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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Die Flottenfrage in England 1,332 bis 1.839

des größern Teils unsers Volkes mit dem Meere und bei dem Überwuchern
des Parteiwesens in unsrer innern Politik so große Schwierigkeiten zu über¬
winden haben, obgleich unsre Ansprüche ein die Bewilligungen durch das Volk
so sehr viel bescheidner sind.

Als die Gefahr des Ausbruchs eines Krieges zwischen England und Nu߬
land im Jahre 1878 vorübergegangen war, war man in England gegen die
Fortschritte der eignen Seemacht und gegen die der fremden Staaten wieder
gleichgiltig geworden. Im Gefühl der Sicherheit hatte man das in frühern
Jahren schon einmal auf 82 000 Mann gebrachte Personal der Marine all¬
mählich bis auf 58000 Mann heruntergehen lassen und war auch noch nicht
darangegangen, Hinterlader als Schisfsgeschütze einzuführen. Unter Gladstones
Leitung der Negiernngöpolitik (1880 bis 1835) war die Teilnahme des Volkes
fast ausschließlich den Fragen der innern Politik zugewandt, während die
Marinedebatten im Unterhause vor leeren Bänken geführt wurden. Einsichtigen
Staatsmännern aber wurde die Gleichgültigkeit des Volkes gegen die Be¬
ziehungen des Reiches zum Auslande und gegen den Stand der Flotte, sowie
die falsche Sparsamkeit der Regierung schließlich bedenklich. Im März 1832
erschien die von Lord Henry Gordon Lennox verfaßte Flugschrift ?in'Lvvg.mea,
1<'oro-u.'lo<zal, die schon darauf hinwies, daß die britische Flotte jeder denkbaren
Vereinigung von Flotten andrer Staaten überlegen sein müsse, und die den
Stand der britischen Seemacht als unzureichend bezeichnete. Bald darauf im
Januar 1883 wurde in der Zeitschrift 'I'bu Uinotsontl, Lcmwr/ ein von
Arnold Forster verfaßter Artikel Orr Position !l8 g, Fg,olu ?c"ver und im
l^nWneLring' die sehr geschickt geschriebne Broschüre 1b" bull^ ol' ?ort La<I
veröffentlicht, die den schlechten Stand scharf beleuchtete, den Englands Flotte
in einem Znkunftskriege haben würde. Die damalige Admiralität verteidigte
ihren Standpunkt und hielt es selbst 1884 noch nicht für angezeigt, ans eine
Vergrößerung des Marinebudgcts zu bringen, trotzdem daß Politiker und Fach¬
männer wiederholt auf das Heranwachsen der Seemacht Rußlands, Italiens
und vor allem Frankreichs hingewiesen hatten. Auch die Artikel der limss
waren noch fast bis Ende 1884 fa'rblvS und ohne Parteinahme. Das Volk
war zwar noch nicht für eine Flottenverstärknng gewonnen, aber doch schon
durch die verschiednen Flugschriften angeregt und dazu vorbereitet, kräftig
Stellung zu nehmen.

Lord Salisburh hatte im Juni 1884 bei einem Aufenthalt in Plymouth
in Marinekreisen viele Klagen über den unzureicheuden Stand der Flotte ge¬
hört und hatte seiner zustimmenden Ansicht bald darauf im Oberhause Aus¬
druck gegeben. Dies veranlaßte den auf Wunsch der Regierung sparsamen
ersten Lord der Admiralität, Lord Northbrvok, im Juli 1884 in wenig ge¬
schickter Weise den Versuch zu machen, unter Zugrundelegung des Tonnen-
gchalts der Flotte zu beweisen, daß diese völlig auf der Höhe der Zeit stehe.


Die Flottenfrage in England 1,332 bis 1.839

des größern Teils unsers Volkes mit dem Meere und bei dem Überwuchern
des Parteiwesens in unsrer innern Politik so große Schwierigkeiten zu über¬
winden haben, obgleich unsre Ansprüche ein die Bewilligungen durch das Volk
so sehr viel bescheidner sind.

Als die Gefahr des Ausbruchs eines Krieges zwischen England und Nu߬
land im Jahre 1878 vorübergegangen war, war man in England gegen die
Fortschritte der eignen Seemacht und gegen die der fremden Staaten wieder
gleichgiltig geworden. Im Gefühl der Sicherheit hatte man das in frühern
Jahren schon einmal auf 82 000 Mann gebrachte Personal der Marine all¬
mählich bis auf 58000 Mann heruntergehen lassen und war auch noch nicht
darangegangen, Hinterlader als Schisfsgeschütze einzuführen. Unter Gladstones
Leitung der Negiernngöpolitik (1880 bis 1835) war die Teilnahme des Volkes
fast ausschließlich den Fragen der innern Politik zugewandt, während die
Marinedebatten im Unterhause vor leeren Bänken geführt wurden. Einsichtigen
Staatsmännern aber wurde die Gleichgültigkeit des Volkes gegen die Be¬
ziehungen des Reiches zum Auslande und gegen den Stand der Flotte, sowie
die falsche Sparsamkeit der Regierung schließlich bedenklich. Im März 1832
erschien die von Lord Henry Gordon Lennox verfaßte Flugschrift ?in'Lvvg.mea,
1<'oro-u.'lo<zal, die schon darauf hinwies, daß die britische Flotte jeder denkbaren
Vereinigung von Flotten andrer Staaten überlegen sein müsse, und die den
Stand der britischen Seemacht als unzureichend bezeichnete. Bald darauf im
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Arnold Forster verfaßter Artikel Orr Position !l8 g, Fg,olu ?c»ver und im
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veröffentlicht, die den schlechten Stand scharf beleuchtete, den Englands Flotte
in einem Znkunftskriege haben würde. Die damalige Admiralität verteidigte
ihren Standpunkt und hielt es selbst 1884 noch nicht für angezeigt, ans eine
Vergrößerung des Marinebudgcts zu bringen, trotzdem daß Politiker und Fach¬
männer wiederholt auf das Heranwachsen der Seemacht Rußlands, Italiens
und vor allem Frankreichs hingewiesen hatten. Auch die Artikel der limss
waren noch fast bis Ende 1884 fa'rblvS und ohne Parteinahme. Das Volk
war zwar noch nicht für eine Flottenverstärknng gewonnen, aber doch schon
durch die verschiednen Flugschriften angeregt und dazu vorbereitet, kräftig
Stellung zu nehmen.

Lord Salisburh hatte im Juni 1884 bei einem Aufenthalt in Plymouth
in Marinekreisen viele Klagen über den unzureicheuden Stand der Flotte ge¬
hört und hatte seiner zustimmenden Ansicht bald darauf im Oberhause Aus¬
druck gegeben. Dies veranlaßte den auf Wunsch der Regierung sparsamen
ersten Lord der Admiralität, Lord Northbrvok, im Juli 1884 in wenig ge¬
schickter Weise den Versuch zu machen, unter Zugrundelegung des Tonnen-
gchalts der Flotte zu beweisen, daß diese völlig auf der Höhe der Zeit stehe.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/68>, abgerufen am 08.01.2025.