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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Gin sozialpolitischer Rückblick in die deutsche Geschichte

Schritt mit unendlicher Geduld und Ausdauer mußten Erfolge der äußern
Politik die innern Verhältnisse festigen, während wieder nur die Lösung der
innern Aufgaben die Mittel für die Aktion nach außen gewähren konnte. So
ist es nur natürlich, daß entscheidende Schritte zu Gunsten der Bauern erst
von seinen Nachfolgern unternommen werden konnten. Als die äußern Ver¬
hältnisse das Zusammenhalten aller Kräfte des Staats und ihr freudiges Mit¬
thun immer energischer fordern, da drängt die Bauernfrage immer zwingender
zu ihrer Lösung. Die französische Geschichte des siebzehnten Jahrhunderts
wurde die Lehrmeisterin der preußischen Könige des achtzehnten.*) Der Haupt¬
grund des von Richelieu gewonnenen Übergewichts im europäischen Staaten¬
system war, daß er die innern (konfessionellen) Gegensätze im Interesse der
Staatseinheit und Staatsmacht zurücktreten ließ, während sie von den Habs-
burgern noch als Hauptsache festgehalten wurden. Der schwerste Fehler
Ludwigs XIV., der alle seine äußern Projekte scheitern ließ, war es dann ge¬
wesen, daß er diese innere Einheit nicht aufrecht erhalten hatte. Mit der Auf¬
hebung des Edikts von Nantes 1685 hatte er sich selbst seiner besten Kräfte
beraubt und die seiner Gegner verstärkt; von diesem Zeitpunkt an datirt der
Umschwung in den Geschicken Frankreichs und Europas.

Die Grenzboten haben die Bauernbefreiung in Preußen schon in ihren
Hauptzügen dargestellt; Knapp, einer der besten Kenner, nennt in seinem grund¬
legenden Werk die Bauernbefreiung geradezu die soziale Frage des achtzehnten
Jahrhunderts. Trotz aller Bemühungen haben Friedrich Wilhelm I. und
Friedrich der Große nur dem Weitergreifen der vorhandnen Übelstände zu
steuern vermocht. Gegen Ende des Jahrhunderts war alles wieder im alten
Schlendrian, und erst der völlige Niederbruch von 1806 führte der Negierung
die unerbittliche Notwendigkeit vor Augen, durch Fürsorge für die untern
Klaffen das ganze Volk gegen die äußern Feinde zu vereinigen. Die alte
Staatsverfassung war nur zu Gunsten der herrschenden Klasse gewesen, für die
untere Klasse gab es keine andre Hoffnung als die Macht und den Willen des
Landesherrn, sie zu vertreten. Der Staat fordert seine Bedürfnisse kraft seiner
Pflicht, das Erforderliche muß geleistet werden, dafür ist die altrömische
Tribuuengewalt auch ein wesentlicher Teil dieser Staatsmacht, wie sich das in
dem Spruche des Großen Kurfürsten: pro oso et xoxulo ausdrückt. Nachdem
die Pflichten der feudalen Machthaber auf das königliche Offizierkorps und
Beamtentum übergegangen waren, waren auch ihre politischen Sondervorrechte
-- ihre Privilegien -- nicht mehr gerechtfertigt. Freilich waren die Bevor¬
rechteten geneigter, auf jene, als auf diese zu verzichten. Für den Herrscher
handelte es sich darum, nicht nnr das Rechte zu wollen, sondern es anch auf



Friedrichs des Großen Iliswirv <Is mon toiuxs ist eine Nachbildung und Fortsetzung
von Voltaires Liövls Ah I^ouis XIV.
Gin sozialpolitischer Rückblick in die deutsche Geschichte

Schritt mit unendlicher Geduld und Ausdauer mußten Erfolge der äußern
Politik die innern Verhältnisse festigen, während wieder nur die Lösung der
innern Aufgaben die Mittel für die Aktion nach außen gewähren konnte. So
ist es nur natürlich, daß entscheidende Schritte zu Gunsten der Bauern erst
von seinen Nachfolgern unternommen werden konnten. Als die äußern Ver¬
hältnisse das Zusammenhalten aller Kräfte des Staats und ihr freudiges Mit¬
thun immer energischer fordern, da drängt die Bauernfrage immer zwingender
zu ihrer Lösung. Die französische Geschichte des siebzehnten Jahrhunderts
wurde die Lehrmeisterin der preußischen Könige des achtzehnten.*) Der Haupt¬
grund des von Richelieu gewonnenen Übergewichts im europäischen Staaten¬
system war, daß er die innern (konfessionellen) Gegensätze im Interesse der
Staatseinheit und Staatsmacht zurücktreten ließ, während sie von den Habs-
burgern noch als Hauptsache festgehalten wurden. Der schwerste Fehler
Ludwigs XIV., der alle seine äußern Projekte scheitern ließ, war es dann ge¬
wesen, daß er diese innere Einheit nicht aufrecht erhalten hatte. Mit der Auf¬
hebung des Edikts von Nantes 1685 hatte er sich selbst seiner besten Kräfte
beraubt und die seiner Gegner verstärkt; von diesem Zeitpunkt an datirt der
Umschwung in den Geschicken Frankreichs und Europas.

Die Grenzboten haben die Bauernbefreiung in Preußen schon in ihren
Hauptzügen dargestellt; Knapp, einer der besten Kenner, nennt in seinem grund¬
legenden Werk die Bauernbefreiung geradezu die soziale Frage des achtzehnten
Jahrhunderts. Trotz aller Bemühungen haben Friedrich Wilhelm I. und
Friedrich der Große nur dem Weitergreifen der vorhandnen Übelstände zu
steuern vermocht. Gegen Ende des Jahrhunderts war alles wieder im alten
Schlendrian, und erst der völlige Niederbruch von 1806 führte der Negierung
die unerbittliche Notwendigkeit vor Augen, durch Fürsorge für die untern
Klaffen das ganze Volk gegen die äußern Feinde zu vereinigen. Die alte
Staatsverfassung war nur zu Gunsten der herrschenden Klasse gewesen, für die
untere Klasse gab es keine andre Hoffnung als die Macht und den Willen des
Landesherrn, sie zu vertreten. Der Staat fordert seine Bedürfnisse kraft seiner
Pflicht, das Erforderliche muß geleistet werden, dafür ist die altrömische
Tribuuengewalt auch ein wesentlicher Teil dieser Staatsmacht, wie sich das in
dem Spruche des Großen Kurfürsten: pro oso et xoxulo ausdrückt. Nachdem
die Pflichten der feudalen Machthaber auf das königliche Offizierkorps und
Beamtentum übergegangen waren, waren auch ihre politischen Sondervorrechte
— ihre Privilegien — nicht mehr gerechtfertigt. Freilich waren die Bevor¬
rechteten geneigter, auf jene, als auf diese zu verzichten. Für den Herrscher
handelte es sich darum, nicht nnr das Rechte zu wollen, sondern es anch auf



Friedrichs des Großen Iliswirv <Is mon toiuxs ist eine Nachbildung und Fortsetzung
von Voltaires Liövls Ah I^ouis XIV.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/588>, abgerufen am 09.01.2025.