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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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ihrem Arzt auf einen Fehler aufmerksam gemacht wurden. Oft steht aber der
Arzt Verhältnissen gegenüber, wo das Verschweigen der Diagnose eine Ver¬
sündigung wäre. Gesetzt, es handelte sich um eine schwere Erkrankung, die
aber noch durch peinlichste Einhaltung einer entsprechenden Lebensweise in
Heilung übergehn kann; würde der Herr Professor auch in einem solchen Fall
seine Humanität soweit treiben, daß er über die Natur des Leidens kein Wort
verlauten ließe? Der infolge üppiger Lebensweise gichtisch gewordne oder an
Kreislaufstörungen leidende Schlemmer, der Säufer, der sich durch Alkohol¬
mißbrauch eine kranke Leber geholt hat, der Wüstling, der seinen Aus¬
schweifungen zu erliegen droht, der Diabetiker, dem seine Krankheit eine peinlich
strenge Diät vorschreibt -- sie alle können nur gerettet werden, wenn der
Arzt ihnen nichts verschweigt und mit ihnen alle Gefahren ihres Zustandes
bespricht!

Auch über Alkohol, Radfahren, Quecksilberkuren, Kneippsches Verfahren,
Massage, Theorie der Vererbung, Schweningcrkur soll der Herr Professor
gesprochen und sich dann besonders ausführlich über die Frage ausgelassen
haben: "Was denken Sie über die Befähigung und Zulassung der Frau zum
ärztlichen Studium?" Er hält die Frau nicht nur geistig, seelisch und körper¬
lich zu dem Beruf des Arztes befähigt, er meint sogar, daß die Frau durch
alle die Eigenschaften, die sie vor dem Manne voraus hat, durch Weiblichkeit,
Milde und Mitgefühl für die Leidenden dem ärztliche" Beruf neues Leben
einflößen und die männlichen Kollegen, denen im Laufe der Jahre die erwähnten
Eigenschaften verloren gingen, anspornen werde, es ihr gleich zu thun.

Das ist doch wirklich etwas starker Tabak! Wir glauben, daß uicht nur
Ärzte, sondern auch ernsthaft denkende Männer andrer Berufsklassen bei diesen
Worten des Herrn Professors bedenklich mit dem Kopf schütteln werden. Es
ist wahr, daß uns die Frauen an Milde und Mitgefühl überlegen sind; aber
ist es denn wirklich so kläglich mit der medizinischen Wissenschaft bestellt, daß
vor diesen mehr passiven Eigenschaften die Aktivität des Arztes ganz in den
Hintergrund treten soll, und giebt es nicht vielmehr Augenblicke, wo gerade
bei dem Arzt alles auf ein schnelles, energisches Eingreifen ankommt? Milde,
Mitgefühl, Humanität sind gewiß sehr schätzenswerte Eigenschaften, aber sie
bilden auch für den ärztlichen Stand nicht die Grundlage; der Arzt soll nicht
Krankenpfleger sein, sondern Hilfe bringen, soweit das nach menschlichem Wissen
möglich ist.

Ich habe keine Veranlassung, hier auf die Frauenfrage näher einzugehen,
deren Ziele ja bis zu einem gewissen Grade berechtigt sein mögen; aber eins
glaube ich, im Gegensatz zu Herrn Professor Schweninger, aussprechen zu
dürfen, nämlich daß sich von den vielen zur Verfügung stehenden Berufs¬
zweigen der ärztliche Beruf am wenigsten für die Frau eignen wird. Schon
das Studium und später noch mehr die Thätigkeit des Arztes stellen An-


ihrem Arzt auf einen Fehler aufmerksam gemacht wurden. Oft steht aber der
Arzt Verhältnissen gegenüber, wo das Verschweigen der Diagnose eine Ver¬
sündigung wäre. Gesetzt, es handelte sich um eine schwere Erkrankung, die
aber noch durch peinlichste Einhaltung einer entsprechenden Lebensweise in
Heilung übergehn kann; würde der Herr Professor auch in einem solchen Fall
seine Humanität soweit treiben, daß er über die Natur des Leidens kein Wort
verlauten ließe? Der infolge üppiger Lebensweise gichtisch gewordne oder an
Kreislaufstörungen leidende Schlemmer, der Säufer, der sich durch Alkohol¬
mißbrauch eine kranke Leber geholt hat, der Wüstling, der seinen Aus¬
schweifungen zu erliegen droht, der Diabetiker, dem seine Krankheit eine peinlich
strenge Diät vorschreibt — sie alle können nur gerettet werden, wenn der
Arzt ihnen nichts verschweigt und mit ihnen alle Gefahren ihres Zustandes
bespricht!

Auch über Alkohol, Radfahren, Quecksilberkuren, Kneippsches Verfahren,
Massage, Theorie der Vererbung, Schweningcrkur soll der Herr Professor
gesprochen und sich dann besonders ausführlich über die Frage ausgelassen
haben: „Was denken Sie über die Befähigung und Zulassung der Frau zum
ärztlichen Studium?" Er hält die Frau nicht nur geistig, seelisch und körper¬
lich zu dem Beruf des Arztes befähigt, er meint sogar, daß die Frau durch
alle die Eigenschaften, die sie vor dem Manne voraus hat, durch Weiblichkeit,
Milde und Mitgefühl für die Leidenden dem ärztliche« Beruf neues Leben
einflößen und die männlichen Kollegen, denen im Laufe der Jahre die erwähnten
Eigenschaften verloren gingen, anspornen werde, es ihr gleich zu thun.

Das ist doch wirklich etwas starker Tabak! Wir glauben, daß uicht nur
Ärzte, sondern auch ernsthaft denkende Männer andrer Berufsklassen bei diesen
Worten des Herrn Professors bedenklich mit dem Kopf schütteln werden. Es
ist wahr, daß uns die Frauen an Milde und Mitgefühl überlegen sind; aber
ist es denn wirklich so kläglich mit der medizinischen Wissenschaft bestellt, daß
vor diesen mehr passiven Eigenschaften die Aktivität des Arztes ganz in den
Hintergrund treten soll, und giebt es nicht vielmehr Augenblicke, wo gerade
bei dem Arzt alles auf ein schnelles, energisches Eingreifen ankommt? Milde,
Mitgefühl, Humanität sind gewiß sehr schätzenswerte Eigenschaften, aber sie
bilden auch für den ärztlichen Stand nicht die Grundlage; der Arzt soll nicht
Krankenpfleger sein, sondern Hilfe bringen, soweit das nach menschlichem Wissen
möglich ist.

Ich habe keine Veranlassung, hier auf die Frauenfrage näher einzugehen,
deren Ziele ja bis zu einem gewissen Grade berechtigt sein mögen; aber eins
glaube ich, im Gegensatz zu Herrn Professor Schweninger, aussprechen zu
dürfen, nämlich daß sich von den vielen zur Verfügung stehenden Berufs¬
zweigen der ärztliche Beruf am wenigsten für die Frau eignen wird. Schon
das Studium und später noch mehr die Thätigkeit des Arztes stellen An-


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[0651] ihrem Arzt auf einen Fehler aufmerksam gemacht wurden. Oft steht aber der Arzt Verhältnissen gegenüber, wo das Verschweigen der Diagnose eine Ver¬ sündigung wäre. Gesetzt, es handelte sich um eine schwere Erkrankung, die aber noch durch peinlichste Einhaltung einer entsprechenden Lebensweise in Heilung übergehn kann; würde der Herr Professor auch in einem solchen Fall seine Humanität soweit treiben, daß er über die Natur des Leidens kein Wort verlauten ließe? Der infolge üppiger Lebensweise gichtisch gewordne oder an Kreislaufstörungen leidende Schlemmer, der Säufer, der sich durch Alkohol¬ mißbrauch eine kranke Leber geholt hat, der Wüstling, der seinen Aus¬ schweifungen zu erliegen droht, der Diabetiker, dem seine Krankheit eine peinlich strenge Diät vorschreibt — sie alle können nur gerettet werden, wenn der Arzt ihnen nichts verschweigt und mit ihnen alle Gefahren ihres Zustandes bespricht! Auch über Alkohol, Radfahren, Quecksilberkuren, Kneippsches Verfahren, Massage, Theorie der Vererbung, Schweningcrkur soll der Herr Professor gesprochen und sich dann besonders ausführlich über die Frage ausgelassen haben: „Was denken Sie über die Befähigung und Zulassung der Frau zum ärztlichen Studium?" Er hält die Frau nicht nur geistig, seelisch und körper¬ lich zu dem Beruf des Arztes befähigt, er meint sogar, daß die Frau durch alle die Eigenschaften, die sie vor dem Manne voraus hat, durch Weiblichkeit, Milde und Mitgefühl für die Leidenden dem ärztliche« Beruf neues Leben einflößen und die männlichen Kollegen, denen im Laufe der Jahre die erwähnten Eigenschaften verloren gingen, anspornen werde, es ihr gleich zu thun. Das ist doch wirklich etwas starker Tabak! Wir glauben, daß uicht nur Ärzte, sondern auch ernsthaft denkende Männer andrer Berufsklassen bei diesen Worten des Herrn Professors bedenklich mit dem Kopf schütteln werden. Es ist wahr, daß uns die Frauen an Milde und Mitgefühl überlegen sind; aber ist es denn wirklich so kläglich mit der medizinischen Wissenschaft bestellt, daß vor diesen mehr passiven Eigenschaften die Aktivität des Arztes ganz in den Hintergrund treten soll, und giebt es nicht vielmehr Augenblicke, wo gerade bei dem Arzt alles auf ein schnelles, energisches Eingreifen ankommt? Milde, Mitgefühl, Humanität sind gewiß sehr schätzenswerte Eigenschaften, aber sie bilden auch für den ärztlichen Stand nicht die Grundlage; der Arzt soll nicht Krankenpfleger sein, sondern Hilfe bringen, soweit das nach menschlichem Wissen möglich ist. Ich habe keine Veranlassung, hier auf die Frauenfrage näher einzugehen, deren Ziele ja bis zu einem gewissen Grade berechtigt sein mögen; aber eins glaube ich, im Gegensatz zu Herrn Professor Schweninger, aussprechen zu dürfen, nämlich daß sich von den vielen zur Verfügung stehenden Berufs¬ zweigen der ärztliche Beruf am wenigsten für die Frau eignen wird. Schon das Studium und später noch mehr die Thätigkeit des Arztes stellen An-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/651>, abgerufen am 08.01.2025.