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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Reichsländische Zeitfragen

sich in seiner Eigenschaft als Minister des Kaisers auszulassen. Daß dabei
diese Eigenschaft mehr hervortritt als die halb landesherrliche Stellung des
Statthalters, ist von unsrer Presse richtig erkannt worden, denn voriges Jahr,
wo der Statthalter einige sehr wohlgemeinte, aber eindringliche und scharfe
Bemerkungen gegen die maßlose Preßhetze einflocht, hat der stellvertretende
Präsident Jciunez heftige Vorwürfe zu lesen bekommen, weil er in seiner Ant¬
wort nicht die angegriffne "Freiheit" verteidigt habe. Auch im Landesaus¬
schuß ist die Sache, wenn auch mehr indirekt, zur Sprache gekommen, und
der Staatssekretär von Puttkamer hat "Chcnnade" geblasen. Übrigens ver¬
geblich, denn die Bewegung "zittert" noch jetzt manchmal nach.

Es handelt sich um eine Form, wie der Statthalter seine ministeriell
verantwortliche Meinung äußert, es gilt also davon wie von jeder Form das
Goethische Wort, daß alles, was besteht, wert ist, daß es zu Grunde geht.
Das Wort trifft auf diese Form sogar in besonderm Maße zu, denn als
regelmäßige Einwirkung kann sie nicht dienen, und bei ihrer Seltenheit kann
sie nicht wirken; sie zieht, sobald ihr, wie voriges Jahr, ein kräftiger Inhalt
gegeben wird, den Statthalter in den Tagesstreit und in dessen häßliche Folgen,
ohne daß der sachliche Gewinn entsprechen könnte. Dieser verflüchtigt sich
schnell, während jene fortdauern und sich mit der Zeit eher verschärfen. Es
ist nicht anders: wenn der Statthalter auch als Minister wirken will, und
das soll er nach dem Zweck seines Amts, so muß er an den Ministertisch
des Landesausschusses; kann er sich dazu nicht entschließen, so behält er vom
Minister nur die rechtliche und politische Verantwortlichkeit, aber nicht das
Wesen des ministeriellen Einflusses. Dieses muß er dann dem Staatssekretär
und den Unterstaatssekretären überlassen, und da kann es nur schaden, wenn
er selber gleichsam stoßweise als Minister auftritt, wie alles, was den Eindruck
der Laune oder Velleität macht, die notwendige Stetigkeit des öffentlichen
Lebens beeinträchtigt. Im Landesausschuß würde sich natürlich die Aktivität
des Statthalters auf wichtige Fragen beschränken, und auch da wäre es nicht
geboten, oft einzugreifen, das verbietet sich schon wegen der fast landesfürst¬
lichen Würde des Statthalters; wohl aber wäre ein ähnliches Verhalten an¬
gebracht, wie es der jetzige Reichskanzler im Reichstage beobachtet. Da er¬
scheint es vielen anfechtbar, als Vorbild für unsre Verhältnisse dagegen ist es
mustergiltig, und es ist zu bedauern, daß der Reichskanzler als Statthalter
von seinem eignen Rezept keinen Gebrauch gemacht hat. Dem Landesausschuß
und sich selbst würden der Staatssekretär und die Unterstaatssekretäre wieder
als das vorkommen, was sie staatsrechtlich sind und politisch gedacht waren:
als Ministergehilfen, nicht als Minister, als Adjutanten des Statthalters,
uicht als seine Vertreter. Auf den Lcmdesausschnß insbesondre würde eine
kurze, Wort für Wort überdachte, von jedem Überschwang sreie Rede des
kaiserlichen Stellvertreters als Herrenwort wirken. Auch nach der Rede


Reichsländische Zeitfragen

sich in seiner Eigenschaft als Minister des Kaisers auszulassen. Daß dabei
diese Eigenschaft mehr hervortritt als die halb landesherrliche Stellung des
Statthalters, ist von unsrer Presse richtig erkannt worden, denn voriges Jahr,
wo der Statthalter einige sehr wohlgemeinte, aber eindringliche und scharfe
Bemerkungen gegen die maßlose Preßhetze einflocht, hat der stellvertretende
Präsident Jciunez heftige Vorwürfe zu lesen bekommen, weil er in seiner Ant¬
wort nicht die angegriffne „Freiheit" verteidigt habe. Auch im Landesaus¬
schuß ist die Sache, wenn auch mehr indirekt, zur Sprache gekommen, und
der Staatssekretär von Puttkamer hat „Chcnnade" geblasen. Übrigens ver¬
geblich, denn die Bewegung „zittert" noch jetzt manchmal nach.

Es handelt sich um eine Form, wie der Statthalter seine ministeriell
verantwortliche Meinung äußert, es gilt also davon wie von jeder Form das
Goethische Wort, daß alles, was besteht, wert ist, daß es zu Grunde geht.
Das Wort trifft auf diese Form sogar in besonderm Maße zu, denn als
regelmäßige Einwirkung kann sie nicht dienen, und bei ihrer Seltenheit kann
sie nicht wirken; sie zieht, sobald ihr, wie voriges Jahr, ein kräftiger Inhalt
gegeben wird, den Statthalter in den Tagesstreit und in dessen häßliche Folgen,
ohne daß der sachliche Gewinn entsprechen könnte. Dieser verflüchtigt sich
schnell, während jene fortdauern und sich mit der Zeit eher verschärfen. Es
ist nicht anders: wenn der Statthalter auch als Minister wirken will, und
das soll er nach dem Zweck seines Amts, so muß er an den Ministertisch
des Landesausschusses; kann er sich dazu nicht entschließen, so behält er vom
Minister nur die rechtliche und politische Verantwortlichkeit, aber nicht das
Wesen des ministeriellen Einflusses. Dieses muß er dann dem Staatssekretär
und den Unterstaatssekretären überlassen, und da kann es nur schaden, wenn
er selber gleichsam stoßweise als Minister auftritt, wie alles, was den Eindruck
der Laune oder Velleität macht, die notwendige Stetigkeit des öffentlichen
Lebens beeinträchtigt. Im Landesausschuß würde sich natürlich die Aktivität
des Statthalters auf wichtige Fragen beschränken, und auch da wäre es nicht
geboten, oft einzugreifen, das verbietet sich schon wegen der fast landesfürst¬
lichen Würde des Statthalters; wohl aber wäre ein ähnliches Verhalten an¬
gebracht, wie es der jetzige Reichskanzler im Reichstage beobachtet. Da er¬
scheint es vielen anfechtbar, als Vorbild für unsre Verhältnisse dagegen ist es
mustergiltig, und es ist zu bedauern, daß der Reichskanzler als Statthalter
von seinem eignen Rezept keinen Gebrauch gemacht hat. Dem Landesausschuß
und sich selbst würden der Staatssekretär und die Unterstaatssekretäre wieder
als das vorkommen, was sie staatsrechtlich sind und politisch gedacht waren:
als Ministergehilfen, nicht als Minister, als Adjutanten des Statthalters,
uicht als seine Vertreter. Auf den Lcmdesausschnß insbesondre würde eine
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kaiserlichen Stellvertreters als Herrenwort wirken. Auch nach der Rede


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[0641] Reichsländische Zeitfragen sich in seiner Eigenschaft als Minister des Kaisers auszulassen. Daß dabei diese Eigenschaft mehr hervortritt als die halb landesherrliche Stellung des Statthalters, ist von unsrer Presse richtig erkannt worden, denn voriges Jahr, wo der Statthalter einige sehr wohlgemeinte, aber eindringliche und scharfe Bemerkungen gegen die maßlose Preßhetze einflocht, hat der stellvertretende Präsident Jciunez heftige Vorwürfe zu lesen bekommen, weil er in seiner Ant¬ wort nicht die angegriffne „Freiheit" verteidigt habe. Auch im Landesaus¬ schuß ist die Sache, wenn auch mehr indirekt, zur Sprache gekommen, und der Staatssekretär von Puttkamer hat „Chcnnade" geblasen. Übrigens ver¬ geblich, denn die Bewegung „zittert" noch jetzt manchmal nach. Es handelt sich um eine Form, wie der Statthalter seine ministeriell verantwortliche Meinung äußert, es gilt also davon wie von jeder Form das Goethische Wort, daß alles, was besteht, wert ist, daß es zu Grunde geht. Das Wort trifft auf diese Form sogar in besonderm Maße zu, denn als regelmäßige Einwirkung kann sie nicht dienen, und bei ihrer Seltenheit kann sie nicht wirken; sie zieht, sobald ihr, wie voriges Jahr, ein kräftiger Inhalt gegeben wird, den Statthalter in den Tagesstreit und in dessen häßliche Folgen, ohne daß der sachliche Gewinn entsprechen könnte. Dieser verflüchtigt sich schnell, während jene fortdauern und sich mit der Zeit eher verschärfen. Es ist nicht anders: wenn der Statthalter auch als Minister wirken will, und das soll er nach dem Zweck seines Amts, so muß er an den Ministertisch des Landesausschusses; kann er sich dazu nicht entschließen, so behält er vom Minister nur die rechtliche und politische Verantwortlichkeit, aber nicht das Wesen des ministeriellen Einflusses. Dieses muß er dann dem Staatssekretär und den Unterstaatssekretären überlassen, und da kann es nur schaden, wenn er selber gleichsam stoßweise als Minister auftritt, wie alles, was den Eindruck der Laune oder Velleität macht, die notwendige Stetigkeit des öffentlichen Lebens beeinträchtigt. Im Landesausschuß würde sich natürlich die Aktivität des Statthalters auf wichtige Fragen beschränken, und auch da wäre es nicht geboten, oft einzugreifen, das verbietet sich schon wegen der fast landesfürst¬ lichen Würde des Statthalters; wohl aber wäre ein ähnliches Verhalten an¬ gebracht, wie es der jetzige Reichskanzler im Reichstage beobachtet. Da er¬ scheint es vielen anfechtbar, als Vorbild für unsre Verhältnisse dagegen ist es mustergiltig, und es ist zu bedauern, daß der Reichskanzler als Statthalter von seinem eignen Rezept keinen Gebrauch gemacht hat. Dem Landesausschuß und sich selbst würden der Staatssekretär und die Unterstaatssekretäre wieder als das vorkommen, was sie staatsrechtlich sind und politisch gedacht waren: als Ministergehilfen, nicht als Minister, als Adjutanten des Statthalters, uicht als seine Vertreter. Auf den Lcmdesausschnß insbesondre würde eine kurze, Wort für Wort überdachte, von jedem Überschwang sreie Rede des kaiserlichen Stellvertreters als Herrenwort wirken. Auch nach der Rede

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/641>, abgerufen am 07.01.2025.