Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Lin sozialpolitischer Rückblick in die deutsche Geschichte War das Schicksal des Bauern im fünfzehnten Jahrhundert schlimm ge¬ Reaktion folgte. Alle bäuerlichen Reformen fallen zweihundertjnhriger Vertagung anheiln, es
treten positive Verschlechterungen ein: ungemessene Frohnden, Überbürdung des Bauernstandes mit allen Staatslnsten, Entstehung der neuern Leibeigenschaft, Legung ganzer Bauerndörfer. Mangels eines rechten Führers auf dem Thron war eine hoffnungsvolle Reformbewegung zur wilden Revolution geworden. Die darauf folgende Verkümmerung und Demomlisirung des Bauernstandes vergiftete das ganze Volksleben und war der Kern der Krankheit, an der Deutschland über zweihundert Jahre gelitten hat. (Röscher, Gesch. der Nationalökonomie.) Lin sozialpolitischer Rückblick in die deutsche Geschichte War das Schicksal des Bauern im fünfzehnten Jahrhundert schlimm ge¬ Reaktion folgte. Alle bäuerlichen Reformen fallen zweihundertjnhriger Vertagung anheiln, es
treten positive Verschlechterungen ein: ungemessene Frohnden, Überbürdung des Bauernstandes mit allen Staatslnsten, Entstehung der neuern Leibeigenschaft, Legung ganzer Bauerndörfer. Mangels eines rechten Führers auf dem Thron war eine hoffnungsvolle Reformbewegung zur wilden Revolution geworden. Die darauf folgende Verkümmerung und Demomlisirung des Bauernstandes vergiftete das ganze Volksleben und war der Kern der Krankheit, an der Deutschland über zweihundert Jahre gelitten hat. (Röscher, Gesch. der Nationalökonomie.) <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0587" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227489"/> <fw type="header" place="top"> Lin sozialpolitischer Rückblick in die deutsche Geschichte</fw><lb/> <p xml:id="ID_2127" next="#ID_2128"> War das Schicksal des Bauern im fünfzehnten Jahrhundert schlimm ge¬<lb/> wesen, so wurde es im sechzehnten und siebzehnten noch viel schlimmer.<lb/> Auch die Hohenzollern, die mit Friedrich I. und II, in rechter Weise in der<lb/> Mark einsetzen und eine gerechte und über allen Parteien stehende Staats¬<lb/> gewalt begründen, erscheinen der Richtung ihres Hauses zeitweise entfremdet.<lb/> Hatte sich unter Friedrich I. ein Oberbeamter geweigert, eine neue landes¬<lb/> herrliche Verfügung zu veröffentlichen, weil sie „wider die Unterthanen und<lb/> ganz zu Gunsten der Prälaten und Edelleute sei" — worauf der Landesherr<lb/> die Verfügung zurücknahm —, so wandten sich die Dinge unter Joachim II.<lb/> und Johann Georg zum schlimmsten. Der unwirtschaftliche Joachim II. geriet<lb/> eben durch seine UnWirtschaftlichkeit in volle Abhängigkeit von seineu Ständen,<lb/> gegen die Übernahme seiner Schulden gewährt er 1540 dem Adel das Recht,<lb/> die Bauern gegen Entschädigung zu „legen." Nach seinem Tode werden auf<lb/> dem Landtage von 1572 gegen abermalige Übernahme der vorhandnen Schulden<lb/> die gutsherrlichen Rechte noch weiter ausgebildet. Der Adel darf das Guts¬<lb/> feld auf Kosten der Wald- und Bruchhütungen, die für den Viehstand der<lb/> Bauern unentbehrlich waren, vergrößern, sodann sollen die Bauern zur Frohn-<lb/> arbeit angehalten werden, ohne daß eine Grenze der bäuerlichen Dienste fest¬<lb/> gesetzt zu werden braucht. Auf diesem Landtage hat der Adel die bis dahin<lb/> angemaßten Befugnisse und thatsächlich geleisteten Dienste der Bauern durch<lb/> deu Kurfürsten Johann Georg als Recht zugesprochen erhalten, während er<lb/> die dafür übernvmmne finanzielle Leistung abzuwälzen wußte. Die Bauern<lb/> sind mediatisirt und tragen die ganze Last. Im siebzehnten Jahrhundert<lb/> wird die bäuerliche Sklaverei gar theoretisch gepriesen aus Gründen der „Wohl¬<lb/> feilheit, der Arbeitswirksamkeit und der Staatsfinanzen." Infolge dessen wird<lb/> aus den Bauern ein „wild, hinterlistig und nngezühmt Volk." Ist es zu ver¬<lb/> wundern, daß die ländliche Bevölkerung, als das äußere Unglück im dreißig¬<lb/> jährigen Kriege hereinbricht, in stumpfer Teilnahmlosigkeit verharrt oder dem<lb/> unmenschlichen Druck der heimischen Sklaverei das ungebundne Soldatenleben<lb/> vorzieht und der Werbetrommel nachläuft? In dem Jahrhundert von 1540<lb/> bis 1640 hat der nordostdeutsche Adel den Grund zu seiner bevorrechteten<lb/> Stellung im preußischen Staate gelegt. Unlösbar erschien die Aufgabe, die<lb/> der Große Kurfürst übernahm, auf allen Gebieten lagen die schwierigsten Ver¬<lb/> hältnisse vor, eine Übereilung konnte alles zum scheitern bringen. Schritt für</p><lb/> <note xml:id="FID_66" prev="#FID_65" place="foot"> Reaktion folgte. Alle bäuerlichen Reformen fallen zweihundertjnhriger Vertagung anheiln, es<lb/> treten positive Verschlechterungen ein: ungemessene Frohnden, Überbürdung des Bauernstandes<lb/> mit allen Staatslnsten, Entstehung der neuern Leibeigenschaft, Legung ganzer Bauerndörfer.<lb/> Mangels eines rechten Führers auf dem Thron war eine hoffnungsvolle Reformbewegung zur<lb/> wilden Revolution geworden. Die darauf folgende Verkümmerung und Demomlisirung des<lb/> Bauernstandes vergiftete das ganze Volksleben und war der Kern der Krankheit, an der<lb/> Deutschland über zweihundert Jahre gelitten hat. (Röscher, Gesch. der Nationalökonomie.)</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0587]
Lin sozialpolitischer Rückblick in die deutsche Geschichte
War das Schicksal des Bauern im fünfzehnten Jahrhundert schlimm ge¬
wesen, so wurde es im sechzehnten und siebzehnten noch viel schlimmer.
Auch die Hohenzollern, die mit Friedrich I. und II, in rechter Weise in der
Mark einsetzen und eine gerechte und über allen Parteien stehende Staats¬
gewalt begründen, erscheinen der Richtung ihres Hauses zeitweise entfremdet.
Hatte sich unter Friedrich I. ein Oberbeamter geweigert, eine neue landes¬
herrliche Verfügung zu veröffentlichen, weil sie „wider die Unterthanen und
ganz zu Gunsten der Prälaten und Edelleute sei" — worauf der Landesherr
die Verfügung zurücknahm —, so wandten sich die Dinge unter Joachim II.
und Johann Georg zum schlimmsten. Der unwirtschaftliche Joachim II. geriet
eben durch seine UnWirtschaftlichkeit in volle Abhängigkeit von seineu Ständen,
gegen die Übernahme seiner Schulden gewährt er 1540 dem Adel das Recht,
die Bauern gegen Entschädigung zu „legen." Nach seinem Tode werden auf
dem Landtage von 1572 gegen abermalige Übernahme der vorhandnen Schulden
die gutsherrlichen Rechte noch weiter ausgebildet. Der Adel darf das Guts¬
feld auf Kosten der Wald- und Bruchhütungen, die für den Viehstand der
Bauern unentbehrlich waren, vergrößern, sodann sollen die Bauern zur Frohn-
arbeit angehalten werden, ohne daß eine Grenze der bäuerlichen Dienste fest¬
gesetzt zu werden braucht. Auf diesem Landtage hat der Adel die bis dahin
angemaßten Befugnisse und thatsächlich geleisteten Dienste der Bauern durch
deu Kurfürsten Johann Georg als Recht zugesprochen erhalten, während er
die dafür übernvmmne finanzielle Leistung abzuwälzen wußte. Die Bauern
sind mediatisirt und tragen die ganze Last. Im siebzehnten Jahrhundert
wird die bäuerliche Sklaverei gar theoretisch gepriesen aus Gründen der „Wohl¬
feilheit, der Arbeitswirksamkeit und der Staatsfinanzen." Infolge dessen wird
aus den Bauern ein „wild, hinterlistig und nngezühmt Volk." Ist es zu ver¬
wundern, daß die ländliche Bevölkerung, als das äußere Unglück im dreißig¬
jährigen Kriege hereinbricht, in stumpfer Teilnahmlosigkeit verharrt oder dem
unmenschlichen Druck der heimischen Sklaverei das ungebundne Soldatenleben
vorzieht und der Werbetrommel nachläuft? In dem Jahrhundert von 1540
bis 1640 hat der nordostdeutsche Adel den Grund zu seiner bevorrechteten
Stellung im preußischen Staate gelegt. Unlösbar erschien die Aufgabe, die
der Große Kurfürst übernahm, auf allen Gebieten lagen die schwierigsten Ver¬
hältnisse vor, eine Übereilung konnte alles zum scheitern bringen. Schritt für
Reaktion folgte. Alle bäuerlichen Reformen fallen zweihundertjnhriger Vertagung anheiln, es
treten positive Verschlechterungen ein: ungemessene Frohnden, Überbürdung des Bauernstandes
mit allen Staatslnsten, Entstehung der neuern Leibeigenschaft, Legung ganzer Bauerndörfer.
Mangels eines rechten Führers auf dem Thron war eine hoffnungsvolle Reformbewegung zur
wilden Revolution geworden. Die darauf folgende Verkümmerung und Demomlisirung des
Bauernstandes vergiftete das ganze Volksleben und war der Kern der Krankheit, an der
Deutschland über zweihundert Jahre gelitten hat. (Röscher, Gesch. der Nationalökonomie.)
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