Strafrecht

stand geleistet werden würde. Es ist auch kaum anzunehmen, daß sich diese
Abneigung gegen die Aufnahme von Sträflingen in den Kolonien selbst — die,
wie wir schon gefehen haben, in Afrika wie in Australien schon einen geschicht¬
lichen Boden hat — durch die Ausführungen des neuesten Bruckschen Buches
verringern werde. Brück will, was das wichtigste an der wirtschaftlichen
Seite seiner Vorschlage ist, nach § 1 der von ihm entworfnen „Ausführungs¬
verordnung zum Deportatiousgesetze" die Arbeit der Sträflinge nach drei
Richtungen hin verwerten lassen: 1. zu einzelnen Unternehmungen, 2. in be¬
sondern Straffarmen und 3. zu Arbeiten im öffentlichen Interesse, zu denen
er namentlich den Bau von Eisenbahnen, Hafenbauten und Berieselungsanlagen
in Südwestafrika rechnet. Ausführlich spricht sich dann die „Verordnung"
nur noch über die „Straffarmen" aus. Was unter den „einzelnen Unter¬
nehmungen" zu verstehen sei, darüber ist nichts bestimmtes gesagt. Es läßt
sich aber wohl annehmen, daß damit die Vergebung von Sträflingsarbeits¬
kräften an private Unternehmer, namentlich zum Ackerbau, also an schon an¬
sässige freie Kolonisten gemeint ist. Gerade diese, von Brück gegen die beiden
andern Arten etwas nebensächlich behandelte Form der Verwertung der Sträf¬
lingsarbeitskräfte ist die gewesen, die in der Geschichte der Kolonisation
Australiens die erfolgreichste Rolle gespielt hat. Man findet sie dort unter
der Bezeichnung der Assignation, und sie bestand darin, daß die in Votanybai
ausgeschifften Sträflinge einzeln dortigen Ansiedlern zu beliebiger Verwendung,
also als gezwungne Knechte, überwiesen wurden. Man rühmte ihr nach, daß
sie eine individualisirende Behandlung der Sträflinge ermögliche, ja geradezu
verlange, und daß dieser die zahlreichen günstigen Erfolge zu danken gewesen
seien, die sich in der nachhaltigen Besserung der Sträflinge und ihrer Um¬
wandlung in fleißige Arbeiter herausgestellt hätten, denen nach verbüßter oder
auch abgekürzter Strafzeit die Ansiedlung als freie selbständige Kolonisten nicht
nur erlaubt, sondern auch erleichtert werden konnte. Wenn man nun aber
wieder bedenkt, welche großen Vorteile diese Zuweisung von wohlfeilen Arbeits¬
kräften in einem Erdteil, wo diese so teuer und selten waren, in sich schloß,
so ist es doppelt merkwürdig, daß trotzdem die freien Ansiedler so bald auf
diese materielle Unterstützung nicht nur verzichteten, sondern sich mit Händen
und Füßen dagegen wehrten, wie sie dies dann in der Kapkolonie von vorn¬
herein thaten, obgleich man dort 1348 gerade eine solche Verteilung der vom
„Neptune" dorthin gebrachten etwa dreihundert Sträflinge beabsichtigte und in
Aussicht stellte. Schon hieraus könnten wir also den Beweis entnehmen, der
auch heute uoch durch Befragung jedes uninteressirten Kolonialfreundes zu er¬
halten ist, daß sich eine freie Besiedlung mit dieser Form ihrer Unterstützung
niemals befreunden wird. Außerdem scheint aber diese Form anch dem Straf¬
zweck viel zu wenig Rechnung zu tragen, als daß man jemals versuchen
könnte, sie an die Stelle einer harten und entehrenden Strafe zu setzen. Die
bloße Deportation hat aber auch von den Schrecken, die sie vor hundert


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0679" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227581"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Einführung der Deportation in das deutsche Strafrecht</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2421" prev="#ID_2420" next="#ID_2422"> stand geleistet werden würde.  Es ist auch kaum anzunehmen, daß sich diese<lb/>
Abneigung gegen die Aufnahme von Sträflingen in den Kolonien selbst &#x2014; die,<lb/>
wie wir schon gefehen haben, in Afrika wie in Australien schon einen geschicht¬<lb/>
lichen Boden hat &#x2014; durch die Ausführungen des neuesten Bruckschen Buches<lb/>
verringern werde.  Brück will, was das wichtigste an der wirtschaftlichen<lb/>
Seite seiner Vorschlage ist, nach § 1 der von ihm entworfnen &#x201E;Ausführungs¬<lb/>
verordnung zum Deportatiousgesetze" die Arbeit der Sträflinge nach drei<lb/>
Richtungen hin verwerten lassen: 1. zu einzelnen Unternehmungen, 2. in be¬<lb/>
sondern Straffarmen und 3. zu Arbeiten im öffentlichen Interesse, zu denen<lb/>
er namentlich den Bau von Eisenbahnen, Hafenbauten und Berieselungsanlagen<lb/>
in Südwestafrika rechnet.  Ausführlich spricht sich dann die &#x201E;Verordnung"<lb/>
nur noch über die &#x201E;Straffarmen" aus.  Was unter den &#x201E;einzelnen Unter¬<lb/>
nehmungen" zu verstehen sei, darüber ist nichts bestimmtes gesagt.  Es läßt<lb/>
sich aber wohl annehmen, daß damit die Vergebung von Sträflingsarbeits¬<lb/>
kräften an private Unternehmer, namentlich zum Ackerbau, also an schon an¬<lb/>
sässige freie Kolonisten gemeint ist. Gerade diese, von Brück gegen die beiden<lb/>
andern Arten etwas nebensächlich behandelte Form der Verwertung der Sträf¬<lb/>
lingsarbeitskräfte ist die gewesen, die in der Geschichte der Kolonisation<lb/>
Australiens die erfolgreichste Rolle gespielt hat.  Man findet sie dort unter<lb/>
der Bezeichnung der Assignation, und sie bestand darin, daß die in Votanybai<lb/>
ausgeschifften Sträflinge einzeln dortigen Ansiedlern zu beliebiger Verwendung,<lb/>
also als gezwungne Knechte, überwiesen wurden.  Man rühmte ihr nach, daß<lb/>
sie eine individualisirende Behandlung der Sträflinge ermögliche, ja geradezu<lb/>
verlange, und daß dieser die zahlreichen günstigen Erfolge zu danken gewesen<lb/>
seien, die sich in der nachhaltigen Besserung der Sträflinge und ihrer Um¬<lb/>
wandlung in fleißige Arbeiter herausgestellt hätten, denen nach verbüßter oder<lb/>
auch abgekürzter Strafzeit die Ansiedlung als freie selbständige Kolonisten nicht<lb/>
nur erlaubt, sondern auch erleichtert werden konnte.  Wenn man nun aber<lb/>
wieder bedenkt, welche großen Vorteile diese Zuweisung von wohlfeilen Arbeits¬<lb/>
kräften in einem Erdteil, wo diese so teuer und selten waren, in sich schloß,<lb/>
so ist es doppelt merkwürdig, daß trotzdem die freien Ansiedler so bald auf<lb/>
diese materielle Unterstützung nicht nur verzichteten, sondern sich mit Händen<lb/>
und Füßen dagegen wehrten, wie sie dies dann in der Kapkolonie von vorn¬<lb/>
herein thaten, obgleich man dort 1348 gerade eine solche Verteilung der vom<lb/>
&#x201E;Neptune" dorthin gebrachten etwa dreihundert Sträflinge beabsichtigte und in<lb/>
Aussicht stellte. Schon hieraus könnten wir also den Beweis entnehmen, der<lb/>
auch heute uoch durch Befragung jedes uninteressirten Kolonialfreundes zu er¬<lb/>
halten ist, daß sich eine freie Besiedlung mit dieser Form ihrer Unterstützung<lb/>
niemals befreunden wird. Außerdem scheint aber diese Form anch dem Straf¬<lb/>
zweck viel zu wenig Rechnung zu tragen, als daß man jemals versuchen<lb/>
könnte, sie an die Stelle einer harten und entehrenden Strafe zu setzen. Die<lb/>
bloße Deportation hat aber auch von den Schrecken, die sie vor hundert</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0679] Die Einführung der Deportation in das deutsche Strafrecht stand geleistet werden würde. Es ist auch kaum anzunehmen, daß sich diese Abneigung gegen die Aufnahme von Sträflingen in den Kolonien selbst — die, wie wir schon gefehen haben, in Afrika wie in Australien schon einen geschicht¬ lichen Boden hat — durch die Ausführungen des neuesten Bruckschen Buches verringern werde. Brück will, was das wichtigste an der wirtschaftlichen Seite seiner Vorschlage ist, nach § 1 der von ihm entworfnen „Ausführungs¬ verordnung zum Deportatiousgesetze" die Arbeit der Sträflinge nach drei Richtungen hin verwerten lassen: 1. zu einzelnen Unternehmungen, 2. in be¬ sondern Straffarmen und 3. zu Arbeiten im öffentlichen Interesse, zu denen er namentlich den Bau von Eisenbahnen, Hafenbauten und Berieselungsanlagen in Südwestafrika rechnet. Ausführlich spricht sich dann die „Verordnung" nur noch über die „Straffarmen" aus. Was unter den „einzelnen Unter¬ nehmungen" zu verstehen sei, darüber ist nichts bestimmtes gesagt. Es läßt sich aber wohl annehmen, daß damit die Vergebung von Sträflingsarbeits¬ kräften an private Unternehmer, namentlich zum Ackerbau, also an schon an¬ sässige freie Kolonisten gemeint ist. Gerade diese, von Brück gegen die beiden andern Arten etwas nebensächlich behandelte Form der Verwertung der Sträf¬ lingsarbeitskräfte ist die gewesen, die in der Geschichte der Kolonisation Australiens die erfolgreichste Rolle gespielt hat. Man findet sie dort unter der Bezeichnung der Assignation, und sie bestand darin, daß die in Votanybai ausgeschifften Sträflinge einzeln dortigen Ansiedlern zu beliebiger Verwendung, also als gezwungne Knechte, überwiesen wurden. Man rühmte ihr nach, daß sie eine individualisirende Behandlung der Sträflinge ermögliche, ja geradezu verlange, und daß dieser die zahlreichen günstigen Erfolge zu danken gewesen seien, die sich in der nachhaltigen Besserung der Sträflinge und ihrer Um¬ wandlung in fleißige Arbeiter herausgestellt hätten, denen nach verbüßter oder auch abgekürzter Strafzeit die Ansiedlung als freie selbständige Kolonisten nicht nur erlaubt, sondern auch erleichtert werden konnte. Wenn man nun aber wieder bedenkt, welche großen Vorteile diese Zuweisung von wohlfeilen Arbeits¬ kräften in einem Erdteil, wo diese so teuer und selten waren, in sich schloß, so ist es doppelt merkwürdig, daß trotzdem die freien Ansiedler so bald auf diese materielle Unterstützung nicht nur verzichteten, sondern sich mit Händen und Füßen dagegen wehrten, wie sie dies dann in der Kapkolonie von vorn¬ herein thaten, obgleich man dort 1348 gerade eine solche Verteilung der vom „Neptune" dorthin gebrachten etwa dreihundert Sträflinge beabsichtigte und in Aussicht stellte. Schon hieraus könnten wir also den Beweis entnehmen, der auch heute uoch durch Befragung jedes uninteressirten Kolonialfreundes zu er¬ halten ist, daß sich eine freie Besiedlung mit dieser Form ihrer Unterstützung niemals befreunden wird. Außerdem scheint aber diese Form anch dem Straf¬ zweck viel zu wenig Rechnung zu tragen, als daß man jemals versuchen könnte, sie an die Stelle einer harten und entehrenden Strafe zu setzen. Die bloße Deportation hat aber auch von den Schrecken, die sie vor hundert

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/679
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/679>, abgerufen am 08.01.2025.