Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Kuttstcmsstellmigen und Künstleivereine in Berlin

Sätzen zu bekennen. Es war wirklich eine erlesene Zahl revolutionärer Geister,
die schonungslos gegen das Bestehende ankämpften und ihren tyrannischen
Willen jedem anders denkenden und fühlenden aufzuzwingen suchten. Mit
der Zeit lockerte sich freilich das Band, das die Elf zusammenzuhalten schien.
Einige, die sich anfangs ganz besonders wild geberdet hatten, lenkten auch
wieder in ruhigere Bahnen ein. Aber der Hauptzweck: Aufsehen um jeden
Preis! war doch erreicht, und damit die Bahn für die Nachahmer gebrochen.
Was bei der Massenproduktion der einzelnen Künstler nicht mehr möglich zu
machen war, nämlich aus der Flut emporzutauchen und durchzudringen, suchten
die Künstler jetzt dadurch zu erzwingen, daß sie sich in Gruppen zusammen¬
thaten, Vereine bildeten, die dann andre Künstler zu den Gründern heran¬
zogen und alljährlich Ausstellungen veranstalteten, die unter der Aufsicht einer
eignen, aus ihrer Mitte gewählten Jury standen und allmählich durch aller¬
hand Absonderlichkeiten, Verwegenheiten und Ausschreitungen das Interesse des
Publikums so lebhaft erregten, daß die Inhaber der Ausstellungsräume zuletzt
froh waren, mit solchen Vereinsausstellungen neue Zugkräfte zu gewinnen, daß
sie sich jedes Einspruchsrechts begaben und nur dann ihre Hauspolizei übten,
wenn einmal ein Mitglied eines der Vereine mit einer allzu urwüchsige"
Nudität angezogen kam, die das Schamgefühl einer hohen Besucherin hätte
verletzen können. Obwohl diese Vereinigungen meist nur aus jungen Künstlern,
seltner aus solchen in den dreißiger und vierziger Jahren bestanden, vertraten
doch nicht alle einen extremen künstlerischen Standpunkt wie etwa die berühmten
"Elf." Einzelne Vereine, wie der der "Einundzwanzig" und der "Künstler-
West-Klub," zählten sogar Künstler zu den ihrigen, die ganz und gar nichts
Fortschrittliches oder gar Revolutionäres an sich hatten, sondern in dem alten
Fahrwasser, das man, je nach seinem Parteistandpunkt, das gute oder das
versumpfte nennen mag, munter fortsegelten. Selbst eine Anzahl Münchner
und Berliner Künstler, die sich unter dem stolzen, die Welt in die Schranken
fordernden Namen "Freie Kunst" zusammengethan hatten, lebten unter einander
in Zwiespalt, da die einen unter der "freien Kunst" wirklich die allerneueste,
die andern aber eine triviale, gleichgiltige Modekunst verstanden. Aber der
kühne Name thut viel zur Sache, und er hat auch ansteckend gewirkt, da man
vor einigen Wochen in Brüssel, das bisher mit Paris an der Spitze der
"Vereinsmeierei" in der Kunst gestanden hatte, nach Berlinischen Muster
einen Laton as Is, lidrs shell6ti<zus eröffnet hat. Beiläufig bemerkt: ein logischer
Widerspruch, da Ästhetik nach bisherigem Sprachgebrauch immer noch ein
philosophisches Lehrgebäude bedeutet, das nicht frei in der Luft schwebt,
sondern ans bestimmten philosophischen Grundbegriffen aufgebaut ist.

Ist ein deutscher Künstler einmal einem Verein beigetreten, so scheint mit
diesem Entschluß zugleich seine Opferfreudigkeit zu wachsen. Er tritt gern
mehreren bei, wenn sich ihm mir die Gelegenheit bietet, immer zu den Vereins¬
ansstellungen zugelassen zu werden. Man glaubt gar nicht, wie leicht es einem


Kuttstcmsstellmigen und Künstleivereine in Berlin

Sätzen zu bekennen. Es war wirklich eine erlesene Zahl revolutionärer Geister,
die schonungslos gegen das Bestehende ankämpften und ihren tyrannischen
Willen jedem anders denkenden und fühlenden aufzuzwingen suchten. Mit
der Zeit lockerte sich freilich das Band, das die Elf zusammenzuhalten schien.
Einige, die sich anfangs ganz besonders wild geberdet hatten, lenkten auch
wieder in ruhigere Bahnen ein. Aber der Hauptzweck: Aufsehen um jeden
Preis! war doch erreicht, und damit die Bahn für die Nachahmer gebrochen.
Was bei der Massenproduktion der einzelnen Künstler nicht mehr möglich zu
machen war, nämlich aus der Flut emporzutauchen und durchzudringen, suchten
die Künstler jetzt dadurch zu erzwingen, daß sie sich in Gruppen zusammen¬
thaten, Vereine bildeten, die dann andre Künstler zu den Gründern heran¬
zogen und alljährlich Ausstellungen veranstalteten, die unter der Aufsicht einer
eignen, aus ihrer Mitte gewählten Jury standen und allmählich durch aller¬
hand Absonderlichkeiten, Verwegenheiten und Ausschreitungen das Interesse des
Publikums so lebhaft erregten, daß die Inhaber der Ausstellungsräume zuletzt
froh waren, mit solchen Vereinsausstellungen neue Zugkräfte zu gewinnen, daß
sie sich jedes Einspruchsrechts begaben und nur dann ihre Hauspolizei übten,
wenn einmal ein Mitglied eines der Vereine mit einer allzu urwüchsige»
Nudität angezogen kam, die das Schamgefühl einer hohen Besucherin hätte
verletzen können. Obwohl diese Vereinigungen meist nur aus jungen Künstlern,
seltner aus solchen in den dreißiger und vierziger Jahren bestanden, vertraten
doch nicht alle einen extremen künstlerischen Standpunkt wie etwa die berühmten
„Elf." Einzelne Vereine, wie der der „Einundzwanzig" und der „Künstler-
West-Klub," zählten sogar Künstler zu den ihrigen, die ganz und gar nichts
Fortschrittliches oder gar Revolutionäres an sich hatten, sondern in dem alten
Fahrwasser, das man, je nach seinem Parteistandpunkt, das gute oder das
versumpfte nennen mag, munter fortsegelten. Selbst eine Anzahl Münchner
und Berliner Künstler, die sich unter dem stolzen, die Welt in die Schranken
fordernden Namen „Freie Kunst" zusammengethan hatten, lebten unter einander
in Zwiespalt, da die einen unter der „freien Kunst" wirklich die allerneueste,
die andern aber eine triviale, gleichgiltige Modekunst verstanden. Aber der
kühne Name thut viel zur Sache, und er hat auch ansteckend gewirkt, da man
vor einigen Wochen in Brüssel, das bisher mit Paris an der Spitze der
„Vereinsmeierei" in der Kunst gestanden hatte, nach Berlinischen Muster
einen Laton as Is, lidrs shell6ti<zus eröffnet hat. Beiläufig bemerkt: ein logischer
Widerspruch, da Ästhetik nach bisherigem Sprachgebrauch immer noch ein
philosophisches Lehrgebäude bedeutet, das nicht frei in der Luft schwebt,
sondern ans bestimmten philosophischen Grundbegriffen aufgebaut ist.

Ist ein deutscher Künstler einmal einem Verein beigetreten, so scheint mit
diesem Entschluß zugleich seine Opferfreudigkeit zu wachsen. Er tritt gern
mehreren bei, wenn sich ihm mir die Gelegenheit bietet, immer zu den Vereins¬
ansstellungen zugelassen zu werden. Man glaubt gar nicht, wie leicht es einem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0496" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227398"/>
          <fw type="header" place="top"> Kuttstcmsstellmigen und Künstleivereine in Berlin</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1768" prev="#ID_1767"> Sätzen zu bekennen. Es war wirklich eine erlesene Zahl revolutionärer Geister,<lb/>
die schonungslos gegen das Bestehende ankämpften und ihren tyrannischen<lb/>
Willen jedem anders denkenden und fühlenden aufzuzwingen suchten. Mit<lb/>
der Zeit lockerte sich freilich das Band, das die Elf zusammenzuhalten schien.<lb/>
Einige, die sich anfangs ganz besonders wild geberdet hatten, lenkten auch<lb/>
wieder in ruhigere Bahnen ein. Aber der Hauptzweck: Aufsehen um jeden<lb/>
Preis! war doch erreicht, und damit die Bahn für die Nachahmer gebrochen.<lb/>
Was bei der Massenproduktion der einzelnen Künstler nicht mehr möglich zu<lb/>
machen war, nämlich aus der Flut emporzutauchen und durchzudringen, suchten<lb/>
die Künstler jetzt dadurch zu erzwingen, daß sie sich in Gruppen zusammen¬<lb/>
thaten, Vereine bildeten, die dann andre Künstler zu den Gründern heran¬<lb/>
zogen und alljährlich Ausstellungen veranstalteten, die unter der Aufsicht einer<lb/>
eignen, aus ihrer Mitte gewählten Jury standen und allmählich durch aller¬<lb/>
hand Absonderlichkeiten, Verwegenheiten und Ausschreitungen das Interesse des<lb/>
Publikums so lebhaft erregten, daß die Inhaber der Ausstellungsräume zuletzt<lb/>
froh waren, mit solchen Vereinsausstellungen neue Zugkräfte zu gewinnen, daß<lb/>
sie sich jedes Einspruchsrechts begaben und nur dann ihre Hauspolizei übten,<lb/>
wenn einmal ein Mitglied eines der Vereine mit einer allzu urwüchsige»<lb/>
Nudität angezogen kam, die das Schamgefühl einer hohen Besucherin hätte<lb/>
verletzen können. Obwohl diese Vereinigungen meist nur aus jungen Künstlern,<lb/>
seltner aus solchen in den dreißiger und vierziger Jahren bestanden, vertraten<lb/>
doch nicht alle einen extremen künstlerischen Standpunkt wie etwa die berühmten<lb/>
&#x201E;Elf." Einzelne Vereine, wie der der &#x201E;Einundzwanzig" und der &#x201E;Künstler-<lb/>
West-Klub," zählten sogar Künstler zu den ihrigen, die ganz und gar nichts<lb/>
Fortschrittliches oder gar Revolutionäres an sich hatten, sondern in dem alten<lb/>
Fahrwasser, das man, je nach seinem Parteistandpunkt, das gute oder das<lb/>
versumpfte nennen mag, munter fortsegelten. Selbst eine Anzahl Münchner<lb/>
und Berliner Künstler, die sich unter dem stolzen, die Welt in die Schranken<lb/>
fordernden Namen &#x201E;Freie Kunst" zusammengethan hatten, lebten unter einander<lb/>
in Zwiespalt, da die einen unter der &#x201E;freien Kunst" wirklich die allerneueste,<lb/>
die andern aber eine triviale, gleichgiltige Modekunst verstanden. Aber der<lb/>
kühne Name thut viel zur Sache, und er hat auch ansteckend gewirkt, da man<lb/>
vor einigen Wochen in Brüssel, das bisher mit Paris an der Spitze der<lb/>
&#x201E;Vereinsmeierei" in der Kunst gestanden hatte, nach Berlinischen Muster<lb/>
einen Laton as Is, lidrs shell6ti&lt;zus eröffnet hat. Beiläufig bemerkt: ein logischer<lb/>
Widerspruch, da Ästhetik nach bisherigem Sprachgebrauch immer noch ein<lb/>
philosophisches Lehrgebäude bedeutet, das nicht frei in der Luft schwebt,<lb/>
sondern ans bestimmten philosophischen Grundbegriffen aufgebaut ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1769" next="#ID_1770"> Ist ein deutscher Künstler einmal einem Verein beigetreten, so scheint mit<lb/>
diesem Entschluß zugleich seine Opferfreudigkeit zu wachsen. Er tritt gern<lb/>
mehreren bei, wenn sich ihm mir die Gelegenheit bietet, immer zu den Vereins¬<lb/>
ansstellungen zugelassen zu werden. Man glaubt gar nicht, wie leicht es einem</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0496] Kuttstcmsstellmigen und Künstleivereine in Berlin Sätzen zu bekennen. Es war wirklich eine erlesene Zahl revolutionärer Geister, die schonungslos gegen das Bestehende ankämpften und ihren tyrannischen Willen jedem anders denkenden und fühlenden aufzuzwingen suchten. Mit der Zeit lockerte sich freilich das Band, das die Elf zusammenzuhalten schien. Einige, die sich anfangs ganz besonders wild geberdet hatten, lenkten auch wieder in ruhigere Bahnen ein. Aber der Hauptzweck: Aufsehen um jeden Preis! war doch erreicht, und damit die Bahn für die Nachahmer gebrochen. Was bei der Massenproduktion der einzelnen Künstler nicht mehr möglich zu machen war, nämlich aus der Flut emporzutauchen und durchzudringen, suchten die Künstler jetzt dadurch zu erzwingen, daß sie sich in Gruppen zusammen¬ thaten, Vereine bildeten, die dann andre Künstler zu den Gründern heran¬ zogen und alljährlich Ausstellungen veranstalteten, die unter der Aufsicht einer eignen, aus ihrer Mitte gewählten Jury standen und allmählich durch aller¬ hand Absonderlichkeiten, Verwegenheiten und Ausschreitungen das Interesse des Publikums so lebhaft erregten, daß die Inhaber der Ausstellungsräume zuletzt froh waren, mit solchen Vereinsausstellungen neue Zugkräfte zu gewinnen, daß sie sich jedes Einspruchsrechts begaben und nur dann ihre Hauspolizei übten, wenn einmal ein Mitglied eines der Vereine mit einer allzu urwüchsige» Nudität angezogen kam, die das Schamgefühl einer hohen Besucherin hätte verletzen können. Obwohl diese Vereinigungen meist nur aus jungen Künstlern, seltner aus solchen in den dreißiger und vierziger Jahren bestanden, vertraten doch nicht alle einen extremen künstlerischen Standpunkt wie etwa die berühmten „Elf." Einzelne Vereine, wie der der „Einundzwanzig" und der „Künstler- West-Klub," zählten sogar Künstler zu den ihrigen, die ganz und gar nichts Fortschrittliches oder gar Revolutionäres an sich hatten, sondern in dem alten Fahrwasser, das man, je nach seinem Parteistandpunkt, das gute oder das versumpfte nennen mag, munter fortsegelten. Selbst eine Anzahl Münchner und Berliner Künstler, die sich unter dem stolzen, die Welt in die Schranken fordernden Namen „Freie Kunst" zusammengethan hatten, lebten unter einander in Zwiespalt, da die einen unter der „freien Kunst" wirklich die allerneueste, die andern aber eine triviale, gleichgiltige Modekunst verstanden. Aber der kühne Name thut viel zur Sache, und er hat auch ansteckend gewirkt, da man vor einigen Wochen in Brüssel, das bisher mit Paris an der Spitze der „Vereinsmeierei" in der Kunst gestanden hatte, nach Berlinischen Muster einen Laton as Is, lidrs shell6ti<zus eröffnet hat. Beiläufig bemerkt: ein logischer Widerspruch, da Ästhetik nach bisherigem Sprachgebrauch immer noch ein philosophisches Lehrgebäude bedeutet, das nicht frei in der Luft schwebt, sondern ans bestimmten philosophischen Grundbegriffen aufgebaut ist. Ist ein deutscher Künstler einmal einem Verein beigetreten, so scheint mit diesem Entschluß zugleich seine Opferfreudigkeit zu wachsen. Er tritt gern mehreren bei, wenn sich ihm mir die Gelegenheit bietet, immer zu den Vereins¬ ansstellungen zugelassen zu werden. Man glaubt gar nicht, wie leicht es einem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/496
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/496>, abgerufen am 09.01.2025.