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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Madlene

Wir wohne doch nit in Schlesinge! spann Madlene weiter. Und gleich folgte
ihr Siegel drauf: Woh is denn mei sogen!

Die Naht mußte noch nicht glatt genug sein; denn der Kleine lies; seinen
Hammer spielen wie ein mutwilliger Schusterlehrling. Doch war er harmlos und
friedliebend. Wenn sichs jetzt in ihm regte, so war es gewiß nur Bänguis ums
Gleichgewicht. Das war bei ihm bis zur selbigen Abendstunde überhaupt das
Grundmotiv. Es gebar die Regungen oder verschlang sie. Regte sichs einmal in
seinem tiefen Gemüt, weil ihn ein schönes Mädchen anlachte, so begann das Grund¬
motiv seine mörderische Wirkung. Denn was sollte aus dem Gleichgewicht in der
Ofenblasengegend werden, wenn dn das Mädchen wieder anlachtest? So ganz
deutlich nahm sich der Kleine zwar nie ins Verhör; aber es kam nach seinem
Grundmotiv doch immer auf ein Gleiches hinaus. Dafür bekam er von Weibs¬
bilder", die ihn gern aus dem Gleichgewicht gebracht hätten, hin und wieder zu
hören: Folg nar hübsch, Klemmer!

Kupp, klappklapp, 's Birro (Bureau) ist bestellt! Das muß ich kenn! Kupp,
tlappklnpp! Da fuhrs der Madlene wieder nein. Und der Kleine begann Nägel
in den Absatz zu schlagen., und Fritz schnurrte dazu:

Das ging ans den Großen, der ein Schnurrbärtchen aus Schlesien mitgebracht hatte,
das er bis auf die Stunde artig pflegte.

Der Große hatte aus der Fremde einen blauen Frack mit blanken Knöpfen
mitgebracht, den er immer noch an Festtagen zur Kirche oder ins Wirtshaus trug.

Noch ein Hieb auf den Großen: er führte eine Schnupftabaksdose ans Birken¬
rinde mit einem Lederzipfel am Deckel.

Ich frei! Wieder fuhrs der Madlene mein. Es mochte eine alte Drohung
sein. Aber sie traf den Großen stets im innersten Mark, obgleich er keine
Ahnung hatte, nach welcher Seite hin die Verwirklichung der Drohung ausschlagen
könnte. Denn Madlene hatte keinen Schatz, den sie hätte freien können. Obgleich
dem Großen das klar, und obgleich für ihn nicht einmal der Schein einer Möglich¬
keit vorhanden war, so galt ihm diese Drohung durchaus nicht als inhaltlos: sie
sagte ihm mit dem unfehlbaren Siegel: Großer! Wir sind nicht einverstanden mit
dir! Das war für ihn des Inhalts genug, ein niederschlagender Inhalt.


Madlene

Wir wohne doch nit in Schlesinge! spann Madlene weiter. Und gleich folgte
ihr Siegel drauf: Woh is denn mei sogen!

Die Naht mußte noch nicht glatt genug sein; denn der Kleine lies; seinen
Hammer spielen wie ein mutwilliger Schusterlehrling. Doch war er harmlos und
friedliebend. Wenn sichs jetzt in ihm regte, so war es gewiß nur Bänguis ums
Gleichgewicht. Das war bei ihm bis zur selbigen Abendstunde überhaupt das
Grundmotiv. Es gebar die Regungen oder verschlang sie. Regte sichs einmal in
seinem tiefen Gemüt, weil ihn ein schönes Mädchen anlachte, so begann das Grund¬
motiv seine mörderische Wirkung. Denn was sollte aus dem Gleichgewicht in der
Ofenblasengegend werden, wenn dn das Mädchen wieder anlachtest? So ganz
deutlich nahm sich der Kleine zwar nie ins Verhör; aber es kam nach seinem
Grundmotiv doch immer auf ein Gleiches hinaus. Dafür bekam er von Weibs¬
bilder», die ihn gern aus dem Gleichgewicht gebracht hätten, hin und wieder zu
hören: Folg nar hübsch, Klemmer!

Kupp, klappklapp, 's Birro (Bureau) ist bestellt! Das muß ich kenn! Kupp,
tlappklnpp! Da fuhrs der Madlene wieder nein. Und der Kleine begann Nägel
in den Absatz zu schlagen., und Fritz schnurrte dazu:

Das ging ans den Großen, der ein Schnurrbärtchen aus Schlesien mitgebracht hatte,
das er bis auf die Stunde artig pflegte.

Der Große hatte aus der Fremde einen blauen Frack mit blanken Knöpfen
mitgebracht, den er immer noch an Festtagen zur Kirche oder ins Wirtshaus trug.

Noch ein Hieb auf den Großen: er führte eine Schnupftabaksdose ans Birken¬
rinde mit einem Lederzipfel am Deckel.

Ich frei! Wieder fuhrs der Madlene mein. Es mochte eine alte Drohung
sein. Aber sie traf den Großen stets im innersten Mark, obgleich er keine
Ahnung hatte, nach welcher Seite hin die Verwirklichung der Drohung ausschlagen
könnte. Denn Madlene hatte keinen Schatz, den sie hätte freien können. Obgleich
dem Großen das klar, und obgleich für ihn nicht einmal der Schein einer Möglich¬
keit vorhanden war, so galt ihm diese Drohung durchaus nicht als inhaltlos: sie
sagte ihm mit dem unfehlbaren Siegel: Großer! Wir sind nicht einverstanden mit
dir! Das war für ihn des Inhalts genug, ein niederschlagender Inhalt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/50>, abgerufen am 07.01.2025.