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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Madlene

eines schönen Gleichgewichts mir gar zu oft den Kleinen auf ihrer Seite nötig
hat. Das fühlt der Kleine auch so geläufig, daß er ohne weiteres immer bei
der Madlene steht.

Kupp, klappklapp! Kupp, klappklapp! Für unsre paar Thaler! Kupp,
klnppklapp! Der Große reißt um einer nach der Fälle (dem Halter am Kamm¬
rad des Zettelbnnms) laufenden Schnur, damit der Zettel um einen Kamm weiter
rückt, dreht dann das Zahnrad am Tnchbaum zum Aufwinden des Drillichs und
ruft mit einer Wendung nach der Ofenblasengegend: Die wir sauer erworben
haben! Das muß ich kenn! Der Madlene wars "nein gefahren"; sie holte mit
einem ncusilbernen Haken, dessen Griff mit glitzernden Plättchen und Drahtglöckcheu
geziert war, den Faden durch die Spindelhöhlung und ließ ihn wieder am Rocken
naschen. Und der Kleine mußte eben eine Naht fertig haben; denn er fing mit
seinem Hammer an zu pochen wie ein richtiger Schuster.

Kupp, klappklapp! In Schlesiugu haben sie mir 's Geld aus der Laden ge¬
stohlen. Und was für ein Schloß wars? Das muß ich kenn! Kupp, klnppklapp!

Der Große hatte als Leineweber eine ansehnliche Reihe Jahre gewandert,
bezog sich aber am liebsten in seinen Wanderschaftsanspiclnngen auf Schlesien. Als
Altgesell war er in die Heimat zurückgekehrt, und das war er uoch. Der
während der Wanderschaft des Großen verstorbne Vater war Webermeister gewesen.
Nach der Rückkehr aus der Fremde hatte der Große das Meisteriurecht der
Mutter ausgenutzt zur Ersparung der Unkosten, die mit dem Meisterwerden ver¬
knüpft waren. Nun die Meisterin aber seit einigen Jahren dem Meister ins Jen¬
seits nachgefolgt war, hätte er, um weiter arbeiten zu können, Meister werden
müssen. Well man dem "Schlesinger" aber gewogen war von der Zunftlade her
und ihn nicht sonderlich zum Meisterstück antrieb, so ward der wichtige Akt eben
der Unkosten wegen immer weiter hinausgeschoben. Hätte der "Schlesinger" aber
heiraten "vollen.' so wäre es unerläßlich für ihn gewesen, das Meisterstück zu
machen. Aus Heiraten hatte er freilich noch nicht gedacht. -- Ich kenn die Welt!
war eins seiner Schlagwörter, bei denen sich die Augenbrauen wölbten wie Ehren¬
pforten für staunende Blicke. Und weil er die Welt kannte, wollten ihm die
Bauernmädchen nicht mehr recht Passen. Dagegen schien ein Fräulein Hoßfeld, das
der leiUvergauqnen Kirchweih als Glied einer winzig kleinen Seiltänzer- und
Schauspielertruppe im Dorf war. Eindruck auf den Schlesiuger gemacht zu haben.
Am Tage hatte die Truppe gymnastische Vorstellungen im Freien gegeben, nachts
hatte sie auf dem Tanzbcwen Komödie gespielt. Als Mann. der gereist war, fühlte
sich der Schlesiuger vou den Reisenden angezogen. Aber den Dorn." d.e einzige
männliche Person der Truppe, mied der Schlesinger. weil er dies Metier
eines Mannes für unwürdig erachtete. Dagegen das weibliche Mitglied!
Und das war also Fräulein Hoßfeld. und diese Person war wahrhaftig kern¬
gesund und federkräftig, wie er beim Seiltänzer gesehen hatte, und mich "nicht
garstig." Sie konnte sich auch hochdeutsch mit dem Schlesinger herhalten und
war "llerdiugs auch in Schlesien gewest." - Seit Weser Kirchwe ging
es dem Großen manchmal wie ein Mühlrad im Kopf herum. We-i,i h ^Fräulein im Traum erschien, so geschah das manchmal anch mit den Füßen da,
w° andern Frauenzimmer, der Kopf steht. Kurzum, es war dem Schlesinger em
wenig angethan. Aber er ließ sichs nicht merken, und de. es den Kopf gekostet
Die Madlene wußte es aber doch. Und das war wieder schon von ihr, daß e
that, als wußte sie auch nicht das Geringste. Nicht einmal den Kleinen hatte
sie in ihre Wissenschaft eingeweiht.


Grenz boten I 1898
Madlene

eines schönen Gleichgewichts mir gar zu oft den Kleinen auf ihrer Seite nötig
hat. Das fühlt der Kleine auch so geläufig, daß er ohne weiteres immer bei
der Madlene steht.

Kupp, klappklapp! Kupp, klappklapp! Für unsre paar Thaler! Kupp,
klnppklapp! Der Große reißt um einer nach der Fälle (dem Halter am Kamm¬
rad des Zettelbnnms) laufenden Schnur, damit der Zettel um einen Kamm weiter
rückt, dreht dann das Zahnrad am Tnchbaum zum Aufwinden des Drillichs und
ruft mit einer Wendung nach der Ofenblasengegend: Die wir sauer erworben
haben! Das muß ich kenn! Der Madlene wars „nein gefahren"; sie holte mit
einem ncusilbernen Haken, dessen Griff mit glitzernden Plättchen und Drahtglöckcheu
geziert war, den Faden durch die Spindelhöhlung und ließ ihn wieder am Rocken
naschen. Und der Kleine mußte eben eine Naht fertig haben; denn er fing mit
seinem Hammer an zu pochen wie ein richtiger Schuster.

Kupp, klappklapp! In Schlesiugu haben sie mir 's Geld aus der Laden ge¬
stohlen. Und was für ein Schloß wars? Das muß ich kenn! Kupp, klnppklapp!

Der Große hatte als Leineweber eine ansehnliche Reihe Jahre gewandert,
bezog sich aber am liebsten in seinen Wanderschaftsanspiclnngen auf Schlesien. Als
Altgesell war er in die Heimat zurückgekehrt, und das war er uoch. Der
während der Wanderschaft des Großen verstorbne Vater war Webermeister gewesen.
Nach der Rückkehr aus der Fremde hatte der Große das Meisteriurecht der
Mutter ausgenutzt zur Ersparung der Unkosten, die mit dem Meisterwerden ver¬
knüpft waren. Nun die Meisterin aber seit einigen Jahren dem Meister ins Jen¬
seits nachgefolgt war, hätte er, um weiter arbeiten zu können, Meister werden
müssen. Well man dem „Schlesinger" aber gewogen war von der Zunftlade her
und ihn nicht sonderlich zum Meisterstück antrieb, so ward der wichtige Akt eben
der Unkosten wegen immer weiter hinausgeschoben. Hätte der „Schlesinger" aber
heiraten »vollen.' so wäre es unerläßlich für ihn gewesen, das Meisterstück zu
machen. Aus Heiraten hatte er freilich noch nicht gedacht. — Ich kenn die Welt!
war eins seiner Schlagwörter, bei denen sich die Augenbrauen wölbten wie Ehren¬
pforten für staunende Blicke. Und weil er die Welt kannte, wollten ihm die
Bauernmädchen nicht mehr recht Passen. Dagegen schien ein Fräulein Hoßfeld, das
der leiUvergauqnen Kirchweih als Glied einer winzig kleinen Seiltänzer- und
Schauspielertruppe im Dorf war. Eindruck auf den Schlesiuger gemacht zu haben.
Am Tage hatte die Truppe gymnastische Vorstellungen im Freien gegeben, nachts
hatte sie auf dem Tanzbcwen Komödie gespielt. Als Mann. der gereist war, fühlte
sich der Schlesiuger vou den Reisenden angezogen. Aber den Dorn." d.e einzige
männliche Person der Truppe, mied der Schlesinger. weil er dies Metier
eines Mannes für unwürdig erachtete. Dagegen das weibliche Mitglied!
Und das war also Fräulein Hoßfeld. und diese Person war wahrhaftig kern¬
gesund und federkräftig, wie er beim Seiltänzer gesehen hatte, und mich „nicht
garstig." Sie konnte sich auch hochdeutsch mit dem Schlesinger herhalten und
war «llerdiugs auch in Schlesien gewest." - Seit Weser Kirchwe ging
es dem Großen manchmal wie ein Mühlrad im Kopf herum. We-i,i h ^Fräulein im Traum erschien, so geschah das manchmal anch mit den Füßen da,
w° andern Frauenzimmer, der Kopf steht. Kurzum, es war dem Schlesinger em
wenig angethan. Aber er ließ sichs nicht merken, und de. es den Kopf gekostet
Die Madlene wußte es aber doch. Und das war wieder schon von ihr, daß e
that, als wußte sie auch nicht das Geringste. Nicht einmal den Kleinen hatte
sie in ihre Wissenschaft eingeweiht.


Grenz boten I 1898
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[0049] Madlene eines schönen Gleichgewichts mir gar zu oft den Kleinen auf ihrer Seite nötig hat. Das fühlt der Kleine auch so geläufig, daß er ohne weiteres immer bei der Madlene steht. Kupp, klappklapp! Kupp, klappklapp! Für unsre paar Thaler! Kupp, klnppklapp! Der Große reißt um einer nach der Fälle (dem Halter am Kamm¬ rad des Zettelbnnms) laufenden Schnur, damit der Zettel um einen Kamm weiter rückt, dreht dann das Zahnrad am Tnchbaum zum Aufwinden des Drillichs und ruft mit einer Wendung nach der Ofenblasengegend: Die wir sauer erworben haben! Das muß ich kenn! Der Madlene wars „nein gefahren"; sie holte mit einem ncusilbernen Haken, dessen Griff mit glitzernden Plättchen und Drahtglöckcheu geziert war, den Faden durch die Spindelhöhlung und ließ ihn wieder am Rocken naschen. Und der Kleine mußte eben eine Naht fertig haben; denn er fing mit seinem Hammer an zu pochen wie ein richtiger Schuster. Kupp, klappklapp! In Schlesiugu haben sie mir 's Geld aus der Laden ge¬ stohlen. Und was für ein Schloß wars? Das muß ich kenn! Kupp, klnppklapp! Der Große hatte als Leineweber eine ansehnliche Reihe Jahre gewandert, bezog sich aber am liebsten in seinen Wanderschaftsanspiclnngen auf Schlesien. Als Altgesell war er in die Heimat zurückgekehrt, und das war er uoch. Der während der Wanderschaft des Großen verstorbne Vater war Webermeister gewesen. Nach der Rückkehr aus der Fremde hatte der Große das Meisteriurecht der Mutter ausgenutzt zur Ersparung der Unkosten, die mit dem Meisterwerden ver¬ knüpft waren. Nun die Meisterin aber seit einigen Jahren dem Meister ins Jen¬ seits nachgefolgt war, hätte er, um weiter arbeiten zu können, Meister werden müssen. Well man dem „Schlesinger" aber gewogen war von der Zunftlade her und ihn nicht sonderlich zum Meisterstück antrieb, so ward der wichtige Akt eben der Unkosten wegen immer weiter hinausgeschoben. Hätte der „Schlesinger" aber heiraten »vollen.' so wäre es unerläßlich für ihn gewesen, das Meisterstück zu machen. Aus Heiraten hatte er freilich noch nicht gedacht. — Ich kenn die Welt! war eins seiner Schlagwörter, bei denen sich die Augenbrauen wölbten wie Ehren¬ pforten für staunende Blicke. Und weil er die Welt kannte, wollten ihm die Bauernmädchen nicht mehr recht Passen. Dagegen schien ein Fräulein Hoßfeld, das der leiUvergauqnen Kirchweih als Glied einer winzig kleinen Seiltänzer- und Schauspielertruppe im Dorf war. Eindruck auf den Schlesiuger gemacht zu haben. Am Tage hatte die Truppe gymnastische Vorstellungen im Freien gegeben, nachts hatte sie auf dem Tanzbcwen Komödie gespielt. Als Mann. der gereist war, fühlte sich der Schlesiuger vou den Reisenden angezogen. Aber den Dorn." d.e einzige männliche Person der Truppe, mied der Schlesinger. weil er dies Metier eines Mannes für unwürdig erachtete. Dagegen das weibliche Mitglied! Und das war also Fräulein Hoßfeld. und diese Person war wahrhaftig kern¬ gesund und federkräftig, wie er beim Seiltänzer gesehen hatte, und mich „nicht garstig." Sie konnte sich auch hochdeutsch mit dem Schlesinger herhalten und war «llerdiugs auch in Schlesien gewest." - Seit Weser Kirchwe ging es dem Großen manchmal wie ein Mühlrad im Kopf herum. We-i,i h ^Fräulein im Traum erschien, so geschah das manchmal anch mit den Füßen da, w° andern Frauenzimmer, der Kopf steht. Kurzum, es war dem Schlesinger em wenig angethan. Aber er ließ sichs nicht merken, und de. es den Kopf gekostet Die Madlene wußte es aber doch. Und das war wieder schon von ihr, daß e that, als wußte sie auch nicht das Geringste. Nicht einmal den Kleinen hatte sie in ihre Wissenschaft eingeweiht. Grenz boten I 1898

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/49>, abgerufen am 07.01.2025.