Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Ärztliche Plaudereien zum Beispiel eine Patientin, deren Krankheitsshmptome möglicherweise auf eine Herr Geheimrat Schweninger gehört auch -- wenn wir nicht sehr Wir glauben, daß die über alle Grenzen hinausgehende Bedeutung, die Ärztliche Plaudereien zum Beispiel eine Patientin, deren Krankheitsshmptome möglicherweise auf eine Herr Geheimrat Schweninger gehört auch — wenn wir nicht sehr Wir glauben, daß die über alle Grenzen hinausgehende Bedeutung, die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0655" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227557"/> <fw type="header" place="top"> Ärztliche Plaudereien</fw><lb/> <p xml:id="ID_2365" prev="#ID_2364"> zum Beispiel eine Patientin, deren Krankheitsshmptome möglicherweise auf eine<lb/> bösartige Uuterleibsgeschwulst hinwiesen, gar nicht speziell daraufhin unter- ,<lb/> suchen würde, antwortete er mir: „Nein, das würde ich nicht thun, denn ändern<lb/> ließe sich dadurch nichts, von einer Operation erhoffe ich in solchen Fällen<lb/> keinen Vorteil, und für die nötigen Verordnungen über Diät, Lebensweise,<lb/> Bäder — wie sie zu einer Verbesserung des Blutes und der Säfte nötig sind —<lb/> finde ich in den Allgemeinsymptomen der Patientin schon Anhaltspunkte genug."<lb/> Es war kurze Zeit nach der Hamburger Choleraepidemie, als diese Unter¬<lb/> redung stattfand, und natürlich kamen wir auch auf die soeben erloschne Seuche<lb/> zu sprechen. Schon damals machte sich in den Worten des Professors eine<lb/> starke Verachtung der ganzen Bazillentheorie bemerkbar, wie er das auch kürzlich<lb/> in München auf das schärfste betont hat. Die Bazillenfurcht, so sagte er mir,<lb/> ist ein Unsinn, denn gesunden Menschen thun sie nichts; die Epidemie in Ham¬<lb/> burg ist nicht eingeschleppt worden, sonder» durch örtliche und individuelle<lb/> Disposition entstanden, sie ist wegen Anhäufung dieser Disposition lawinen¬<lb/> artig angeschwollen und ebenso schnell erloschen, nachdem alle für das Gift<lb/> empfänglichen Menschen gestorben waren.</p><lb/> <p xml:id="ID_2366"> Herr Geheimrat Schweninger gehört auch — wenn wir nicht sehr<lb/> irren — dem Kaiserlichen Reichsgesnndheitsamt als außerordentliches Mitglied<lb/> an; vielleicht läßt er sich herbei, seine in München entwickelte Bazillentheorie<lb/> auch einmal in Form eines Plauderstündchens den wohl nur aus „Kochianern"<lb/> bestehenden ordentlichen Mitgliedern des Amtes vorzutragen, denn das würde<lb/> eine ebenso scharfe wie erheiternde Debatte geben, aus der wir gewöhnlichen^<lb/> Sterblichen viel lernen könnten. Eine mäßige Opposition gegenüber den Be¬<lb/> hauptungen der Herren Bakteriologen würde vielfachen Anklang finden; wenn<lb/> aber Herr Schweninger in München die Bazillen nicht Feinde, sondern<lb/> Freunde der Menschheit genannt hat, dann dürfte er mit dieser Anschauung<lb/> wohl glänzend isolirt dastehen. Treffend war denn auch der aus der Mitte<lb/> der Zuhörerschaft erfolgte Zuruf: „Nun, dann wollen wir Ihnen die Bazillen<lb/> schenken."</p><lb/> <p xml:id="ID_2367" next="#ID_2368"> Wir glauben, daß die über alle Grenzen hinausgehende Bedeutung, die<lb/> die Vertreter der Bakteriologie für ihre noch junge Wissenschaft in Anspruch<lb/> nehmen, bei Klinikern und Ärzten nicht überall Beifall findet, und wenn man<lb/> an dem Grundsatz festhält, daß die Bescheidenheit ein sichres Attribut der<lb/> Weisheit zu sein Pflegt, dann ist zu dieser reservirten Haltung Grund genug<lb/> vorhanden, denn die Herren Bakteriologen pflegen ein Selbstbewußtsein zur<lb/> Schau zu tragen, das auf denkende Menschen nicht immer den besten Eindruck<lb/> macht. Der mit dem Kochschen Tuberkulin getriebne Humbug ist noch unver¬<lb/> gessen. Man darf wohl sagen, daß niemand dem ärztlichen Stand in den<lb/> Augen des Publikums eine so tiefe Wunde geschlagen hat, wie Herr Koch mit<lb/> seiner so vorschnell in die Welt geschickten Entdeckung, der jetzt wohl nur noch<lb/> ein gewisser historischer Wert beizumessen ist, obwohl das Mittel erst kürzlich</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0655]
Ärztliche Plaudereien
zum Beispiel eine Patientin, deren Krankheitsshmptome möglicherweise auf eine
bösartige Uuterleibsgeschwulst hinwiesen, gar nicht speziell daraufhin unter- ,
suchen würde, antwortete er mir: „Nein, das würde ich nicht thun, denn ändern
ließe sich dadurch nichts, von einer Operation erhoffe ich in solchen Fällen
keinen Vorteil, und für die nötigen Verordnungen über Diät, Lebensweise,
Bäder — wie sie zu einer Verbesserung des Blutes und der Säfte nötig sind —
finde ich in den Allgemeinsymptomen der Patientin schon Anhaltspunkte genug."
Es war kurze Zeit nach der Hamburger Choleraepidemie, als diese Unter¬
redung stattfand, und natürlich kamen wir auch auf die soeben erloschne Seuche
zu sprechen. Schon damals machte sich in den Worten des Professors eine
starke Verachtung der ganzen Bazillentheorie bemerkbar, wie er das auch kürzlich
in München auf das schärfste betont hat. Die Bazillenfurcht, so sagte er mir,
ist ein Unsinn, denn gesunden Menschen thun sie nichts; die Epidemie in Ham¬
burg ist nicht eingeschleppt worden, sonder» durch örtliche und individuelle
Disposition entstanden, sie ist wegen Anhäufung dieser Disposition lawinen¬
artig angeschwollen und ebenso schnell erloschen, nachdem alle für das Gift
empfänglichen Menschen gestorben waren.
Herr Geheimrat Schweninger gehört auch — wenn wir nicht sehr
irren — dem Kaiserlichen Reichsgesnndheitsamt als außerordentliches Mitglied
an; vielleicht läßt er sich herbei, seine in München entwickelte Bazillentheorie
auch einmal in Form eines Plauderstündchens den wohl nur aus „Kochianern"
bestehenden ordentlichen Mitgliedern des Amtes vorzutragen, denn das würde
eine ebenso scharfe wie erheiternde Debatte geben, aus der wir gewöhnlichen^
Sterblichen viel lernen könnten. Eine mäßige Opposition gegenüber den Be¬
hauptungen der Herren Bakteriologen würde vielfachen Anklang finden; wenn
aber Herr Schweninger in München die Bazillen nicht Feinde, sondern
Freunde der Menschheit genannt hat, dann dürfte er mit dieser Anschauung
wohl glänzend isolirt dastehen. Treffend war denn auch der aus der Mitte
der Zuhörerschaft erfolgte Zuruf: „Nun, dann wollen wir Ihnen die Bazillen
schenken."
Wir glauben, daß die über alle Grenzen hinausgehende Bedeutung, die
die Vertreter der Bakteriologie für ihre noch junge Wissenschaft in Anspruch
nehmen, bei Klinikern und Ärzten nicht überall Beifall findet, und wenn man
an dem Grundsatz festhält, daß die Bescheidenheit ein sichres Attribut der
Weisheit zu sein Pflegt, dann ist zu dieser reservirten Haltung Grund genug
vorhanden, denn die Herren Bakteriologen pflegen ein Selbstbewußtsein zur
Schau zu tragen, das auf denkende Menschen nicht immer den besten Eindruck
macht. Der mit dem Kochschen Tuberkulin getriebne Humbug ist noch unver¬
gessen. Man darf wohl sagen, daß niemand dem ärztlichen Stand in den
Augen des Publikums eine so tiefe Wunde geschlagen hat, wie Herr Koch mit
seiner so vorschnell in die Welt geschickten Entdeckung, der jetzt wohl nur noch
ein gewisser historischer Wert beizumessen ist, obwohl das Mittel erst kürzlich
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