Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches ihm auch das Bedürfnis der Verdeutlichung und Verdeutschung eingestellt haben, Aber sehr würde man irren, wenn man mit der vvrgctragnen Betrachtung Und das kommt in einem Atem heraus mit den oben angezognen Bezeich¬ Es ist das nicht die einzige Unklarheit in dem der Sammlung vorausstehenden Maßgebliches und Unmaßgebliches ihm auch das Bedürfnis der Verdeutlichung und Verdeutschung eingestellt haben, Aber sehr würde man irren, wenn man mit der vvrgctragnen Betrachtung Und das kommt in einem Atem heraus mit den oben angezognen Bezeich¬ Es ist das nicht die einzige Unklarheit in dem der Sammlung vorausstehenden <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0062" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226964"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_172" prev="#ID_171"> ihm auch das Bedürfnis der Verdeutlichung und Verdeutschung eingestellt haben,<lb/> das durch die Hinzufügung des gleichbedeutenden einheimischen Begriffs für ihn be¬<lb/> friedigt und für uns — bezeugt ist. Also ein Vorgang, der dem von Kluge<lb/> beobachteten ganz gleich verlauft. Und wer Kluges wohlgegründete Auffassung<lb/> kennt, der wird in dieser Lutherschen Sprechweise dieselbe natürliche, unwillkürliche<lb/> Gegenwirkung des heimischen Sprachgefühls vernehmen, die keineswegs das Fremde<lb/> einfach abstößt, sondern es umgestaltend sich wirklich anzueignen anschickt. In dem<lb/> Sinne könnte gerade von diesem Vorgange der Sprachgeschichte das von Sandvoß<lb/> beigebrachte Wort Goethes gelten: „Die Gewalt einer Sprache ist nicht, daß sie<lb/> das Fremde abweist, sondern daß sie es verschlingt." Und dem ebenfalls von ihm<lb/> angeführten Ausspruche V. Hehns: „Viel Fremdwörter, viel Kulturverkehr, viel<lb/> entlehnt, viel gelernt" schadet der Zusatz nicht: „Noch besser aber, als bloß geborgt<lb/> ist wirklich angeeignet."</p><lb/> <p xml:id="ID_173"> Aber sehr würde man irren, wenn man mit der vvrgctragnen Betrachtung<lb/> auch die Ansicht von Fr. Sandvoß getroffen zu haben meinte. Weit gefehlt; er<lb/> macht von seiner Sammlung eine ganz andre Nutzanwendung. Er folgert aus ihr,<lb/> daß Luther ein geschmorner Feind der „heutigen zum Teil grauenvollen Verrohung<lb/> und Versimpelung unsrer Sprache" sein müßte, will sagen: der Arbeit des All¬<lb/> gemeinen deutschen Sprachvereins.</p><lb/> <p xml:id="ID_174"> Und das kommt in einem Atem heraus mit den oben angezognen Bezeich¬<lb/> nungen jener Fremdwörter als „Quelle der Bereicherung und Klärung unsrer<lb/> Begriffe," als Wecker und Erhalter des deutschen Sprachgefühls! In welchem andern<lb/> als dem Klngeschen Sinne das gemeint sein könnte, wie Sandvoß diese Äußerung<lb/> mit der erwähnten Folgerung innerlich zusammenbringt, kurz, was den innern Zu¬<lb/> sammenhang zwischen der nützlichen Beispielsammlung und dem unnützen Wutanfall<lb/> gegen deu Sprachverein bildet, das sage ich nicht. Denn ich weiß es nicht. Aber<lb/> Sandvoß selber sagt es auch nicht. Im Gegenteil, er sagt mehreres, wonach man ihn<lb/> vielmehr für ganz einig rin uns halten möchte. So sieht auch er in dem von<lb/> Luther dem Fremdwvrte nachträglich zugefügten deutschen einen Versuch, den<lb/> fremden Begriff seinem Volke „annehmbar zu machen," ja noch mehr — oder<lb/> müßte es heißen im Gegensatz dazu? — gewiß aber unsrer Anschauung noch näher<lb/> nennt er die hinzugefügte Verdeutschung „einen zunächst nur subjektiven Vorschlag,"<lb/> „zunächst" d. h. doch wohl bis zur allgemeinen Billigung, und „Vorschlag" d. h. doch<lb/> wohl zum künftigen Ersatz. Demnach fühlte auch er bei Luther eine aufsteigende<lb/> Abneigung gegen das Fremdwort heraus und den Wunsch, es zu verdeutsche»;<lb/> deun wozu sonst der Versuch, es annehmbar zu machen, wozu sonst der Ver-<lb/> deutschuugsvorschlag? Aber er hätte dann folgerichtig nicht, wie er thut, vorher<lb/> fragen sollen, warum Luther nicht bloß das deutsche Wort gebe — denn das er¬<lb/> klärt sich ja hinlänglich aus dem Bildungszustände seiner Zeit —, sondern um¬<lb/> gekehrt, warum nicht bloß das lateinische.</p><lb/> <p xml:id="ID_175" next="#ID_176"> Es ist das nicht die einzige Unklarheit in dem der Sammlung vorausstehenden<lb/> Gedankengange, wenn man es nicht besser eine lose Reihe von Zitaten und einzelnen<lb/> Bemerkungen nennte. Aber ich wüßte nicht, was es nützen sollte, dabei länger<lb/> zu verweilen. Etwas ganz andres wäre es mit den darin verstreuten Einwänden<lb/> n»d Vorwürfen gegen den Sprachverein, wenn sie nämlich — nicht gar zu ab¬<lb/> gedroschen wären, sodaß jede Verteidigung nur längst und oft Gesagtes zu wieder¬<lb/> holen hätte. Der Mann weiß viel und nimmt auch gern die Gelegenheit wahr,<lb/> sein Licht leuchten zu lasse» vor den Leuten, ja im Notfalle zieht er diese Ge¬<lb/> legenheit wohl gar bei den Haaren herbei, wie besonders einige Anmerkungen unter</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0062]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
ihm auch das Bedürfnis der Verdeutlichung und Verdeutschung eingestellt haben,
das durch die Hinzufügung des gleichbedeutenden einheimischen Begriffs für ihn be¬
friedigt und für uns — bezeugt ist. Also ein Vorgang, der dem von Kluge
beobachteten ganz gleich verlauft. Und wer Kluges wohlgegründete Auffassung
kennt, der wird in dieser Lutherschen Sprechweise dieselbe natürliche, unwillkürliche
Gegenwirkung des heimischen Sprachgefühls vernehmen, die keineswegs das Fremde
einfach abstößt, sondern es umgestaltend sich wirklich anzueignen anschickt. In dem
Sinne könnte gerade von diesem Vorgange der Sprachgeschichte das von Sandvoß
beigebrachte Wort Goethes gelten: „Die Gewalt einer Sprache ist nicht, daß sie
das Fremde abweist, sondern daß sie es verschlingt." Und dem ebenfalls von ihm
angeführten Ausspruche V. Hehns: „Viel Fremdwörter, viel Kulturverkehr, viel
entlehnt, viel gelernt" schadet der Zusatz nicht: „Noch besser aber, als bloß geborgt
ist wirklich angeeignet."
Aber sehr würde man irren, wenn man mit der vvrgctragnen Betrachtung
auch die Ansicht von Fr. Sandvoß getroffen zu haben meinte. Weit gefehlt; er
macht von seiner Sammlung eine ganz andre Nutzanwendung. Er folgert aus ihr,
daß Luther ein geschmorner Feind der „heutigen zum Teil grauenvollen Verrohung
und Versimpelung unsrer Sprache" sein müßte, will sagen: der Arbeit des All¬
gemeinen deutschen Sprachvereins.
Und das kommt in einem Atem heraus mit den oben angezognen Bezeich¬
nungen jener Fremdwörter als „Quelle der Bereicherung und Klärung unsrer
Begriffe," als Wecker und Erhalter des deutschen Sprachgefühls! In welchem andern
als dem Klngeschen Sinne das gemeint sein könnte, wie Sandvoß diese Äußerung
mit der erwähnten Folgerung innerlich zusammenbringt, kurz, was den innern Zu¬
sammenhang zwischen der nützlichen Beispielsammlung und dem unnützen Wutanfall
gegen deu Sprachverein bildet, das sage ich nicht. Denn ich weiß es nicht. Aber
Sandvoß selber sagt es auch nicht. Im Gegenteil, er sagt mehreres, wonach man ihn
vielmehr für ganz einig rin uns halten möchte. So sieht auch er in dem von
Luther dem Fremdwvrte nachträglich zugefügten deutschen einen Versuch, den
fremden Begriff seinem Volke „annehmbar zu machen," ja noch mehr — oder
müßte es heißen im Gegensatz dazu? — gewiß aber unsrer Anschauung noch näher
nennt er die hinzugefügte Verdeutschung „einen zunächst nur subjektiven Vorschlag,"
„zunächst" d. h. doch wohl bis zur allgemeinen Billigung, und „Vorschlag" d. h. doch
wohl zum künftigen Ersatz. Demnach fühlte auch er bei Luther eine aufsteigende
Abneigung gegen das Fremdwort heraus und den Wunsch, es zu verdeutsche»;
deun wozu sonst der Versuch, es annehmbar zu machen, wozu sonst der Ver-
deutschuugsvorschlag? Aber er hätte dann folgerichtig nicht, wie er thut, vorher
fragen sollen, warum Luther nicht bloß das deutsche Wort gebe — denn das er¬
klärt sich ja hinlänglich aus dem Bildungszustände seiner Zeit —, sondern um¬
gekehrt, warum nicht bloß das lateinische.
Es ist das nicht die einzige Unklarheit in dem der Sammlung vorausstehenden
Gedankengange, wenn man es nicht besser eine lose Reihe von Zitaten und einzelnen
Bemerkungen nennte. Aber ich wüßte nicht, was es nützen sollte, dabei länger
zu verweilen. Etwas ganz andres wäre es mit den darin verstreuten Einwänden
n»d Vorwürfen gegen den Sprachverein, wenn sie nämlich — nicht gar zu ab¬
gedroschen wären, sodaß jede Verteidigung nur längst und oft Gesagtes zu wieder¬
holen hätte. Der Mann weiß viel und nimmt auch gern die Gelegenheit wahr,
sein Licht leuchten zu lasse» vor den Leuten, ja im Notfalle zieht er diese Ge¬
legenheit wohl gar bei den Haaren herbei, wie besonders einige Anmerkungen unter
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