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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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auf die menschliche Natur. Ein persönlicher Streit, ein Anflug schlechter Laune,
eine Regung gekränkter Eitelkeit können unter dem leicht erregbaren Künstler-
Volk eine Spaltung erzeugen, die eine im Laufe von Jahrzehnten mühsam
erkämpfte Organisation erschüttern oder ganz vernichten kann.

Paris, das "Herz der Welt," von dem die Deutschen erst gelernt haben,
Revolution zu machen, ist auch mit den Umwälzungen in der Künstlerrepublik
vorangegangen. Es ist bekannt, daß sich vor sieben Jahren ein beträchtlicher
Teil französischer Künstler von der alten Kunstgenossenschaft, die seit vierzig
Jahren ihre Anstellungen in dem jetzt abgetragnen Glaspalast in den Ely-
seischen Feldern veranstaltet hatte, losgesagt und eine neue Gesellschaft ge¬
gründet hat. Rein persönliche, ja geradezu egoistische Interessen sind mit
künstlerischen dabei so eng verquickt worden, daß sich heute nicht mehr ent¬
scheiden läßt, welche von beiden das Übergewicht gehabt haben. Es ist auch
allgemein bekannt, daß das in Paris gegebne Beispiel alsbald in München
und später in Dresden Nachahmer fand, daß sich nicht bloß in diesen Städten,
sondern auch in andern das Lager der Künstler in zwei Parteien schied, die
einander befehdeten, wo sie nur konnten. Aus der großen Spaltung, für die
man in Deutschland keinen andern Namen als "Sezession" finden konnte,
erwuchsen aber bald kleinere und kleinste Parteien. Zunächst in Paris, wo
die Zahl der Künstlervereinigungen und -klubs, die natürlich alle jährlich eine
oder mehrere Ausstellungen veranstalten, im Laufe von etwa acht Jahren auf
mehr als hundert gestiegen sein soll. Zu den Vereinigungen, die gemeinsame
materielle Interessen verfolgten, z. B. dem Verein der Künstlerinnen, oder die
ein technisches Sondergebiet pflegten, wie der Gesellschaft der Aquarellmaler,
der Radirer, der Miniaturcnmaler, gesellten sich bald solche, die sich zu ge¬
wissen koloristischen und ästhetischen Grundsätzen bekannten, die sie natürlich
für die einzig richtigen hielten und mit allen Mitteln der persönlichen und
sachlichen Reklame zur Geltung zu bringen suchten. So entsprossen allmählich
die seltsamsten Gewächse aus dem gut vorbereiteten Kunstboden von Paris,
von den abenteuerlichen "Roseukreuzern," die sich sogar unter der Führung
des famosen sar Peladan eine eigne, mystisch-symbolistische Ordenstracht zu¬
legten und sich dazu die Haare lang wachsen ließen, bis zu den neuesten
Vereinsgründuugen, die nach der Art der deutschen Dichtergesellschaften des
siebzehnten Jahrhunderts poetische Blumen- und Pflanzennamen wie "Cyklameu"
und "Liane" angenommen haben.

Brüssel und Antwerpen folgten mit gewohnter Schnelligkeit dem fran¬
zösischen Vorbild, und die guten Deutschen ließen bei ihrer bekannten Ab-
sonderungösncht anch nicht lange auf sich warten. Diese neue Abart der
"Vereinsmeierei" schoß aber uicht in dein vorgeschritten München, sondern
zuerst in Berlin ius Kraut, wo eine Sezession nach den Vorgängen in München
keinen Boden finden konnte. Die "Bereinigung der Elf," wohl die erste in
ihrer Art, schien sich wenigstens noch zu gemeinsamen künstlerischen Grund-


auf die menschliche Natur. Ein persönlicher Streit, ein Anflug schlechter Laune,
eine Regung gekränkter Eitelkeit können unter dem leicht erregbaren Künstler-
Volk eine Spaltung erzeugen, die eine im Laufe von Jahrzehnten mühsam
erkämpfte Organisation erschüttern oder ganz vernichten kann.

Paris, das „Herz der Welt," von dem die Deutschen erst gelernt haben,
Revolution zu machen, ist auch mit den Umwälzungen in der Künstlerrepublik
vorangegangen. Es ist bekannt, daß sich vor sieben Jahren ein beträchtlicher
Teil französischer Künstler von der alten Kunstgenossenschaft, die seit vierzig
Jahren ihre Anstellungen in dem jetzt abgetragnen Glaspalast in den Ely-
seischen Feldern veranstaltet hatte, losgesagt und eine neue Gesellschaft ge¬
gründet hat. Rein persönliche, ja geradezu egoistische Interessen sind mit
künstlerischen dabei so eng verquickt worden, daß sich heute nicht mehr ent¬
scheiden läßt, welche von beiden das Übergewicht gehabt haben. Es ist auch
allgemein bekannt, daß das in Paris gegebne Beispiel alsbald in München
und später in Dresden Nachahmer fand, daß sich nicht bloß in diesen Städten,
sondern auch in andern das Lager der Künstler in zwei Parteien schied, die
einander befehdeten, wo sie nur konnten. Aus der großen Spaltung, für die
man in Deutschland keinen andern Namen als „Sezession" finden konnte,
erwuchsen aber bald kleinere und kleinste Parteien. Zunächst in Paris, wo
die Zahl der Künstlervereinigungen und -klubs, die natürlich alle jährlich eine
oder mehrere Ausstellungen veranstalten, im Laufe von etwa acht Jahren auf
mehr als hundert gestiegen sein soll. Zu den Vereinigungen, die gemeinsame
materielle Interessen verfolgten, z. B. dem Verein der Künstlerinnen, oder die
ein technisches Sondergebiet pflegten, wie der Gesellschaft der Aquarellmaler,
der Radirer, der Miniaturcnmaler, gesellten sich bald solche, die sich zu ge¬
wissen koloristischen und ästhetischen Grundsätzen bekannten, die sie natürlich
für die einzig richtigen hielten und mit allen Mitteln der persönlichen und
sachlichen Reklame zur Geltung zu bringen suchten. So entsprossen allmählich
die seltsamsten Gewächse aus dem gut vorbereiteten Kunstboden von Paris,
von den abenteuerlichen „Roseukreuzern," die sich sogar unter der Führung
des famosen sar Peladan eine eigne, mystisch-symbolistische Ordenstracht zu¬
legten und sich dazu die Haare lang wachsen ließen, bis zu den neuesten
Vereinsgründuugen, die nach der Art der deutschen Dichtergesellschaften des
siebzehnten Jahrhunderts poetische Blumen- und Pflanzennamen wie „Cyklameu"
und „Liane" angenommen haben.

Brüssel und Antwerpen folgten mit gewohnter Schnelligkeit dem fran¬
zösischen Vorbild, und die guten Deutschen ließen bei ihrer bekannten Ab-
sonderungösncht anch nicht lange auf sich warten. Diese neue Abart der
„Vereinsmeierei" schoß aber uicht in dein vorgeschritten München, sondern
zuerst in Berlin ius Kraut, wo eine Sezession nach den Vorgängen in München
keinen Boden finden konnte. Die „Bereinigung der Elf," wohl die erste in
ihrer Art, schien sich wenigstens noch zu gemeinsamen künstlerischen Grund-


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[0495] auf die menschliche Natur. Ein persönlicher Streit, ein Anflug schlechter Laune, eine Regung gekränkter Eitelkeit können unter dem leicht erregbaren Künstler- Volk eine Spaltung erzeugen, die eine im Laufe von Jahrzehnten mühsam erkämpfte Organisation erschüttern oder ganz vernichten kann. Paris, das „Herz der Welt," von dem die Deutschen erst gelernt haben, Revolution zu machen, ist auch mit den Umwälzungen in der Künstlerrepublik vorangegangen. Es ist bekannt, daß sich vor sieben Jahren ein beträchtlicher Teil französischer Künstler von der alten Kunstgenossenschaft, die seit vierzig Jahren ihre Anstellungen in dem jetzt abgetragnen Glaspalast in den Ely- seischen Feldern veranstaltet hatte, losgesagt und eine neue Gesellschaft ge¬ gründet hat. Rein persönliche, ja geradezu egoistische Interessen sind mit künstlerischen dabei so eng verquickt worden, daß sich heute nicht mehr ent¬ scheiden läßt, welche von beiden das Übergewicht gehabt haben. Es ist auch allgemein bekannt, daß das in Paris gegebne Beispiel alsbald in München und später in Dresden Nachahmer fand, daß sich nicht bloß in diesen Städten, sondern auch in andern das Lager der Künstler in zwei Parteien schied, die einander befehdeten, wo sie nur konnten. Aus der großen Spaltung, für die man in Deutschland keinen andern Namen als „Sezession" finden konnte, erwuchsen aber bald kleinere und kleinste Parteien. Zunächst in Paris, wo die Zahl der Künstlervereinigungen und -klubs, die natürlich alle jährlich eine oder mehrere Ausstellungen veranstalten, im Laufe von etwa acht Jahren auf mehr als hundert gestiegen sein soll. Zu den Vereinigungen, die gemeinsame materielle Interessen verfolgten, z. B. dem Verein der Künstlerinnen, oder die ein technisches Sondergebiet pflegten, wie der Gesellschaft der Aquarellmaler, der Radirer, der Miniaturcnmaler, gesellten sich bald solche, die sich zu ge¬ wissen koloristischen und ästhetischen Grundsätzen bekannten, die sie natürlich für die einzig richtigen hielten und mit allen Mitteln der persönlichen und sachlichen Reklame zur Geltung zu bringen suchten. So entsprossen allmählich die seltsamsten Gewächse aus dem gut vorbereiteten Kunstboden von Paris, von den abenteuerlichen „Roseukreuzern," die sich sogar unter der Führung des famosen sar Peladan eine eigne, mystisch-symbolistische Ordenstracht zu¬ legten und sich dazu die Haare lang wachsen ließen, bis zu den neuesten Vereinsgründuugen, die nach der Art der deutschen Dichtergesellschaften des siebzehnten Jahrhunderts poetische Blumen- und Pflanzennamen wie „Cyklameu" und „Liane" angenommen haben. Brüssel und Antwerpen folgten mit gewohnter Schnelligkeit dem fran¬ zösischen Vorbild, und die guten Deutschen ließen bei ihrer bekannten Ab- sonderungösncht anch nicht lange auf sich warten. Diese neue Abart der „Vereinsmeierei" schoß aber uicht in dein vorgeschritten München, sondern zuerst in Berlin ius Kraut, wo eine Sezession nach den Vorgängen in München keinen Boden finden konnte. Die „Bereinigung der Elf," wohl die erste in ihrer Art, schien sich wenigstens noch zu gemeinsamen künstlerischen Grund-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/495>, abgerufen am 09.01.2025.