Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Lin sozialpolitischer Rückblick in die deutsche Geschichte In der kirchlichen Verfassung Deutschlands hat die eindringende Geld¬ Die Anhänger der kirchlichen Reformen waren keineswegs gesonnen, außer¬ 3. Hand in Hand mit der antiklerikalen Strömung geht die antifeudale. *) Die Neugestaltung des Verhältnisses von Gutsherr und Bnuer war notwendig geworden,
sie vollzog sich unter dem frischen Eindruck einer niedergeworfnen Empörung. Eine fürchterliche Lin sozialpolitischer Rückblick in die deutsche Geschichte In der kirchlichen Verfassung Deutschlands hat die eindringende Geld¬ Die Anhänger der kirchlichen Reformen waren keineswegs gesonnen, außer¬ 3. Hand in Hand mit der antiklerikalen Strömung geht die antifeudale. *) Die Neugestaltung des Verhältnisses von Gutsherr und Bnuer war notwendig geworden,
sie vollzog sich unter dem frischen Eindruck einer niedergeworfnen Empörung. Eine fürchterliche <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0586" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227488"/> <fw type="header" place="top"> Lin sozialpolitischer Rückblick in die deutsche Geschichte</fw><lb/> <p xml:id="ID_2124"> In der kirchlichen Verfassung Deutschlands hat die eindringende Geld¬<lb/> wirtschaft die Durchschneidung und Aufteilung des kirchlichen Genossenschafts¬<lb/> vermögens bewirkt. Mehr und mehr bildet sich das Pfründnerwesen mit allen<lb/> seinen Mißbräuchen aus: die reichen Obern ziehen die Einnahmen, elende<lb/> Vikare besorgen deren Amtspflichten. Infolge davon zeigt sich die Neigung<lb/> zu Sekten, die als Ketzerei von der kirchlichen Aristokratie in brutalster Weise<lb/> unterdrückt werden. Hat es sich im Investiturstreit wesentlich darum gehandelt,<lb/> die finanzielle Grundlage der Kirche den Eingriffen der Laien zu entziehen, so<lb/> beansprucht in späterer Zeit der Papst die Verfügung über die Pfründen und<lb/> das ganze Kirchenvermögen. In den großen Konzilen protestirt die Kirche<lb/> gegen den Machtanspruch der Kurie, daß der Papst die Kirche sei; durch den<lb/> Verrat des Kaisers am eignen Reich geht der Papst in Deutschland siegreich<lb/> aus diesem Streit hervor. Nun wird von Rom aus nicht nur die deutsche<lb/> Kirche, sondern das Volk direkt ausgebeutet; diese Ausbeutung in der Form<lb/> des Ablasses giebt dann auch den Anlaß zur Empörung gegen das ganze<lb/> Kirchenregiment.</p><lb/> <p xml:id="ID_2125"> Die Anhänger der kirchlichen Reformen waren keineswegs gesonnen, außer¬<lb/> halb der alten Kirche zu stehen, aber die römische Kirchenherrschaft ließ diese<lb/> Reformen nicht zu. Vor allem war es der ungeheure Güterbesitz der Kirche<lb/> und der frevelhafte Mißbrauch dieses Besitzes, der die Gegenströmung immer<lb/> mehr wachsen ließ. Selbst Jenssen giebt zu, das Streben der geistlichen<lb/> Herren, ihren unermeßlichen Besitz immer noch zu vergrößern und ihren Reich¬<lb/> tum und Überfluß durch Pracht und Luxus zu offenbaren, habe die Unzu¬<lb/> friedenheit über die sozial-kirchlichen Zustände auch bei denen fortwährend ge¬<lb/> steigert, die keineswegs gewillt gewesen seien, sich von der Kirche und ihren<lb/> Lehren zu trennen. Wie arg die Zustände waren, mag man der einen That¬<lb/> sache entnehmen, daß die Äbtissin von Gandersheim nach Rom reisen und<lb/> dabei stets ihr Nachtlager auf eignem, ihrem Stift gehörigen Grund und Boden<lb/> nehmen konnte. Die Notwendigkeit der Kirche ward nirgends bestritten, die<lb/> Geistlichen sollten ihre „ziemliche Notdurft" erhalten, aber nicht auf Kosten<lb/> des Volkes schwelgen. Auch bei Janssen ist das Gesamtresultat rund und nett<lb/> in den Worten enthalten: „die obern Klassen, die über ihren Rechten ihre<lb/> Pflichten vernachlässigten, bewirkten die Auflehnung der untern Klassen."</p><lb/> <p xml:id="ID_2126"> 3. Hand in Hand mit der antiklerikalen Strömung geht die antifeudale.<lb/> Trotzdem daß die zwölf Artikel der Bauern nach Rankes bekanntem Ausspruch<lb/> uicht über die gesunde Vernunft hinausgingen und nur forderten, was man<lb/> ihnen nach Recht und Billigkeit niemals hätte verweigern sollen, wurde die Be¬<lb/> wegung mit blutigster Strenge niedergeschlagen und unterdrückt.")</p><lb/> <note xml:id="FID_65" place="foot" next="#FID_66"> *) Die Neugestaltung des Verhältnisses von Gutsherr und Bnuer war notwendig geworden,<lb/> sie vollzog sich unter dem frischen Eindruck einer niedergeworfnen Empörung. Eine fürchterliche</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0586]
Lin sozialpolitischer Rückblick in die deutsche Geschichte
In der kirchlichen Verfassung Deutschlands hat die eindringende Geld¬
wirtschaft die Durchschneidung und Aufteilung des kirchlichen Genossenschafts¬
vermögens bewirkt. Mehr und mehr bildet sich das Pfründnerwesen mit allen
seinen Mißbräuchen aus: die reichen Obern ziehen die Einnahmen, elende
Vikare besorgen deren Amtspflichten. Infolge davon zeigt sich die Neigung
zu Sekten, die als Ketzerei von der kirchlichen Aristokratie in brutalster Weise
unterdrückt werden. Hat es sich im Investiturstreit wesentlich darum gehandelt,
die finanzielle Grundlage der Kirche den Eingriffen der Laien zu entziehen, so
beansprucht in späterer Zeit der Papst die Verfügung über die Pfründen und
das ganze Kirchenvermögen. In den großen Konzilen protestirt die Kirche
gegen den Machtanspruch der Kurie, daß der Papst die Kirche sei; durch den
Verrat des Kaisers am eignen Reich geht der Papst in Deutschland siegreich
aus diesem Streit hervor. Nun wird von Rom aus nicht nur die deutsche
Kirche, sondern das Volk direkt ausgebeutet; diese Ausbeutung in der Form
des Ablasses giebt dann auch den Anlaß zur Empörung gegen das ganze
Kirchenregiment.
Die Anhänger der kirchlichen Reformen waren keineswegs gesonnen, außer¬
halb der alten Kirche zu stehen, aber die römische Kirchenherrschaft ließ diese
Reformen nicht zu. Vor allem war es der ungeheure Güterbesitz der Kirche
und der frevelhafte Mißbrauch dieses Besitzes, der die Gegenströmung immer
mehr wachsen ließ. Selbst Jenssen giebt zu, das Streben der geistlichen
Herren, ihren unermeßlichen Besitz immer noch zu vergrößern und ihren Reich¬
tum und Überfluß durch Pracht und Luxus zu offenbaren, habe die Unzu¬
friedenheit über die sozial-kirchlichen Zustände auch bei denen fortwährend ge¬
steigert, die keineswegs gewillt gewesen seien, sich von der Kirche und ihren
Lehren zu trennen. Wie arg die Zustände waren, mag man der einen That¬
sache entnehmen, daß die Äbtissin von Gandersheim nach Rom reisen und
dabei stets ihr Nachtlager auf eignem, ihrem Stift gehörigen Grund und Boden
nehmen konnte. Die Notwendigkeit der Kirche ward nirgends bestritten, die
Geistlichen sollten ihre „ziemliche Notdurft" erhalten, aber nicht auf Kosten
des Volkes schwelgen. Auch bei Janssen ist das Gesamtresultat rund und nett
in den Worten enthalten: „die obern Klassen, die über ihren Rechten ihre
Pflichten vernachlässigten, bewirkten die Auflehnung der untern Klassen."
3. Hand in Hand mit der antiklerikalen Strömung geht die antifeudale.
Trotzdem daß die zwölf Artikel der Bauern nach Rankes bekanntem Ausspruch
uicht über die gesunde Vernunft hinausgingen und nur forderten, was man
ihnen nach Recht und Billigkeit niemals hätte verweigern sollen, wurde die Be¬
wegung mit blutigster Strenge niedergeschlagen und unterdrückt.")
*) Die Neugestaltung des Verhältnisses von Gutsherr und Bnuer war notwendig geworden,
sie vollzog sich unter dem frischen Eindruck einer niedergeworfnen Empörung. Eine fürchterliche
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