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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Die Flottenfrcige in England ^332 bis ^339

dem guten, aber ohne reges Nationalgefühl arbeitenden Hamburger, Hannoveraner,
Badenser, Bremenser u. s. w. das Fortkommen im Auslande erleichterte, ist
endgiltig verschwunden, seitdem es nur noch Deutsche giebt, die teilhaben möchten
am Gewinn des Welthandels, und die als Mitbewerber anfangen, unbequem
zu werden. Es ist die wachsende Bedeutung unsers Handels, es ist unser
Wohlstand, es ist die starke Zunahme unsrer Bevölkerung mit ihren Folgen,
die uns in diesem Zeitalter der Politik der Handelsinteressen am leichtesten
in Verwicklungen mit andern Staaten bringen können. Nur unsre Stärke zur
See kann uns den Frieden sichern, kann andre Staaten von unsrer Gleich¬
berechtigung überzeugen. Mit reiner Defensivkraft ist es nicht gethan; wer
sich in seiner Rüstung nur auf die Verteidigung beschränkt, bereitet seinen
Untergang vor; die beste Deckung ist der Hieb. Indem wir diese Dinge ins
Auge fassen, müssen wir an die zweckentsprechende Rüstung zur See denken.
Wir müssen von unsrer Seemacht wünschen, daß sie die heimischen Küsten,
den Handel im In- und Auslande schlitzen und unsre Handelswege in den
deutscheu Meeren offenhalten könne. Wir müssen ihr einen Teil des
Schutzes der Kolonien anvertrauen können und sie zum Vorstoß befähigen.
Der Zeitpunkt für den Beginn dieser Rüstung ist nicht fraglich; es ist die
höchste Zeit, die Verstärkung unsrer Flotte so schnell als möglich zu beginnen
und durchzuführen. In welcher Zeit wir es vermögen, darüber entscheidet die
Finanzlage des Reiches, der Wohlstand und die Einsicht seiner Bürger und
die Fähigkeit unsrer Privat- und Stacitswerfteu. Die Größe der Verstärkung
muß von den ständigen Aufgaben unsrer Seemacht und von der steigenden
Wichtigkeit der zu schützenden Güter abhängen. Vom politischen Standpunkt
ans muß man an unsre Seemacht die Anforderung stellen, daß sie als Waffe
so stark und schneidig sei, daß selbst dem stärksten Gegner ihr Bündnis mit
der Seemacht andrer Staaten bedenklich wird. Unsre Seemacht soll uns bündnis¬
fähiger zum Schutz gegen die Erdrückung durch übermächtige Weltreiche machen;
unsre Stärke zur See soll uus ein besserer Bürge für den Frieden sein als
unsre Schwäche.

Wir haben ganz andre Ziele bei unsrer Flottenvermehrung als das die
Meeresherrschaft der Welt beanspruchende England; unsre Ziele sind bescheiden
und unsrer Lage in Europa angepaßt. Es giebt kein lehrreicheres Beispiel
für uns, als die in den Jahren 1882 bis 1839 in England von den Freunden
der Seeherrschaft geübte Thätigkeit für die Vergrößerung der Flotte, die
in der Durchdringung des Seeverteidigungsgesetzes, der bekannten Mos,1
votonvv ^.vt 1889 gipfelte. Die Begründungen der englischen Marinevorlage
und ihre Besprechung in der Presse durch die Flottcufreunde und später durch
die Vertreter der Regierung sind so allgemein zutreffend, daß man sie unver¬
ändert auch auf unsre Verhältnisse anwenden kann. Es lohnt sich, einen Blick
auf diese Bewegung zu werfen, gerade weil wir bei der geringern Bekanntschaft


Die Flottenfrcige in England ^332 bis ^339

dem guten, aber ohne reges Nationalgefühl arbeitenden Hamburger, Hannoveraner,
Badenser, Bremenser u. s. w. das Fortkommen im Auslande erleichterte, ist
endgiltig verschwunden, seitdem es nur noch Deutsche giebt, die teilhaben möchten
am Gewinn des Welthandels, und die als Mitbewerber anfangen, unbequem
zu werden. Es ist die wachsende Bedeutung unsers Handels, es ist unser
Wohlstand, es ist die starke Zunahme unsrer Bevölkerung mit ihren Folgen,
die uns in diesem Zeitalter der Politik der Handelsinteressen am leichtesten
in Verwicklungen mit andern Staaten bringen können. Nur unsre Stärke zur
See kann uns den Frieden sichern, kann andre Staaten von unsrer Gleich¬
berechtigung überzeugen. Mit reiner Defensivkraft ist es nicht gethan; wer
sich in seiner Rüstung nur auf die Verteidigung beschränkt, bereitet seinen
Untergang vor; die beste Deckung ist der Hieb. Indem wir diese Dinge ins
Auge fassen, müssen wir an die zweckentsprechende Rüstung zur See denken.
Wir müssen von unsrer Seemacht wünschen, daß sie die heimischen Küsten,
den Handel im In- und Auslande schlitzen und unsre Handelswege in den
deutscheu Meeren offenhalten könne. Wir müssen ihr einen Teil des
Schutzes der Kolonien anvertrauen können und sie zum Vorstoß befähigen.
Der Zeitpunkt für den Beginn dieser Rüstung ist nicht fraglich; es ist die
höchste Zeit, die Verstärkung unsrer Flotte so schnell als möglich zu beginnen
und durchzuführen. In welcher Zeit wir es vermögen, darüber entscheidet die
Finanzlage des Reiches, der Wohlstand und die Einsicht seiner Bürger und
die Fähigkeit unsrer Privat- und Stacitswerfteu. Die Größe der Verstärkung
muß von den ständigen Aufgaben unsrer Seemacht und von der steigenden
Wichtigkeit der zu schützenden Güter abhängen. Vom politischen Standpunkt
ans muß man an unsre Seemacht die Anforderung stellen, daß sie als Waffe
so stark und schneidig sei, daß selbst dem stärksten Gegner ihr Bündnis mit
der Seemacht andrer Staaten bedenklich wird. Unsre Seemacht soll uns bündnis¬
fähiger zum Schutz gegen die Erdrückung durch übermächtige Weltreiche machen;
unsre Stärke zur See soll uus ein besserer Bürge für den Frieden sein als
unsre Schwäche.

Wir haben ganz andre Ziele bei unsrer Flottenvermehrung als das die
Meeresherrschaft der Welt beanspruchende England; unsre Ziele sind bescheiden
und unsrer Lage in Europa angepaßt. Es giebt kein lehrreicheres Beispiel
für uns, als die in den Jahren 1882 bis 1839 in England von den Freunden
der Seeherrschaft geübte Thätigkeit für die Vergrößerung der Flotte, die
in der Durchdringung des Seeverteidigungsgesetzes, der bekannten Mos,1
votonvv ^.vt 1889 gipfelte. Die Begründungen der englischen Marinevorlage
und ihre Besprechung in der Presse durch die Flottcufreunde und später durch
die Vertreter der Regierung sind so allgemein zutreffend, daß man sie unver¬
ändert auch auf unsre Verhältnisse anwenden kann. Es lohnt sich, einen Blick
auf diese Bewegung zu werfen, gerade weil wir bei der geringern Bekanntschaft


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/67>, abgerufen am 08.01.2025.