Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Arztliche Plaudereien ausdrücke denen sehr ähnlich, die aus dem diesjährigen Vortrag in die Öffent¬ Der Name "Schweninger" ist in Deutschland allen patriotischen Herzen Ich hatte schon nach dem Bericht über den Berliner Vortragsabend zur Billige Weisheit kann man seine damaligen Worte nennen, denn sie ent¬ Arztliche Plaudereien ausdrücke denen sehr ähnlich, die aus dem diesjährigen Vortrag in die Öffent¬ Der Name „Schweninger" ist in Deutschland allen patriotischen Herzen Ich hatte schon nach dem Bericht über den Berliner Vortragsabend zur Billige Weisheit kann man seine damaligen Worte nennen, denn sie ent¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0650" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227552"/> <fw type="header" place="top"> Arztliche Plaudereien</fw><lb/> <p xml:id="ID_2350" prev="#ID_2349"> ausdrücke denen sehr ähnlich, die aus dem diesjährigen Vortrag in die Öffent¬<lb/> lichkeit gelangt sind. Goldne Worte soll nach einer Zeitung der Herr Professor<lb/> gesprochen haben! wir wissen nicht, ob diese Worte wirklich alle so golden<lb/> waren, aber das wissen wir bestimmt, daß sie teilweise niedriger gehängt<lb/> werden müssen, nicht wegen ihres hohen innern Wertes, sondern weil sie den<lb/> Widerspruch jedes denkenden Menschen herausfordern!</p><lb/> <p xml:id="ID_2351"> Der Name „Schweninger" ist in Deutschland allen patriotischen Herzen<lb/> lieb und wert, denn es unterliegt keinem Zweifel, daß dieser Arzt durch seine<lb/> Energie und eigentümliche Persönlichkeit den Fürsten Bismarck von einer<lb/> Lebensweise abgebracht hat, die schon Anfang der achtziger Jahre das Leben<lb/> des Kanzlers ernstlich gefährdete. Ohne Schweninger hätten wir wahrscheinlich<lb/> keinen Bismarck mehr, und darin liegt das große Verdienst, das ihm jeder<lb/> Deutsche hoch anrechnen wird. Wenn ein solcher Mann zu einem großen<lb/> Publikum spricht, dann wird es viele gläubige Herzen geben; um so not¬<lb/> wendiger ist es aber, daß wenigstens alle die Worte nicht unwidersprochen<lb/> bleiben, die Verwirrung anrichten könnten.</p><lb/> <p xml:id="ID_2352"> Ich hatte schon nach dem Bericht über den Berliner Vortragsabend zur<lb/> Feder gegriffen, aber ich ließ die halbvollendete Arbeit wieder liegen, weil ich<lb/> mir sagte, es wird schon soviel zusammengeschrieben, daß es wirklich kein Ver¬<lb/> dienst ist, eine Sache noch breit zu treten, die das Publikum doch bald wieder<lb/> vergessen wird. Jetzt aber berichten die Zeitungen schon wieder von Plau¬<lb/> dereien, die in Wien und München stattgefunden haben sollen. Was der Herr<lb/> Geheimrat in Wien alles gesagt hat, erfahren wir nicht; es wird nur ziemlich<lb/> lakonisch gemeldet, daß er nach der zu einem milden Zweck abgehaltnen Plau¬<lb/> derei in seinem Hotel ein sehr gewinnreiches Nachspiel in Form von Konsul¬<lb/> tationen eröffnet habe. Aus München dagegen kommen ganz ausführliche<lb/> Berichte, die so merkwürdige Dinge zur Sprache bringen, daß ich eine Auf¬<lb/> klärung des Publikums für geboten halte, selbst auf die Gefahr hin, von dem<lb/> Herrn Geheimrat nicht als ebenbürtiger Gegner anerkannt zu werden. Hören<lb/> wir zuerst, worüber er in Berlin gesprochen hat!</p><lb/> <p xml:id="ID_2353" next="#ID_2354"> Billige Weisheit kann man seine damaligen Worte nennen, denn sie ent¬<lb/> halten im allgemeinen nur landläufige Wahrheiten und nebenbei einige Sen¬<lb/> tenzen, die bei einer nähern Beleuchtung schwerlich standhalten dürften. Daß die<lb/> Humanität eine Haupteigenschaft des Arztes sein soll, ist ein Ausspruch, dessen<lb/> Nichtigkeit bei Publikum und Ärzten schon seit Jahrhunderten anerkannt wird.<lb/> Gewagter scheint aber schon die Behauptung, daß sich jetzt die Wissenschaft<lb/> bei vielen Kollegen vor allem im Bangemachen zeige, und daß ein humaner<lb/> Arzt dem Kranken niemals die Natur seines Leidens verraten dürfe. Aller¬<lb/> dings werden vernünftige Ärzte ihren Patienten niemals ohne Grund die<lb/> Diagnose ins Gesicht sagen, und ich selbst kenne eine Reihe von Fällen, wo<lb/> sich Herzkranke erst von dem Augenblick an wirklich krank fühlten, als sie von</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0650]
Arztliche Plaudereien
ausdrücke denen sehr ähnlich, die aus dem diesjährigen Vortrag in die Öffent¬
lichkeit gelangt sind. Goldne Worte soll nach einer Zeitung der Herr Professor
gesprochen haben! wir wissen nicht, ob diese Worte wirklich alle so golden
waren, aber das wissen wir bestimmt, daß sie teilweise niedriger gehängt
werden müssen, nicht wegen ihres hohen innern Wertes, sondern weil sie den
Widerspruch jedes denkenden Menschen herausfordern!
Der Name „Schweninger" ist in Deutschland allen patriotischen Herzen
lieb und wert, denn es unterliegt keinem Zweifel, daß dieser Arzt durch seine
Energie und eigentümliche Persönlichkeit den Fürsten Bismarck von einer
Lebensweise abgebracht hat, die schon Anfang der achtziger Jahre das Leben
des Kanzlers ernstlich gefährdete. Ohne Schweninger hätten wir wahrscheinlich
keinen Bismarck mehr, und darin liegt das große Verdienst, das ihm jeder
Deutsche hoch anrechnen wird. Wenn ein solcher Mann zu einem großen
Publikum spricht, dann wird es viele gläubige Herzen geben; um so not¬
wendiger ist es aber, daß wenigstens alle die Worte nicht unwidersprochen
bleiben, die Verwirrung anrichten könnten.
Ich hatte schon nach dem Bericht über den Berliner Vortragsabend zur
Feder gegriffen, aber ich ließ die halbvollendete Arbeit wieder liegen, weil ich
mir sagte, es wird schon soviel zusammengeschrieben, daß es wirklich kein Ver¬
dienst ist, eine Sache noch breit zu treten, die das Publikum doch bald wieder
vergessen wird. Jetzt aber berichten die Zeitungen schon wieder von Plau¬
dereien, die in Wien und München stattgefunden haben sollen. Was der Herr
Geheimrat in Wien alles gesagt hat, erfahren wir nicht; es wird nur ziemlich
lakonisch gemeldet, daß er nach der zu einem milden Zweck abgehaltnen Plau¬
derei in seinem Hotel ein sehr gewinnreiches Nachspiel in Form von Konsul¬
tationen eröffnet habe. Aus München dagegen kommen ganz ausführliche
Berichte, die so merkwürdige Dinge zur Sprache bringen, daß ich eine Auf¬
klärung des Publikums für geboten halte, selbst auf die Gefahr hin, von dem
Herrn Geheimrat nicht als ebenbürtiger Gegner anerkannt zu werden. Hören
wir zuerst, worüber er in Berlin gesprochen hat!
Billige Weisheit kann man seine damaligen Worte nennen, denn sie ent¬
halten im allgemeinen nur landläufige Wahrheiten und nebenbei einige Sen¬
tenzen, die bei einer nähern Beleuchtung schwerlich standhalten dürften. Daß die
Humanität eine Haupteigenschaft des Arztes sein soll, ist ein Ausspruch, dessen
Nichtigkeit bei Publikum und Ärzten schon seit Jahrhunderten anerkannt wird.
Gewagter scheint aber schon die Behauptung, daß sich jetzt die Wissenschaft
bei vielen Kollegen vor allem im Bangemachen zeige, und daß ein humaner
Arzt dem Kranken niemals die Natur seines Leidens verraten dürfe. Aller¬
dings werden vernünftige Ärzte ihren Patienten niemals ohne Grund die
Diagnose ins Gesicht sagen, und ich selbst kenne eine Reihe von Fällen, wo
sich Herzkranke erst von dem Augenblick an wirklich krank fühlten, als sie von
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |