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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Reichsländische Zeitfragen

Würden die Mitglieder in der fortdauernden Anwesenheit des Statthalters das
Auge des Herrn auf sich ruhen fühle"; sie wissen als Anhänger französischer
Geistesschulung sehr genau, was 1'osck 6u irnMriz bedeutet. Es wäre die
Rückkehr zu dem, was durch die Statthalterverfassung beabsichtigt war, aber
in der Entwicklung verloren gegangen ist, die ich in meinem vorjährigen
Grenzbotenaufsatz über Kleinstaaterei und Sondergeist im Reichslnnde dargelegt
habe. Diese Entwicklung macht aus Elsaß-Lothringen etwas ganz andres, als
das deutsche Reichsland sein darf, nämlich einen nbsonderungssüchtigen Klein¬
staat mit französischen Allüren, wo sich überdies die verschiednen "Faktoren"
des Staatslebens immer planwidriger zur Gesamtheit und zu einander stellen.
Der Statthalter wird immer ausschließlicher stellvertretender Landesherr, die
Ministerialdirektoren steigen zu wirklichen Ministern auf, und der Landesaus¬
schuß, den sein Schöpfer, Fürst Bismarck, als Spitze der Selbstverwaltung
dachte, macht das Verwalter immer schwerer und erhebt Ansprüche, zu denen
weder unsre räumlichen und staatsrechtlichen Verhältnisse stimmen, noch sein
geistiges Kapital, noch seine zunehmende UnPopularität. Die Träger der
eigentlichen Staatsarbeit ferner, die Beamten, lassen sich, je länger je mehr,
zu "Mole^of herunterdrücken. Die nicht notable Bevölkerung endlich bleibt
unter solchen Umstünden, sollten ihr auch noch mehr "Freiheiten" gewährt
werden, in allem der leidende Teil. Es ist eine arg verkehrte Welt, aber,
nicht zu übersehen, verkehrt im Sinne der Volkswohlfahrt, der Staatsautorität
und deutscher Fortschritte. So sieht es aus, wenn man deu Dingen auf den
Grund geht, die Oberflüche hat natürlich ein erfreulicheres Gesicht und nimmt
sich sogar manchmal recht hübsch aus, z. B dann, wenn der Kaiser ins Land
kommt.

Auch in diesem Jahre hat der Statthalter den Landesausschuß zu sich
geladen und die dabei übliche Rede gehalten. Er hat jedoch das politische
Gebiet diesmal nur allgemein gestreift und in der herzlichen Art, die ihm
natürlich ist, die Gelegenheit darauf zugespitzt, deu Präsidenten des Landes¬
ausschusses zu feiern, der als solcher mit der von ihm geleiteten Versammlung
gerade jetzt fünfundzwanzig Jahre thätig ist. Herr Dr. von Schlumberger
verdient in vieler Hinsicht das gespendete Lob, denn er ist ein tüchtiger Prä¬
sident, und jedenfalls der beste für die eigentümlich zusammengesetzte Vertretung.
Ganz ähnlich wie Herr von Puttkamer sür unsern Landesausschuß der beste
Staatssekretär ist. Beide Herren bewegen sich auf diesem nicht leichten Boden
mit bewunderungswürdiger Sicherheit: Herr von Schlumberger mit ansprechenden
Humor, Herr von Puttkamer mit halb versteckter, halb verdrossen herausge¬
kehrter Überlegenheit im Debattiren. Aber wie in unsern Reihen kaum ein
ernst denkender Mann zu finden ist, der die Amtsführung Herrn von Putt-
kamers für einen Segen hielte, so ist unser Landesansschnßpräsident wohl der
für uns brauchbarste und bequemste der Notabeln, aber im entscheidenden


Reichsländische Zeitfragen

Würden die Mitglieder in der fortdauernden Anwesenheit des Statthalters das
Auge des Herrn auf sich ruhen fühle«; sie wissen als Anhänger französischer
Geistesschulung sehr genau, was 1'osck 6u irnMriz bedeutet. Es wäre die
Rückkehr zu dem, was durch die Statthalterverfassung beabsichtigt war, aber
in der Entwicklung verloren gegangen ist, die ich in meinem vorjährigen
Grenzbotenaufsatz über Kleinstaaterei und Sondergeist im Reichslnnde dargelegt
habe. Diese Entwicklung macht aus Elsaß-Lothringen etwas ganz andres, als
das deutsche Reichsland sein darf, nämlich einen nbsonderungssüchtigen Klein¬
staat mit französischen Allüren, wo sich überdies die verschiednen „Faktoren"
des Staatslebens immer planwidriger zur Gesamtheit und zu einander stellen.
Der Statthalter wird immer ausschließlicher stellvertretender Landesherr, die
Ministerialdirektoren steigen zu wirklichen Ministern auf, und der Landesaus¬
schuß, den sein Schöpfer, Fürst Bismarck, als Spitze der Selbstverwaltung
dachte, macht das Verwalter immer schwerer und erhebt Ansprüche, zu denen
weder unsre räumlichen und staatsrechtlichen Verhältnisse stimmen, noch sein
geistiges Kapital, noch seine zunehmende UnPopularität. Die Träger der
eigentlichen Staatsarbeit ferner, die Beamten, lassen sich, je länger je mehr,
zu «Mole^of herunterdrücken. Die nicht notable Bevölkerung endlich bleibt
unter solchen Umstünden, sollten ihr auch noch mehr „Freiheiten" gewährt
werden, in allem der leidende Teil. Es ist eine arg verkehrte Welt, aber,
nicht zu übersehen, verkehrt im Sinne der Volkswohlfahrt, der Staatsautorität
und deutscher Fortschritte. So sieht es aus, wenn man deu Dingen auf den
Grund geht, die Oberflüche hat natürlich ein erfreulicheres Gesicht und nimmt
sich sogar manchmal recht hübsch aus, z. B dann, wenn der Kaiser ins Land
kommt.

Auch in diesem Jahre hat der Statthalter den Landesausschuß zu sich
geladen und die dabei übliche Rede gehalten. Er hat jedoch das politische
Gebiet diesmal nur allgemein gestreift und in der herzlichen Art, die ihm
natürlich ist, die Gelegenheit darauf zugespitzt, deu Präsidenten des Landes¬
ausschusses zu feiern, der als solcher mit der von ihm geleiteten Versammlung
gerade jetzt fünfundzwanzig Jahre thätig ist. Herr Dr. von Schlumberger
verdient in vieler Hinsicht das gespendete Lob, denn er ist ein tüchtiger Prä¬
sident, und jedenfalls der beste für die eigentümlich zusammengesetzte Vertretung.
Ganz ähnlich wie Herr von Puttkamer sür unsern Landesausschuß der beste
Staatssekretär ist. Beide Herren bewegen sich auf diesem nicht leichten Boden
mit bewunderungswürdiger Sicherheit: Herr von Schlumberger mit ansprechenden
Humor, Herr von Puttkamer mit halb versteckter, halb verdrossen herausge¬
kehrter Überlegenheit im Debattiren. Aber wie in unsern Reihen kaum ein
ernst denkender Mann zu finden ist, der die Amtsführung Herrn von Putt-
kamers für einen Segen hielte, so ist unser Landesansschnßpräsident wohl der
für uns brauchbarste und bequemste der Notabeln, aber im entscheidenden


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[0642] Reichsländische Zeitfragen Würden die Mitglieder in der fortdauernden Anwesenheit des Statthalters das Auge des Herrn auf sich ruhen fühle«; sie wissen als Anhänger französischer Geistesschulung sehr genau, was 1'osck 6u irnMriz bedeutet. Es wäre die Rückkehr zu dem, was durch die Statthalterverfassung beabsichtigt war, aber in der Entwicklung verloren gegangen ist, die ich in meinem vorjährigen Grenzbotenaufsatz über Kleinstaaterei und Sondergeist im Reichslnnde dargelegt habe. Diese Entwicklung macht aus Elsaß-Lothringen etwas ganz andres, als das deutsche Reichsland sein darf, nämlich einen nbsonderungssüchtigen Klein¬ staat mit französischen Allüren, wo sich überdies die verschiednen „Faktoren" des Staatslebens immer planwidriger zur Gesamtheit und zu einander stellen. Der Statthalter wird immer ausschließlicher stellvertretender Landesherr, die Ministerialdirektoren steigen zu wirklichen Ministern auf, und der Landesaus¬ schuß, den sein Schöpfer, Fürst Bismarck, als Spitze der Selbstverwaltung dachte, macht das Verwalter immer schwerer und erhebt Ansprüche, zu denen weder unsre räumlichen und staatsrechtlichen Verhältnisse stimmen, noch sein geistiges Kapital, noch seine zunehmende UnPopularität. Die Träger der eigentlichen Staatsarbeit ferner, die Beamten, lassen sich, je länger je mehr, zu «Mole^of herunterdrücken. Die nicht notable Bevölkerung endlich bleibt unter solchen Umstünden, sollten ihr auch noch mehr „Freiheiten" gewährt werden, in allem der leidende Teil. Es ist eine arg verkehrte Welt, aber, nicht zu übersehen, verkehrt im Sinne der Volkswohlfahrt, der Staatsautorität und deutscher Fortschritte. So sieht es aus, wenn man deu Dingen auf den Grund geht, die Oberflüche hat natürlich ein erfreulicheres Gesicht und nimmt sich sogar manchmal recht hübsch aus, z. B dann, wenn der Kaiser ins Land kommt. Auch in diesem Jahre hat der Statthalter den Landesausschuß zu sich geladen und die dabei übliche Rede gehalten. Er hat jedoch das politische Gebiet diesmal nur allgemein gestreift und in der herzlichen Art, die ihm natürlich ist, die Gelegenheit darauf zugespitzt, deu Präsidenten des Landes¬ ausschusses zu feiern, der als solcher mit der von ihm geleiteten Versammlung gerade jetzt fünfundzwanzig Jahre thätig ist. Herr Dr. von Schlumberger verdient in vieler Hinsicht das gespendete Lob, denn er ist ein tüchtiger Prä¬ sident, und jedenfalls der beste für die eigentümlich zusammengesetzte Vertretung. Ganz ähnlich wie Herr von Puttkamer sür unsern Landesausschuß der beste Staatssekretär ist. Beide Herren bewegen sich auf diesem nicht leichten Boden mit bewunderungswürdiger Sicherheit: Herr von Schlumberger mit ansprechenden Humor, Herr von Puttkamer mit halb versteckter, halb verdrossen herausge¬ kehrter Überlegenheit im Debattiren. Aber wie in unsern Reihen kaum ein ernst denkender Mann zu finden ist, der die Amtsführung Herrn von Putt- kamers für einen Segen hielte, so ist unser Landesansschnßpräsident wohl der für uns brauchbarste und bequemste der Notabeln, aber im entscheidenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/642>, abgerufen am 08.01.2025.